II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 659

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4.9. Anatol - Zyklus

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Ausschnitt aus:
Das kleine Journal, Berlin
28.50
vom

Aus Wien wird uns geschrieben: Der Clon der an
veritablen Sensationen nicht besonders reichen Wiener Saison ist
der alljährlich stattfindende „Volkstheater=Abend der die oberen
Zehntausend der Kunst vollzählig vereinigt. Heuer wird er be¬
sonders interessant. Die nach Pariser Muster gehaltene „Wiener
Revue“ haben Hermann Bahr und C Karleis gedichtet.
Es ist eigentlich eine Wohlthätigkeits-Dichtung, denn die Revue
wird nur einmal zur Aufführung gebracht. Man bedauert, daß so
viel Witz und Satire nicht im Repertoire bleibt. Es geht sogar
ein rother Faden durch das an köstlichen aktuellen Epigrammen
überreiche Gelegenheitsprodukt. Das Ganze hat den burschikosen,
hemdärmeligen Ton eines Künstler=Ulks. Man sieht der Sache
an, daß zwei über allen Situationen stehende Köpfe mit Laune
an die Persiflage diverser heiliger und scheinheiliger Dinge gingen.
Sie verspotten in munterer Ironie Politik, Sezession und Theater.
Das Vorspiel beginnt in einem echten Wiener Frisisalon, wo uns
der volksthümliche Raisonneur des Stückes vorgestellt wird.
Girardi spielt ihn mit seiner burschikosen Fröhlichkeit und jener
feschen parodistischen Kunst, in der er einzig ist; nur die Niese
kann noch Aehnliches. Dieser Friseur hat einen Freund, dem der
gewisse Onkel aus Wels Unannehmlichkeiten bereitet. Er will
das Wiener Leben kennen lernen und kommt in die
Hauptstadt. Der Freund hat keine Verbindungen in den
maßgebenden Kreisen. Der Friseur, in keiner Lebenslage
verlegen, hilft ihm. Er verkleidet sich — das ist die Anlehnung
an das alte Wiener Volksstück —, schafft Herrschaftsdiener herbei
und die lustige Schaar spielt dem Onkel einen politischen Salon
vor. Der Amtsstil wird satirisch beleuchtet, die Censur erhält ihr
Hiebchen, nach allen Richtungen gibt es scharfe Streiflichter. Die
Aristokratie mit ihrem Zug nach „Volksthümlichkeit," die Comtessen
mit ihrer feschen" Ausdrucksweise werden uns vorgeführt. Im
50 2 dritten Bilde gibt es eine ergötzliche Satire auf die Secession. Es
werden Bilder gezeigt mit doppeltem Sinn, umgekehrt gemalte
Erdäpfeln, in denen sich das „Leben von hinten" symbolisch spiegelt.
Denn die Hauptsache ist, daß die „Jugend lerne, müde sein, um
1000
den Duft der blühenden Nachtigall, den Gesang des Kornfeldes
und den ungeheuren Lärm der Schweigsamkeit zu ver¬
Abonnem stehen". Dann wieder wird den Secessionisten ein wenig
Abonnent geschmeichelt, „die können ja nicht Tarock spielen, aber malen
können sie — aber wegen ein bissel Malen.“ Ein anheimelnder
Uebermuth geht durch das leicht gezimmerte Ding und neben
Feinheiten kann es da ohne drastische Frivolität nicht abgehen.
Sonst wäre es zu sehr l'art pour l’art". Die Amateure haben
eine Freude an dem burlesken Humor und auch die Masse versteht
die Satire. Das letzte Bild umfaßt ein Stück Taschen=Theater:
Schnitzler's „Anatol“ in kühner Parodie, und die Wiener
Stimmungsmacher, die als besondere Behelfe den Kahlenberg ver¬
wenden und das süße Mädel mit dem großen Appetit. Dazwischen
werden Gstanzeln gesungen, von denen, um die Marke zu
charakterisiren, eines wiedergegeben sei: „Wir Polen sind eine edle
Nation, wir müssen's auch sein — denn wir leben davon.
Pflegskosten.
gebrachten verwundeten oder erkrankten Krieger in volle.
