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2. Die griechische Tac
zerin
277
Das Wisfen für Hlle
Jahrg. 1906
Einzelheiten, die erst recht beweisen, welch schöner
Zeilen sind, das nicht durch Länge oder Unsorgfalt ge¬
Aufwand hier schnöde wird vertan: Das Lied als
schädigt oder zerstört würde. Was aber in der lyrischen
Ganzes ist verloren. Und auch in dem tiefsten reifsten
Kunst gilt, sind nicht die Einzelheiten, sondern die Ge¬
Gedicht des Buches, „Spät“ (S. 97), stört eine harte
bilde. Salus hat in früheren Versen oft Sehnsucht nach
Zeile, die in dieser Form nicht hätte stehen bleiben
der Kraft und dem Leben ausgesprochen, und sein Ge¬
dürfen. Doch diese beiden Gedichte und andere („Ich“,
dicht an Lilieneron (das leider zu improvisiert wirkt),
Seite 11, „Einsam", S. 28) beweisen, daß seine
ist voller starker Lust. Viele Gedichte aber sind schwäch¬
Schaffenskraft noch blüht und glüht. Wenn er, wie
lich im Gefühl, blaß und kränklich, mitunter preziös
C. F. Meyer es von sich gefordert und erreicht hat,
und geziert. Andere, die wuchtig wirken sollen, zum
fortab das heilige Feuer „mit heiliger Scheue“ hütet,
Beispiel das an Simon de Voß, sind nur laute Rede.
„daß es brenne rein und ungekränkt“ wie viele wird
Zarteste Empfindungen können von innerlicher Kraft sein,
er wärmen können!
zarteste Gedichte können lyrische Kraft bergen. Bei Salus
ist eine stoffliche, menschliche und eine formale künstleri¬
Busse=Palma hat auch einige Erzählungen zu
sche Schwächlichkeit vorhanden, und vielleicht bedingt die
einem Bande „Das große Glück“ vereinigt. Die
eine die andere. Jedenfalls ist es eine Notwendigkeit,
Erzählung, die dem Buch den Titel gibt, ist eine senti¬
daß Salus' Schaffen an Breite sich vermindert, an
mentale Geschichte für mindere Familienblätter, eine
Innerlichkeit und Tiefe, an Wucht und Wert zunimmt.
Skizze aus Ungarn („Die Katze“) ist ganz hübsch, das
Mag eine uneinsichtige Kritik ihn Meister nennen; den
Ganze nicht der Rede wert. „Das große Glück“ ist er¬
verstehenden Lesern lyrischer Dichtung wird die Unkraft
schienen in der „Bibliothek moderner deutscher Autoren“.
seiner Gedichte auf die Dauer nicht verborgen bleiben,
Von den 20 Bänden, die sie bisher veröffentlicht hat,
und die Zeit wird, wie bald, zersprengen, was nicht mit
wird ein Teil heute, ein Teil später betrachtet werden.
sorglichster Sorgfalt gefügt ward. Aehnliches gilt von
An sich ist es herzlich zu begrüßen, daß neue epische
Busse=Palma. Die „Brückenlieder“ sind seit
Kunst in breite Kreise getragen wird. Der Preis von
1899 das vierte Gedichtbuch, das er herausgibt. Auch er
M. 1 für Novellen von Schnitzler oder Carl Haupt¬
produziert zu rasch und zu viel. Seine Bücher bedeuten ein
mann ist gering. Allein, es sind neben ausgezeichneten
stetes Abwärtssteigen. Immerhin, so lange er auf Erden
auch recht wertlose Arbeiten eingereiht worden, und
blieb und Wanderschaften und Leidenschaften sang, da
alle Nummern, ohne Ausnahme, sind durch ein grell¬
buntes rohes Umschlagsbild verunstaltet, das den Leser
mochte ihm, im allgemeinen, in Wurf und Klang noch
gerade dann besonders kränkt, wenn wirkliche Dicht¬
allerlei gelingen. Nun aber, schier dreißig Jahre ist er
ungen durch solche Panoptikumsbilder angekündigt und
alt, und schon fühlt er sich auf jener Brücke stehen, die
bedeckt werden. Hugo von Hofmannsthal nennt
vom Leben zum Tod geleitet. Er kommt uns meta¬
seinen Band nach dem „Märchen der 672. Nacht“
physisch. Metaphysik gestalten kann Busse=Palma nicht.
