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5. Masken und Vunder
Ausschaftt aus:
Schlesische Zaitung, Brecien
ea 10. Mal. 1512.
1
Konflikt zwischen zwei Frauen, seine Braut und seine Geliebte,
1 gestellt. Er entledigt sich der Letzteren auf raffinierte Art
Ein neues Buch von Arthur Schnitzler.
Zu seinem 50. Geburtstage, den er am heutigen 15. Madjdurch Gift, verliert aber trotzdem auch die erstere und wird
im Duell von einem Rivalen erschossen, der um sein furchtbares
feiert, hat Arthur Schnitzler seinen Freunden einen neuen
Geheimnis weiß. „Der tote Gabriel“ behandelt eine Art von
Novellenband geschenkt, „Masken und Wunder“ betitelt")
Ballabenteuer und läßt einen Blick in die seltsame Seele eines
Das mag auch denjenigen Gelegenheit geben, heute etwas länger
jungen Mädchens tun; ein wenig spiritistisch mutet die Geschichte
bei dem Dichter der „Liebelei" zu verweilen, die es sonst nicht
vom „Tagebuch der Redegonda“ an, die auf das dunkle Gebiet
recht einsehen wollen, daß berühmte Schriftsteller deswegen, weil
der Willens- und Gedankenübertragung hinüberspielt.
sie 50 Jahre alt werden, bereits durch Gedenkartikel und Fest¬
Den Eingang und Schluß des Bandes bilden Erzählungen,
betrachtungen gefeiert werden müssen wie ehrwürdige Jubel¬
die sozusagen zeitlos gehalten sind, überall und immer sich
greise oder Tote. Besonders Arthur Schnitzler hat dies nicht
abspielen könnten. Die erste, „Die Hirtenflöte“ handelt von
nötig. Noch steht er in der Vollkraft seines Schaffens und im
einem grüblerischen Ehegatten, der durch absonderliche Zweifel
literarischen Kampf der Gegenwart ficht er noch immer in der
verführt, seine Frau ins Leben und in die Welt hinausschickt,
ersten Reihe, er hat sich nicht in den Hintergrund drängen lassen.
mit dem Auftrag, allen Lockungen der Sinne nachzugeben und
Freilich ist mit den Jahren aus dem elegant=frivolen Zeichner
dann, wenn sie alles ausgekostet, zu ihm zurückzukehren und an
der „Anatol“=Szenen ein ernster und mit tiefen Problemen
seiner Seite als Gattin weiterzuleben. So will er sie im tiefsten
ringender Künstler geworden; in seinen Werken leben außer dem
Kern ihres Wesens prüfen. Der abenteuerliche Leidensweg der
süßen Wiener Mädel auch noch bedeutungsvollere Gestalten, die
Frau durch die Welt wird nun mit glühenden Farben gemalt —
unser lebhaftes Interesse erregt haben. Schnitzler gehört zu jenen
aber als sie endlich zu ihrem Gatten heimkommt, muß dieser von
Dichtern, die sich stets selbst getreu geblieben sind. Das ist
der gänzlich Verwandelten hören, daß ihr weniger graut vor den
vielleicht daraus zu erklären, daß er fast nie den Boden verlassen
Masken und Wundern der Welt als vor der steinernen Fratze
hat, auf dem er am tiefsten heimisch ist: Wien und die Wiener.
seiner Weisheit. Und über seiner krankhaften Sucht, ihre Seele
Als Sohn eines reichen und angesehenen Wiener Arztes und
zu erforschen, verliert er jetzt Seele und Leib der geliebten Frau
später selber Arzt, lebt er von Jugend an jenes Leben der Wiener
endgültig. Recht nachdenklich mutet auch das Schlußmärchen
Gesellschaft, die um das Rathausviertel wohnt, und diese Kreise
„Die dreifache Warnung“ an, das lehrt, wie alles Sein und
haben in dem auch äußerlich sehr soignierten Mann mit der
Geschehen durch Spiel und Zufall verknüpft ist.
berühmten Stirnlocke ihren klassischsten Schilderer gefunden.
