III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 7

Ernst erfullt die Mimenwelt. Die Komödianien verheimlichen nicht
mehr ihr großartiges Selbstgefühl. Es muß doch ein erhabener Beruf
sein, der nicht einmal Bühnenbeleidigungen duldet:... Zum Glück
kam das gütige Zensurverbot sehr gelegen, dees Tilemma###r sein
fühligen Schauspieler war ohne Strike gelöst und wir bekamen
wenigstens die zwei anderen Einakter Schnitzlec's zu sehen.
„Der grüne Kakadu“ ist längst bekannt und oft
gewürdigt. Die Groteske, die das bewährte Bajazzomotiv mit jecker
Anmuth in das Milien der französischen Revolution hineinwebt. Die
glänzende Vorstellung der Reinhardt'schen Bühne konnte an den
früheren Beurtheilungen des reichen, fast allzu reichen Einalters nichts
ändern. Der Nörgler wird auch weiterhin das Stück verneinen, weil
das gespielte Leben und das lebende Spiel darin so verwickelt sind,
daß Keiner auf der Bühne und Keiner im Zuschauerraume Bescheid
weiß. Und andererseits wird man dieser kurzen Groteske weiterhin
nachrühmen können, daß sie die Luft der Revolution besser verspüren
läßt, als die meisten ernsten und blutigen Tragödien.
.. Eine „Uraufführung“ war also nur das zweite Stück Schnitz¬
ler's: „Der tapfere Cassian“ Eine Uraufführung, die
nichts Unbekanntes brachte. Diese „Burleske in einem Akt“ wurde in
der „Neuen Rundschau“ zuerst veröffentlicht und schon aus der Lektüre
war die Bühnenwirksamkeit leicht festzustellen. Das kleine Stück macht
den Eindruck einer Skizze, einer Studie, die wenig Interesse für Den
hat, der die ausgeführten farbigen Bilder des „Reigen“ kennt. Es
spielt am Ende des XVII. Jahrhunderts, in einer kleinen deutschen
Stadt, hat zwei Helden und eine Heldin, den glücklichen Spieler
Martin, seinen tapferen Vetter Cassian und seine schöne Geliebte
Sophie. Martin packt, wenn der Vorhang aufgeht, eben seine Reise¬
lasche. Er hat won den armen Studenten der Stadt tausend
Dikaten gewonnen; er hat in Sophiens Armen küssen gelernt
und ihr die Eide geschworen, die Mädchen gern hören;
jetzt will er weiter ziehen, das strömende Blut in ihm, der blühende
Frühling draußen treibt ihn fort. Da erscheint sein Vetter Cassian.
Er kommt aus soviel Abenteuern, daß ein Anderer mehr Mühe hätte.
sie zu erfinden, als es ihm bereitet hat, sie zu überstehen. Er erscheint, —
und die schöne Sophie, die in der „dummen letzten Stunde vor dem
Abschied“ kaum ihre Thränen getrocknet, ist schon in ihn verliebt. Sie
soll das Abendessen besorgen, während die beiden Vettern plandern.
Sie haben einander seit langer Zeit nicht gesehen, und besonders
Martin hat viel zu erzählen. Er ist in Eleonora Lambriani, in die
elende, herrlichste, schönste Tänzerin verliebt, er will sie in Homburg
aufsuchen, vorher ein Vermögen durch das Spiel sich ver¬
schaffen — als Illustration gewinnt er auch die paar
Dukaten Cassian's
und dann ihr seinen Reichthum,
sein Herz und sein Leben zu Füßen legen. Ehe er die Stadt verlasse,
werde er noch Sophie sagen, daß er sie niemals wiedersehe, „und Du
sollst Zeuge sein, wie sie eilends zu diesem Fenster hinfliegt, um sich
hinabzustürzen“. Mit einem herrlichen Abendessen kehrt Sophie zurück;
sie hat ihr ganzes Geld ausgegeben, ihr goldenes Armband versetzt und
einen italienischen Kaufmann geküßt, damit der vornehme Besuch nur
zufrieden sei. Sie will mit ihm zu seinem Regiment gehen, und als
Martin bei dem neuen Würfelspiel Geld, Reisesack, Wohnungs¬
einrichtung, den Diener, den Platz auf der Post verliert, und
schließlich Sophie als Einsatz anträgt, sagt sie einfach:
„Martin, ich verschenke mich selber". Es kommt zum Duell.
Cassian sticht Martin ins Herz und verspricht dem Sterbenden, daß
er selbst morgen Früh Eleonora Lambriani aufsuchen wird. Jetzt
stürzt sich Sophie ihm zu Liebe aus dem Fenster, Cassian springt
nach, fängt sie in der Luft auf und Beide langen wohlbehalten unten
an. Martin verlangt von dem Diener seine Flöte und befiehlt, daß
sein Leichnam um Mitternacht abgeholt werde. Dann spielt er Flöte:
„Es ist bitter, allein zu sterben, wenn man eine Viertelstunde vorher
noch geliebt, wohlhabend und der herrlichsten Hoffnungen voll war.
Wahrlich, es ist ein übler Spaß, und ich bin eigentlich gar nicht
gelannt, Flöte zu spielen.“ Läßt sie fallen und stirbt. In der Ferne
klingt das Posthorn. Die Burleske ist aus.
