27. 4. Mz. Nachm. bei mir. Sie kramte wieder ihre antisemit. Vorstadtweisheit aus, was mich
immer ärgert. Als sie mich um Verzeihung bat wegen ihrer Dummheit, sagte ich ihr,
daß ich ihr ebensowenig ihrer Ansichten halber böse sein könne wie einem Esel wegen
seiner langen Ohren. Es aegrirte mich heute wieder manches. Wie sie über Th. sprach: Um den Mund war er nicht schön!– Der Kennerblick!–
Dann ist sie freilich wieder so süss und zerfließt in Liebe und Zärtlichkeit. Auch
war ich heute wüthender denn je, daß ich körperlich nicht schön bin.–
Abds. trendel ich auf dem Rudolfspl. im Kfh.– Die Fenster bei R. waren alle erleuchtet. Es irritirt mich immer, wenn ich weiss sie ist hinter den
Fenstern und ich stehe machtlos unten.–
Hermann Bahr im Kfh. kennen gelernt. Liebenswürdig freier Mensch; im Gesicht Roheit, Geist, Güte,
Schwindelhaftigkeit.
Wenn man eine gewisse Reife der Erfahrung erlangt hat, so ist in jeder Bewegung nachgerade
ein Stück Pose und in jedem Gefühl: Das kommt von den vielfachen Erinnerungen an ein
gleichartiges, die einem die Unbefangenheit nehmen.–
Adolf W. ist mir einfach unsympathisch mit seinem Biedertum und seiner Schönrednerei. Seine
Mutter starb.
Wahrhaft tragikomisch ist das lächerliche an Leuten, die einem durch Pietät über alles
erhaben sein sollten.–
Kommentar
Überlieferung
Druck 1
Arthur Schnitzler: Tagebuch 1879–1892. Hg. Susanne Pertlik und Reinhard Urbach hg.
v. der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, Obmann: Werner Welzig Unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth.
Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1987.
Tagebuch von Arthur Schnitzler, 27. 4. 1891. In: Hermann Bahr – Arthur
Schnitzler: Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente (1891–1931).
Hg. Kurt Ifkovits, Martin Anton Müller, Stand 25. 11. 2024, https://hdl.handle.net/21.11115/0000-000E-8835-D.