Neben der dunklen und melancholischen Stimmung, die über
Man hat Schnitzler öfters als frivol und leichtfertig gescholten
dem Buche liegt, ist allen darin vereinigten Novellen gemeinsam
und einiges, wie sein berüchtigter „Reigen“ gibt solchem Urteile
die außerordentliche Feinheit und Geschliffenheit des Stils.
auch recht. Aber falsch wäre es, derartiger Abirrungen wegen ihn
Herangebildet an der Prosa des älteren Goethe, aber doch von
lediglich als einen Amüseur zu betrachten — er ist im Gegenteil
persönlichstem Charakter zeigt dieser Stil eine Klarheit und
(allein der „Leutnant Gustl“ schon beweist es) ein Psychologe
einen Glanz, den man bisher bei Schnitzler noch nicht oft
von größter Feinheit und Delikatesse und das zeigt auch wieder
gefunden hat, weder in „Frau Bertha Garlan“ noch in dem
der neue Novellenband mit dem ein wenig symbolischen Titel.
großen Roman „Der Weg ins Freie“. Wer so zu schreiben ver¬
Merkwürdig viel ist in diesem Buch vom Tod und von den
steht, dem kann man getrost vorhersagen, daß er noch im Auf¬
letzten Dingen die Rede — mehr fast, als man bei einem
wärtssteigen nach den Höhen der Kunst begriffen ist. Und als
Fünfzigjährigen erwarten sollte. Aber wir wissen ja, daß
einen immer noch „Werdenden“ im Goetheschen Sinne wollen wir
Schnitzler von jeher neben der Liebe den Tod zum Helden seiner
Arthur Schnitzler zum heutigen Tage grüßen.
Dichtungen erkor, hieß doch gleich eines seiner ersten Bücher
AD-
„Sterben“. Ein wenig an den Schnitzler von früher gemahnt
die melancholisch-zynische Pointe der Novelle „Der Tod des
Junggesellen“. Ein Lebemann ruft drei seiner Freunde an sein
Sterbebett. Sie kommen, finden ihn aber bereits tot vor und
entdecken in seinem Schreibtisch einen gemeinsam an sie ge¬
richteten Brief des Verstorbenen. Und darin teilt er seinen
drei Freunden mit, daß die Frau eines jeden von ihnen einmal
seine Geliebte war. Ganz eigentümlich ist nun, wie Schnitzler
wie
die überlebenden auf diese Eröffnung reagieren läßt:
durch allerlei überlegungen und Einsichten der Tote um den
Triumph seiner posthumen Rache gebracht wird. In der
Erzählung „Der Mörder“ wird ein junger Mann in einen
*) Berlin, S. Fischer, Preis 3 Mi.,
5. Masken und Vunder
Ausschaftt aus:
Schlesische Zaitung, Brecien
ea 10. Mal. 1512.
1
Konflikt zwischen zwei Frauen, seine Braut und seine Geliebte,
1 gestellt. Er entledigt sich der Letzteren auf raffinierte Art
Ein neues Buch von Arthur Schnitzler.
Zu seinem 50. Geburtstage, den er am heutigen 15. Madjdurch Gift, verliert aber trotzdem auch die erstere und wird
im Duell von einem Rivalen erschossen, der um sein furchtbares
feiert, hat Arthur Schnitzler seinen Freunden einen neuen
Geheimnis weiß. „Der tote Gabriel“ behandelt eine Art von
Novellenband geschenkt, „Masken und Wunder“ betitelt")
Ballabenteuer und läßt einen Blick in die seltsame Seele eines
Das mag auch denjenigen Gelegenheit geben, heute etwas länger
jungen Mädchens tun; ein wenig spiritistisch mutet die Geschichte
bei dem Dichter der „Liebelei" zu verweilen, die es sonst nicht
vom „Tagebuch der Redegonda“ an, die auf das dunkle Gebiet
recht einsehen wollen, daß berühmte Schriftsteller deswegen, weil
der Willens- und Gedankenübertragung hinüberspielt.
sie 50 Jahre alt werden, bereits durch Gedenkartikel und Fest¬
Den Eingang und Schluß des Bandes bilden Erzählungen,
betrachtungen gefeiert werden müssen wie ehrwürdige Jubel¬
die sozusagen zeitlos gehalten sind, überall und immer sich
greise oder Tote. Besonders Arthur Schnitzler hat dies nicht
abspielen könnten. Die erste, „Die Hirtenflöte“ handelt von
nötig. Noch steht er in der Vollkraft seines Schaffens und im
einem grüblerischen Ehegatten, der durch absonderliche Zweifel
literarischen Kampf der Gegenwart ficht er noch immer in der
verführt, seine Frau ins Leben und in die Welt hinausschickt,
ersten Reihe, er hat sich nicht in den Hintergrund drängen lassen.