Ein Capriccio. Eine neue Phantasie über das alte Thema
Schnitzler's. Ein Anatol=Gespräch im XV'II. Jahrhundert. Drei
„Personen“ führen den Dialog und nur die vierte, die Tänzerin,
wird hinter den Coulissen charakterisirt. „Es könnte sein, daß Du sie
für einen Groschen kriegst; — es ist aber auch möglich, daß sie zehn¬
tausend Dukaten fordert für einen Kuß auf die Fingerspitzen.“ Man
Fkönnte über das anspruchslose Stück auch in schärferem Tone
Tberichten — ohne ungerecht zu sein. Das Kleine Theater selbst hat
die „Burleske“ in ein „Puppenspiel“ umgewandelt; gewiß eine Art
der Kritik, wenn auch Frau Eysoldt und die Herren Ekert
und Licho mit graziöser Feinheit das unhöfliche Urtheil der
Direktion verkündeten. Aber Arthur Schnitzler hat in der kurzen Zeit
zwischen dem Erscheinen und der Aufführung des tapferen Cassian
„Den einsamen Weg“ uns geschenkt. Und für ein echtes Dichter¬
E. R.
werk kann man nicht genug dankbar sein.
Könialiches ##..
(Guelienangaog oune Genpy.,
Sendhnn en Jne Kaste.
4440 07
vom:
Sune eiune
Kunst und Wissenschaft
Kleines Theater: Dienstag zum ersten Mal: „Der
ktapfere Kassian“ ein Puppenspiel von Arthur Schnitzler,
und „Der grüne Kakadu“ Groteske von Arthur Schnitzler.
Ein Puppenspiel nennt Schnitzler seinen neuen Einatter „Der
tapfere Kassian“ und diese eigenartige Bezeichnung ist auch wört¬
lich zu nehmen, denn der Autor läßt seine Figuren im Stile des
Marionetten=Theaters der guten alten Zeit spielen. Das Ganze
ist also ein scherzhafter Einfall, bei dessen Gestaltung es Schnitzler
aber an dem nötigen Witz vermissen ließ Er hat eigentlich nichts
weiter getan, als einen gesucht einfältigen Text geschrieben und den
Schauspielern die Anweisung gegeben, in der Art der Drahtpuppen
zu agieren. So waren sie es einzig und allein, die für die Er¬
heiterung zu sorgen hatten, und sie taten es mit köstlichem Humor.!
Ihre Art, sich sprungweise fortzubewegen, sich steifnackig wechsel¬
seitig in die Arme zu fallen, und ihre Gefühle in tremolierenden
Tönen auszudrücken, weckte große Heiterkeit. Besonders gilt dies
von Frau Eysoldt als minniger Jungfrau, aber auch die Herren
Ekert, Licho und Großmann taten ihr Bestes. Sie ver¬
mochten jedoch nicht, die Langeweile am Schluß zu verdrängen,
und der Beifall war nur sehr lau. Einen desto volleren, faste
stürmischen Erfolg aber erzielte Schnitzler mit der Wiederaufnahmes
seines „Grünen Kakadu“. Diese Szene von dem Vorabend der großen¬
Revolution in Paris wird ihre zündende Wirkung auf den Zuhörer nie ver¬
fehlen, weil sie von wirklichem dramatischen Leben durchpulst ist.
Sie besitzt eine Handlung von atemraubender Spannung und doch
ohne leere Theatereffekte, da alle Ereignisse sich ganz natürlich auss
der Fabel des Stückes ergeben. Und diese Fabel ist ungemein
glücklich gewählt. Denn aus dem Milieu der Verbrecherspelunke, in
der glänzende Aristokraten sich von verkommenen Schauspielern als
Nervenkitzel erdichtete Verbrechen vorspiegeln lassen, ohne zu merken,
wie das wirkliche Verbrechen über ihren Köpfen zusammenschlägt
Land sie begraben wird, erwachsen die Gegensätze von selbst und
erweitern sich zum Sittenbilde jener Zeit. Inszenierung, Zusammen¬
und Einzelspiel waren eine Musterleistung. Die Schlußszene. dier
die ersten hochgehenden Wogen der Revolution auf die Bühner
bringt, und die an die Regiekunst eine gewaltige Aufgabe stellt,
war prachtvoll. In diesem Hexensabbat war jeder richtig an seinen
Platz gestellt und das Zusammenspiel so bewegt und natürlich, daßt
man sich vollständig fortreißen ließ. Von den Einzelleistungen war
jeder Charakter mar herausgearbeitet. Rühmend hervorzuheben sino
Richard Leopold als Wirt alias Direktor der Schauspieler¬
truppe und Alexander Moissi als Schauspieler Henri, dessen
geniales Spiel eines Mörders aus Eifersucht für wahr gehalten
wird und sich dann in Wirklichkeit umsetzt. Gertrud Eysoldts
spielte seine Gattin, die Schauspielerin Leocadie, mit gewohnter
Meisterschaft. Eduard von Winterstein charakterisierte den#
Lebenskünstler Herzog von Cadignan sehr fein. Außergewöhnlich
Gutes gab Tilla Durieux als Marquise von Lansac; sie trafs
besonders den dinstinguierten Ton der Sorglosigkeit, die sich von
den Vorwehen der großen Revolution nur „angenehm animieren“
läßt. Das Kleine Theater hat mit der Aufnahme des „Grünen
Kakadu“ in seinen Spielplan einen glücklichen Griff getan.
Das Publikum feierte den anwesenden Autor aufs herzlichste.