das einer Geschichte aus „Tausend -und eine Nacht“
Er bildet nicht, er beredet („Mystik“. Seite 23 f
nachgebildet ist. Seine Erzählungen sind durchaus
„Leben“, Seite 101 f.). Fast allenthalben in diesem
romantisch, in dem Sinne, wie Tiecks „Blonder Eck¬
Bande, anstatt zu schauen, reiht er Worte. Er vergleicht
bert“ oder, in neuester Zeit, Thomas Manns Novelle
ein Mädchen (Seite 16) mit Lampen, die statt mit Oel
„Der Kleiderschrank“ romantisch sind: im „Märchen“,
„mit Sand und bunten Seidenfetzen“ gefüllt sind. Offen¬
in der „Reitergeschichte“, im „Erlebnis des Marschalls
bar lag ihm, ohne daß er es wußte, ein Gedicht des
von Bassompierre“ überall verfließen Wahn und Wirk¬
Prinzen Schönaich=Carolath im Sinn. Auch dies Gedicht
lichkeit. Wie ein Traum schweben, wie ein Alp lasten
(es steht in dem Fatthumezyklus) ist eine Klage über
diese Geschichten vorüber. Vor allem das „Märchen“ ist
den Unwert des Weibes: Der Liebende, „daß er des
charakteristisch. Der Kaufmannssohn, von dem es erzählt,
Weibes Wesen an das Taglicht reiße“ trennt die Brust
ist im Grunde jener junge Wiener von heute, der uns
der Geliebten auf und findet darin „zwei handvoll
in den Schriften der modernen Wiener Poeten häufig
goldener Litzen", „einen Kleidersaum", „ein großes
begegnet: reich, einsam, voller Liebe zu seinen Teppichen
Knäuel abgewelkter Spitzen“. In beiden Gedichten hat
und Geräten, ihnen nahe, und doch wiederum, wie
das Gedankliche sein reales Abbild nicht gefunden. Noch
Die „Reitergeschichte“ berichtet
allem Seienden, fern.
minder aber, als bei Schönaich=Curolath, wird bei Busse¬
mit chronikhafter Sachlichkeit ein Geschehnis aus dem
Palma der Phantasie des Lesenden zu schaffen gegeben:
italienischen Feldzug des Jahres 1848. Die Glut des
Derlei Tand im Herzen einer Frau kann man sich
Sommertages und die Lust an Beute, Eroberung und
schwer, Seidenfetzen in einer Lampe überhaupt nicht
Sieg versetzen den Wachtmeister Lerch in solche Be¬
vorstellen. Das „Kohlenlied“ (Seite 15) beginnt mit
nommenheit und Verworrenheit, daß er den Gehorsam
dem wundervollen Vers:
weigert und durch den Offizier vom Sattel geschossen
„Die Kohle singt: Als ich geglüht,
wird. Wie häufig bei den Wienern, empfinden wir hier,
Wie viele hätt' ich wärmen können!“
wie auch im „Erlebnis“, die Macht des Schicksals, das
Sogleich aber klappert in den Gesang Dreinsprechen,
mit den Menschen spielt und binnen Sekunden aus Leben
Erklären, Reden: „Das ist der Kohlen altes Lied“
Tod, aus Glück Leid, aus Höhe Tiefe macht. Diese
„Das ist ein traurig=dunkler Sang", „Das ist der
Dichtungen Hofmannsthals, wie auch das schwer ver¬
Herzen wehstes Lied“. Was in Klang und Bild innen
ständliche letzte Stück („Ein Brief“), sind mit weisem
leben und herauswirken müßte, wird plump ausgesagt.
Maß und kunstvoller Auswahl des Wesentlichen erzählt.
Und zum Schluß wieder erklingen die schönen Zeilen:
Sie sind nicht Gaben für das breite Publikum, sondern
setzen ein gewisses Maß ästhetischer Kennerschaft voraus.
„Als ich geblüht, als ich geglüht,
Dennoch ist es erfreulich, daß diese Erzählungen, meines
Wie viele hätt' ich wärmen können!...