fange aufkommen wird.
Mitzi Palme.] Fräulein Mitzi Palme, eines der
jüngsten und liebenswürdigsten Mitglieder der Jarno-Bühne
ist heute, kaum 26 Jahre alt, einer schweren Krankheit, einem
Lungenleiden, erlegen. Mitzi Palme war keine der großen,
das Schicksal der Première entscheidenden Darstellerinnen, aber
ihre kätzchenhafte Anmut belebte immer die Szene. Sie hat
in ihrer kleinen, lustig=schnippischen, die naive Verdorbenheit
übermütig martierenden Manier beinahe einen Typus dar¬
gestellt: das Wiener Stuben- und Kammerkätzchen mit leicht
pariserischer Tournure. In unzähligen dieser Schwänke, deren
Inhalt sich oft kaum erzählen ließ, gab sie das Grisettchen,
die kleine, vorlaute Annette oder Georgette; sie gehörte mit
zur heiteren Signatur dieser so gar nicht literarischen Abende.
Wer erinnert sich nicht dieser immer wiederkehrenden, in
einem Bilde Reznizes zu fassenden Situation, wie sie sich
an Herrn Maran, den immer verliebten, immer ungetreuen
Ehemann, listig heranschlängelte oder wie sie von Frau Pohl¬
Meiser, seiner immer ältlichen, immer eifersüchtigen Gattin, im
zärtlichsten Tete-a-tete erwischt wird. Aber diese niedlichen
Racker, die Zöschen des galanten Salons, waren doch nicht
ganz ihre eigentlichen, bezeichnendsten Figuren. Ihre echtesten
Figuren hatten manches von jenem lieben, süßen Wiener
Mädeltum, das ihr Name „Mitzi — Mitzi ist ein Gattungs¬
name, sagte jüngst ein Kenner — so hübsch angedeutet. Sie
war ihrem ganzen lustig wienerischen Wesen nach die richtige
kleine Anatol-Gefährtin in den allerliebsten Schnitzler=Bluetten.
Sie nippte den Champagner, sie naschte das Backwerk,
plauderte in diesen Stückchen die ungezogenen Aufrichtigkeiten
mit solch selbstverständlicher Grazie — wir hätten sie gerne
einmal aus ihrem engen Rollenkreise schlüpfen und zur
Schlagermitzi avancieren gesehen. Nun scheinen auch diese
Anatol-Erlebnisse, die einmal für eine ganze Gruppe der
jungen Wiener Generation charakteristisch gewesen, bereits
ihren Duft verloren zu haben. Aber alle, die sich noch den
Humor und die Poesie dieser zart fidelen Streiche bewahrten,
werden sich noch oft der kleinen Mitzi Palme erinnern, die
sich so natürlich und so anmutig in diese reizende Welt zu
schwingen wußte.
Der Palazzo di Venezia in Rom.) Der
römische Palast, in welchem sich die österreichisch=ungarische Bot¬
schaft beim päpstlichen Stuhle befindet, der Palazzo
Venezia, soll ein interessantes u¬
nen. Ein Neben¬

en 1911.
„OBSERVER
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San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt¬
Litterarische Ehe, Berlin
17 1907
von
Auch der „Faun" ist ein geistreiches Spiel der
Melancholie mit lustig dünkenden Verwechslungen.
Auch da ein Stück trüber Einsicht: in die Liebe und
in die Treue. Ein wenig Koketterie allerdings auch
und überflüssige Mystik bei klarem Lichte. Aber die
gewissen Zwischenstufen der Erotik, auf denen man
gleitet, ohne sie zu sehen, sie kennt der Dichter.
Flacher ist das nachdenkliche Capriccio: „Die tiefe
Natur“ und am wenigsten Original. Ein zweiter
Absud einer Schnitzlerschen „Anatol"-Szene. Immer¬
hin; die „Grotesken, mit denen Bahr gar nicht
den Versuch macht, aus seinen Abstraktionen in die
reale Welt zu treten, sind einheitlicher und in den
Gleichnissen realistischer, als die meisten seiner bühnen¬
gemäßen Stücke. Der Einakter hat hier eine recht
vollkommene Verleugnung aller dramaturgischen
Weisheit übernommen. Aber gerade unweise sind sie
nicht.