2. Cuttings
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frühere Vorliebe für die Fremdwörter sehr erheblich ein¬
gedämmt ist. Nur hätten die für das Deutschtum und die
deutsche Sprache so mannhaft streitenden Männer Christian
Thomas und Georg Schottel auch ruhig mit dieser ihrer
deutschen Namensform anstatt mit der lateinischen genannt
werden sollen.
Hermann Jantzen
Königsberg i. Pr.
Aias. Tragödie des Sopholles. Uebersetzt von Ludwig
Bellermann. Berlin 1912, Weidmannsche Buchhandlung.
118 S. M. 2,20.
Bellermann lebt noch von jener klassischen Zeit, die
Wilamowitz als so unangenehmen Bann“ empfindet. Er
steht darum dem neuen geistigen Leben viel näher, denn
wenn auch die Bekenntnisse verschieden sind, so ist der
einfache Glaube, die reine Verehrung des schlechthin Großen
die gleiche. Etwas glüht in ihm nach von der „Schiller¬
und Goethezeit“ und das ist uns heute wieder lieber als
alles, was sich literarisch als Moderne bespiegelt. (Nur
seine Bemerkung über Humboldts „Agamemnon“ ist ver¬
Der Ton der Übersetzung ist der der
—
wunderlich.)
Epigonendichtung. Ein Vers wird dies Urteil genügend
erklären: „Athene! Göttin, meines Lebens Licht und
Hort!“ der wörtlich bescheidener, aber anmutiger so heißt:
„O Stimme Athanas, der liebsten mir von den Göttern!“
Bellermann wird gar nicht das Verlangen gehabt haben,
etwas Höheres als eine Epigonendichtung zu geben, und
so ist an seinem Werk nur auszusetzen, daß es schon in eine
Zeit fällt, da man nach dem wirklich Dichterischen greifen
darf und soll. Darum soll man nicht fragen, ob nun die
Aufgabe gelöst sei, sondern einfach aussprechen, mit wie
großer Freude diejenigen, die Bellermanns lebendige Ein¬
wirkung früher an sich verspürt haben, aus der Übersetzung
und dem gehaltvollen Vorwort die Erinnerungen an den
so hoch verehrten Lehrer wachrufen werden.
Kurt Hildebrandt
ETTIN
Arthur Schnitzler. Von Julius Kapp. Leipzig 1912,
Temen Beklag. 178 S. M. 2,50 (3,50).
Das hübsch ausgestattete Buch bildet die umfangreichste
der dem fünfzigsten Geburtstage Arthur Schnitzlers ge¬
widmeten Studien und soll als Gelegenheitsschrift nicht
mit dem strengen Maßstab einer großen wissenschaftlichen
Arbeit gemessen werden. Es ist jedenfalls sehr verdienstlich,
daß der Verfasser sich bemüht hat, ältere Arbeiten des Dich¬
ters, die, gänzlich verschollen und unzugänglich, selbst den
engeren Heimatgenossen unbekannt geblieben, ans Licht zu
ziehen und über sie Mitteilungen zu machen: so ein drama¬
tisches Gedicht „Alkandis Lied“, das schon 1890 Traum
und Wirklichkeit, wie später „Die Frau mit dem Dolche“
durcheinandergleiten läßt, und kleine Novellen, unter denen
besonders „Freund Ypsilon“ durch die erste Andeutung der
Auffassung des Lebens als Puppenspiel beachtenswert ist.
Die Charakteristik des Dichters war wohl nicht zu verfehlen,
und was der Verfasser in ganz gefälliger Form vorbringt,
entspricht der landläufigen Beurteilung. Größere Ver¬
tiefung, die ein verhältnismäßig umfangreiches Buch er¬
warten ließe, tritt nirgends zutage. Er zählt, dramatische
und prosaische Schriften trennend, die einzelnen Werke auf,
gibt den Inhalt und knüpft an jedes seine Bemerkungen,
die manchmal treffend, zumeist aber recht nichtssagend aus¬
fallen, namentlich bei den Erzählungen, denen er überhaupt
gegenüber den dramatischen Werken zu wenig Beachtung
schenkt. Oft hilft er sich mit konventionellen Floskeln weiter,
wenn es z. B. bei der Novellensammlung „Die Frau des
Weisen“ heißt: „Fünf zarte, duftige Gebilde hat Schnitzler
hier zu einem Strauße vereinigt.“ Zu den „amüsanten
Nichtigkeiten“ läßt sich „Andreas Thameyers letzter Brief“
gewiß nicht rechnen. Zum „Schleier der Beatrice“ dessen
hohe Einschätzung sehr erfreut, ist viel weniger Wedekind
als Grillparzers „Jüdin von Toledo“ heranzuziehen.