2. Die griechische Tac
zerin
277
Das Wisfen für Hlle
Jahrg. 1906
Einzelheiten, die erst recht beweisen, welch schöner
Zeilen sind, das nicht durch Länge oder Unsorgfalt ge¬
Aufwand hier schnöde wird vertan: Das Lied als
schädigt oder zerstört würde. Was aber in der lyrischen
Ganzes ist verloren. Und auch in dem tiefsten reifsten
Kunst gilt, sind nicht die Einzelheiten, sondern die Ge¬
Gedicht des Buches, „Spät“ (S. 97), stört eine harte
bilde. Salus hat in früheren Versen oft Sehnsucht nach
Zeile, die in dieser Form nicht hätte stehen bleiben
der Kraft und dem Leben ausgesprochen, und sein Ge¬
dürfen. Doch diese beiden Gedichte und andere („Ich“,
dicht an Lilieneron (das leider zu improvisiert wirkt),
Seite 11, „Einsam", S. 28) beweisen, daß seine
ist voller starker Lust. Viele Gedichte aber sind schwäch¬
Schaffenskraft noch blüht und glüht. Wenn er, wie
lich im Gefühl, blaß und kränklich, mitunter preziös
C. F. Meyer es von sich gefordert und erreicht hat,
und geziert. Andere, die wuchtig wirken sollen, zum
fortab das heilige Feuer „mit heiliger Scheue“ hütet,
Beispiel das an Simon de Voß, sind nur laute Rede.
„daß es brenne rein und ungekränkt“ wie viele wird
Zarteste Empfindungen können von innerlicher Kraft sein,
er wärmen können!
zarteste Gedichte können lyrische Kraft bergen. Bei Salus
ist eine stoffliche, menschliche und eine formale künstleri¬
Busse=Palma hat auch einige Erzählungen zu
sche Schwächlichkeit vorhanden, und vielleicht bedingt die
einem Bande „Das große Glück“ vereinigt. Die
eine die andere. Jedenfalls ist es eine Notwendigkeit,
Erzählung, die dem Buch den Titel gibt, ist eine senti¬
daß Salus' Schaffen an Breite sich vermindert, an
mentale Geschichte für mindere Familienblätter, eine
Innerlichkeit und Tiefe, an Wucht und Wert zunimmt.
Skizze aus Ungarn („Die Katze“) ist ganz hübsch, das
Mag eine uneinsichtige Kritik ihn Meister nennen; den
Ganze nicht der Rede wert. „Das große Glück“ ist er¬
verstehenden Lesern lyrischer Dichtung wird die Unkraft
schienen in der „Bibliothek moderner deutscher Autoren“.
seiner Gedichte auf die Dauer nicht verborgen bleiben,
Von den 20 Bänden, die sie bisher veröffentlicht hat,
und die Zeit wird, wie bald, zersprengen, was nicht mit
wird ein Teil heute, ein Teil später betrachtet werden.
sorglichster Sorgfalt gefügt ward. Aehnliches gilt von
An sich ist es herzlich zu begrüßen, daß neue epische
Busse=Palma. Die „Brückenlieder“ sind seit
Kunst in breite Kreise getragen wird. Der Preis von
1899 das vierte Gedichtbuch, das er herausgibt. Auch er
M. 1 für Novellen von Schnitzler oder Carl Haupt¬
produziert zu rasch und zu viel. Seine Bücher bedeuten ein
mann ist gering. Allein, es sind neben ausgezeichneten
stetes Abwärtssteigen. Immerhin, so lange er auf Erden
auch recht wertlose Arbeiten eingereiht worden, und
blieb und Wanderschaften und Leidenschaften sang, da
alle Nummern, ohne Ausnahme, sind durch ein grell¬
buntes rohes Umschlagsbild verunstaltet, das den Leser
mochte ihm, im allgemeinen, in Wurf und Klang noch
gerade dann besonders kränkt, wenn wirkliche Dicht¬
allerlei gelingen. Nun aber, schier dreißig Jahre ist er
ungen durch solche Panoptikumsbilder angekündigt und
alt, und schon fühlt er sich auf jener Brücke stehen, die
bedeckt werden. Hugo von Hofmannsthal nennt
vom Leben zum Tod geleitet. Er kommt uns meta¬
seinen Band nach dem „Märchen der 672. Nacht“
physisch. Metaphysik gestalten kann Busse=Palma nicht.