mit dem Auftrag, allen Lockungen der Sinne nachzugeben und
Freilich ist mit den Jahren aus dem elegant=frivolen Zeichner
dann, wenn sie alles ausgekostet, zu ihm zurückzukehren und an
der „Anatol“=Szenen ein ernster und mit tiefen Problemen
seiner Seite als Gattin weiterzuleben. So will er sie im tiefsten
ringender Künstler geworden; in seinen Werken leben außer dem
Kern ihres Wesens prüfen. Der abenteuerliche Leidensweg der
süßen Wiener Mädel auch noch bedeutungsvollere Gestalten, die
Frau durch die Welt wird nun mit glühenden Farben gemalt —
unser lebhaftes Interesse erregt haben. Schnitzler gehört zu jenen
aber als sie endlich zu ihrem Gatten heimkommt, muß dieser von
Dichtern, die sich stets selbst getreu geblieben sind. Das ist
der gänzlich Verwandelten hören, daß ihr weniger graut vor den
vielleicht daraus zu erklären, daß er fast nie den Boden verlassen
Masken und Wundern der Welt als vor der steinernen Fratze
hat, auf dem er am tiefsten heimisch ist: Wien und die Wiener.
seiner Weisheit. Und über seiner krankhaften Sucht, ihre Seele
Als Sohn eines reichen und angesehenen Wiener Arztes und
zu erforschen, verliert er jetzt Seele und Leib der geliebten Frau
später selber Arzt, lebt er von Jugend an jenes Leben der Wiener
endgültig. Recht nachdenklich mutet auch das Schlußmärchen
Gesellschaft, die um das Rathausviertel wohnt, und diese Kreise
„Die dreifache Warnung“ an, das lehrt, wie alles Sein und
haben in dem auch äußerlich sehr soignierten Mann mit der
Geschehen durch Spiel und Zufall verknüpft ist.
berühmten Stirnlocke ihren klassischsten Schilderer gefunden.
Neben der dunklen und melancholischen Stimmung, die über
Man hat Schnitzler öfters als frivol und leichtfertig gescholten
dem Buche liegt, ist allen darin vereinigten Novellen gemeinsam
und einiges, wie sein berüchtigter „Reigen“ gibt solchem Urteile
die außerordentliche Feinheit und Geschliffenheit des Stils.
auch recht. Aber falsch wäre es, derartiger Abirrungen wegen ihn
Herangebildet an der Prosa des älteren Goethe, aber doch von
lediglich als einen Amüseur zu betrachten — er ist im Gegenteil
persönlichstem Charakter zeigt dieser Stil eine Klarheit und
(allein der „Leutnant Gustl“ schon beweist es) ein Psychologe
einen Glanz, den man bisher bei Schnitzler noch nicht oft
von größter Feinheit und Delikatesse und das zeigt auch wieder
gefunden hat, weder in „Frau Bertha Garlan“ noch in dem
der neue Novellenband mit dem ein wenig symbolischen Titel.
großen Roman „Der Weg ins Freie“. Wer so zu schreiben ver¬
Merkwürdig viel ist in diesem Buch vom Tod und von den
steht, dem kann man getrost vorhersagen, daß er noch im Auf¬
letzten Dingen die Rede — mehr fast, als man bei einem
wärtssteigen nach den Höhen der Kunst begriffen ist. Und als
Fünfzigjährigen erwarten sollte. Aber wir wissen ja, daß
einen immer noch „Werdenden“ im Goetheschen Sinne wollen wir
Schnitzler von jeher neben der Liebe den Tod zum Helden seiner
Arthur Schnitzler zum heutigen Tage grüßen.
Dichtungen erkor, hieß doch gleich eines seiner ersten Bücher
AD-
„Sterben“. Ein wenig an den Schnitzler von früher gemahnt
die melancholisch-zynische Pointe der Novelle „Der Tod des
Junggesellen“. Ein Lebemann ruft drei seiner Freunde an sein
Sterbebett. Sie kommen, finden ihn aber bereits tot vor und
entdecken in seinem Schreibtisch einen gemeinsam an sie ge¬
richteten Brief des Verstorbenen. Und darin teilt er seinen
drei Freunden mit, daß die Frau eines jeden von ihnen einmal
seine Geliebte war. Ganz eigentümlich ist nun, wie Schnitzler
wie
die überlebenden auf diese Eröffnung reagieren läßt:
durch allerlei überlegungen und Einsichten der Tote um den
Triumph seiner posthumen Rache gebracht wird. In der
Erzählung „Der Mörder“ wird ein junger Mann in einen
*) Berlin, S. Fischer, Preis 3 Mi.,