Störend wirken kleine Geschmacklosigkeiten, wie die Be¬
des Helden im „Märchen“ als „konstruierter
zeichnung
Trottel“. Auf das Technische des schnitzlerschen Dramas
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1d, Bellermann, Kapp
frühere Vorliebe für die Fremdwörter sehr erheblich ein¬
gedämmt ist. Nur hätten die für das Deutschtum und die
deutsche Sprache so mannhaft streitenden Männer Christian
Thomas und Georg Schottel auch ruhig mit dieser ihrer
deutschen Namensform anstatt mit der lateinischen genannt
werden sollen.
Hermann Jantzen
Königsberg i. Pr.
Aias. Tragödie des Sopholles. Uebersetzt von Ludwig
Bellermann. Berlin 1912, Weidmannsche Buchhandlung.
118 S. M. 2,20.
Bellermann lebt noch von jener klassischen Zeit, die
Wilamowitz als so unangenehmen Bann“ empfindet. Er
steht darum dem neuen geistigen Leben viel näher, denn
wenn auch die Bekenntnisse verschieden sind, so ist der
einfache Glaube, die reine Verehrung des schlechthin Großen
die gleiche. Etwas glüht in ihm nach von der „Schiller¬
und Goethezeit“ und das ist uns heute wieder lieber als
alles, was sich literarisch als Moderne bespiegelt. (Nur
seine Bemerkung über Humboldts „Agamemnon“ ist ver¬
Der Ton der Übersetzung ist der der
—
wunderlich.)
Epigonendichtung. Ein Vers wird dies Urteil genügend
erklären: „Athene! Göttin, meines Lebens Licht und
Hort!“ der wörtlich bescheidener, aber anmutiger so heißt:
„O Stimme Athanas, der liebsten mir von den Göttern!“
Bellermann wird gar nicht das Verlangen gehabt haben,
etwas Höheres als eine Epigonendichtung zu geben, und
so ist an seinem Werk nur auszusetzen, daß es schon in eine
Zeit fällt, da man nach dem wirklich Dichterischen greifen
darf und soll. Darum soll man nicht fragen, ob nun die
Aufgabe gelöst sei, sondern einfach aussprechen, mit wie
großer Freude diejenigen, die Bellermanns lebendige Ein¬
wirkung früher an sich verspürt haben, aus der Übersetzung
und dem gehaltvollen Vorwort die Erinnerungen an den
so hoch verehrten Lehrer wachrufen werden.
Kurt Hildebrandt
ETTIN
Arthur Schnitzler. Von Julius Kapp. Leipzig 1912,
Temen Beklag. 178 S. M. 2,50 (3,50).
Das hübsch ausgestattete Buch bildet die umfangreichste
der dem fünfzigsten Geburtstage Arthur Schnitzlers ge¬
widmeten Studien und soll als Gelegenheitsschrift nicht
mit dem strengen Maßstab einer großen wissenschaftlichen
Arbeit gemessen werden. Es ist jedenfalls sehr verdienstlich,
daß der Verfasser sich bemüht hat, ältere Arbeiten des Dich¬
ters, die, gänzlich verschollen und unzugänglich, selbst den
engeren Heimatgenossen unbekannt geblieben, ans Licht zu
ziehen und über sie Mitteilungen zu machen: so ein drama¬
tisches Gedicht „Alkandis Lied“, das schon 1890 Traum
und Wirklichkeit, wie später „Die Frau mit dem Dolche“
durcheinandergleiten läßt, und kleine Novellen, unter denen
besonders „Freund Ypsilon“ durch die erste Andeutung der
Auffassung des Lebens als Puppenspiel beachtenswert ist.
Die Charakteristik des Dichters war wohl nicht zu verfehlen,
und was der Verfasser in ganz gefälliger Form vorbringt,
entspricht der landläufigen Beurteilung. Größere Ver¬
tiefung, die ein verhältnismäßig umfangreiches Buch er¬
warten ließe, tritt nirgends zutage. Er zählt, dramatische
und prosaische Schriften trennend, die einzelnen Werke auf,
gibt den Inhalt und knüpft an jedes seine Bemerkungen,
die manchmal treffend, zumeist aber recht nichtssagend aus¬
fallen, namentlich bei den Erzählungen, denen er überhaupt
gegenüber den dramatischen Werken zu wenig Beachtung
schenkt. Oft hilft er sich mit konventionellen Floskeln weiter,
wenn es z. B. bei der Novellensammlung „Die Frau des
Weisen“ heißt: „Fünf zarte, duftige Gebilde hat Schnitzler
hier zu einem Strauße vereinigt.“ Zu den „amüsanten
Nichtigkeiten“ läßt sich „Andreas Thameyers letzter Brief“
gewiß nicht rechnen. Zum „Schleier der Beatrice“ dessen
hohe Einschätzung sehr erfreut, ist viel weniger Wedekind
als Grillparzers „Jüdin von Toledo“ heranzuziehen.
Störend wirken kleine Geschmacklosigkeiten, wie die Be¬
des Helden im „Märchen“ als „konstruierter
zeichnung
Trottel“. Auf das Technische des schnitzlerschen Dramas
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