das einer Geschichte aus „Tausend -und eine Nacht“
Er bildet nicht, er beredet („Mystik“. Seite 23 f
nachgebildet ist. Seine Erzählungen sind durchaus
„Leben“, Seite 101 f.). Fast allenthalben in diesem
romantisch, in dem Sinne, wie Tiecks „Blonder Eck¬
Bande, anstatt zu schauen, reiht er Worte. Er vergleicht
bert“ oder, in neuester Zeit, Thomas Manns Novelle
ein Mädchen (Seite 16) mit Lampen, die statt mit Oel
„Der Kleiderschrank“ romantisch sind: im „Märchen“,
„mit Sand und bunten Seidenfetzen“ gefüllt sind. Offen¬
in der „Reitergeschichte“, im „Erlebnis des Marschalls
bar lag ihm, ohne daß er es wußte, ein Gedicht des
von Bassompierre“ überall verfließen Wahn und Wirk¬
Prinzen Schönaich=Carolath im Sinn. Auch dies Gedicht
lichkeit. Wie ein Traum schweben, wie ein Alp lasten
(es steht in dem Fatthumezyklus) ist eine Klage über
diese Geschichten vorüber. Vor allem das „Märchen“ ist
den Unwert des Weibes: Der Liebende, „daß er des
charakteristisch. Der Kaufmannssohn, von dem es erzählt,
Weibes Wesen an das Taglicht reiße“ trennt die Brust
ist im Grunde jener junge Wiener von heute, der uns
der Geliebten auf und findet darin „zwei handvoll
in den Schriften der modernen Wiener Poeten häufig
goldener Litzen", „einen Kleidersaum", „ein großes
begegnet: reich, einsam, voller Liebe zu seinen Teppichen
Knäuel abgewelkter Spitzen“. In beiden Gedichten hat
und Geräten, ihnen nahe, und doch wiederum, wie
das Gedankliche sein reales Abbild nicht gefunden. Noch
Die „Reitergeschichte“ berichtet
allem Seienden, fern.
minder aber, als bei Schönaich=Curolath, wird bei Busse¬
mit chronikhafter Sachlichkeit ein Geschehnis aus dem
Palma der Phantasie des Lesenden zu schaffen gegeben:
italienischen Feldzug des Jahres 1848. Die Glut des
Derlei Tand im Herzen einer Frau kann man sich
Sommertages und die Lust an Beute, Eroberung und
schwer, Seidenfetzen in einer Lampe überhaupt nicht
Sieg versetzen den Wachtmeister Lerch in solche Be¬
vorstellen. Das „Kohlenlied“ (Seite 15) beginnt mit
nommenheit und Verworrenheit, daß er den Gehorsam
dem wundervollen Vers:
weigert und durch den Offizier vom Sattel geschossen
„Die Kohle singt: Als ich geglüht,
wird. Wie häufig bei den Wienern, empfinden wir hier,
Wie viele hätt' ich wärmen können!“
wie auch im „Erlebnis“, die Macht des Schicksals, das
Sogleich aber klappert in den Gesang Dreinsprechen,
mit den Menschen spielt und binnen Sekunden aus Leben
Erklären, Reden: „Das ist der Kohlen altes Lied“
Tod, aus Glück Leid, aus Höhe Tiefe macht. Diese
„Das ist ein traurig=dunkler Sang", „Das ist der
Dichtungen Hofmannsthals, wie auch das schwer ver¬
Herzen wehstes Lied“. Was in Klang und Bild innen
ständliche letzte Stück („Ein Brief“), sind mit weisem
leben und herauswirken müßte, wird plump ausgesagt.
Maß und kunstvoller Auswahl des Wesentlichen erzählt.
Und zum Schluß wieder erklingen die schönen Zeilen:
Sie sind nicht Gaben für das breite Publikum, sondern
setzen ein gewisses Maß ästhetischer Kennerschaft voraus.
„Als ich geblüht, als ich geglüht,
Dennoch ist es erfreulich, daß diese Erzählungen, meines
Wie viele hätt' ich wärmen können!...