29. Schöner kalter Morgen.
                     Lese, jene von 
Mongré citierte Stelle suchend, 
Nietzsche.
 
                     In XI S. 127, wo er gegen 
Wagner spricht, eine Stelle die auf die 
Elektra Hugos paßt: 
 
                     »Diese wilden Thiere mit Anwandlungen eines sublimierten Zart- und Tiefsinns haben nichts mit uns zu tun. Dagegen zum Beispiel Philoktet.«43 Die Definition find ich vortrefflich. Das Unterstrichne
                        falsch. Ich halte es vielmehr für das Wahre unserer Generation, daß in ihr die mittlere Cultur ausgewischt ist, sodaß das früher durch sie verborgene Thierische oder Primitve nun
                        wieder sehr deutlich wird, über welchem das Sublime schwebt, nemlich jene, einstweilen
                        freilich nur erst zu ahnende, manchmal blitzartig hereinscheinende, höhere Cultur,
                        welche die mittlere mit der Zeit ablösen und ersetzen soll.
                     Klimt gehört auch hieher.
                     –
                     Nachmittag nach 
Rodaun zum 
Hugo. Gespräch über »
Elektra« und »
Gerettetes Venedig«, ich ziehe jene vor, weil hier ausreicht, was 
Hugo bisher allein vollkommen kann und hat: der Ausdruck extremer Erregungen, während
                        er, um Ruhe darzustellen immer irgend einen fremden Nachton hat.
 
                     Hugo erzält von einem Briefe 
Peter Altenbergs, indem er die 
Elektra (übrigens ganz unartistisch, vielmehr um ihres Gerechtigkeitshungers willen) feiert,
                        
Goldmann für sein albernes 
Feuilleton beschimpft und fortfährt: »Ein Jude kann dies eben niemals verstehen!«!!! Ich komme
                        doch über die furchtbare innere Verlogenheit solcher Menschen nicht hinweg, nicht
                        etwa moralisch verletzt, sondern psychologisch befremdet, weil ich mir durchaus nicht
                        vorstellen kann, was in solchen Gehirnen Vorgehen mag.
 
                     Hugo erwähnt den Plan, im Sommer etwas »ganz Stilles und ganz Undramatisches« zu machen:
                        
Leda mit dem Schwan.
 
                     1Ich erzäle die Geschichte vom Herrn 
Fabichler, dem 
Linzer Dichter, der, von meiner 
Schwester protegiert, eigens zu mir fuhr, mir seinen Roman »
Künstlerinnengunst« zu bringen, die halbe Stunde bei mir aber keineswegs (obwol ich es ihm fast suggerierte)
                        versuchte, mir zu sagen, was er beim Schaffen sucht, was er will u. wonach er ringt,
                        was ihm vorschwebt, sondern mir immerfort nur erzälte, wie schwer es heute sei, sich
                        einen Namen zu machen, und wie wichtig, ja entscheidend die Protektion sei. Er hat
                        zuerst ein Stück geschrieben, weil er, als Deutschnationaler, alter Burschenschafter,
                        einen Weg zum 
Müller-Guttenbrunn zu haben geglaubt habe, der aber sein 
Stück gar nicht gelesen, sondern ihn an den Regisseur 
Pohler gewiesen, welcher ihn sogleich geduzt, aber nichts für ihn getan, sondern ihn zur
                        
Körner geschickt, die ihn auch wieder nur genarrt, was er nun alles, in der Hoffnung, daß es doch das
                        Publicum sehr interessieren müsse, in seinem Roman dargestellt. Nachdem ich diesen
                        gelesen, schreibe ich an ihn, ich fände sein Werk leider nicht so gut, daß ich darüber
                        etwas zu sagen hätte. Nun schreibt er wieder an meine 
Schwester, (gar nicht etwa beleidigt oder gekränkt), ich möchte doch also anonym eine günstige
                        Recension erscheinen lassen; und legt einen Brief der Frau 
Hinsenkamp bei, der Frau des 
Bürgermeisters von 
Urfahr, in welchem diese für die Zusendung seines Werkes dankt, es lobt und gleich (dies
                        war offenbar ihr erster Gedanke) im dritten Satze ausruft: »Wie mögen die Literaturgrößen
                        in 
Wien vor diesem Werke erschrecken und erzittern!« Und nun spreche ich mit 
Hugo davon, wie wir, er, ich, 
Schnitzler, 
Hauptmann, alle, geradezu ausspähen nach Talent, wie wir darunter leiden, daß keine Jugend da ist,
                        daß wir so wenige sind, daß wir allein das Gefühl haben, nicht auszureichen für alles,
                        das notwendig ist, und wie wir aufatmen würden, wenn irgendwo ein neues Talent zu
                        sehen wäre.
 
                     Von hier geht das Gespräch wieder auf mein Hauptthema, worin ich das Zeichen sehe,
                        daß es mit 
Ostreich aus ist: nemlich daß in kräftigen Nationen jeder den anderen zu brauchen fühlt, auch
                        den Gegner, mit dem er sich doch am selben Werke arbeiten weiß und den er, um seiner
                        selbst willen, sich nur recht stark und entschieden wünscht, weil, je schöner jener
                        seine Kräfte spannt, je mächtiger er eben daran die seinen, die eigenen entfalten
                        kann, wie man ein Assaut nur mit einem ebenbürtigen Fechter schlagen kann, vor einem
                        wüsten Naturalisten aber unfähig ist, seine Kunst zu zeigen.
 
                     Ich erzäle dann von dem Brief, den der junge Herr von 
Sonnenthal (Beamter der Elektrizitätsgesellschaft Siemens, mit einer 
Tochter des Direktors 
Herz verheiratet, etwa gegen vierzig Jahre) an 
Fritz Wärndorfer in Erwiderung einer Einladung seiner kleinen Tochter 
Everl zu einem Marionettentheater für die 
Kinder Wärndorfers geschrieben hat, diese ablehnend, um sein 
Kind vor dem »Gifte« der sogenannten »Moderne« zu bewahren, in welcher er nur Perversität,
                        Hysterie und Speculation einiger Betrüger auf die Hysterie und Perversität sieht.
                        Characteristisch ist darin, wie er 
Wärndorfer an die alte Zeit erinnert, welcher dieser sich wol jetzt schäme, als er noch für
                        
Bellini schwärmte und in der 
Albertina vor einer Handzeichnung 
Rafaels in Entzücken geraten konnte – als ob notwendig ein Verständis moderner Werke und
                        Gefühl für sie mit Verachtung für jede alte Kunst verbunden sein müßte!
 
                     Und ich, wieder von 
Östreichs Elend sprechend, zeige daran, wie wir für einander völlig zu Barbaren geworden sind,
                        die einer des anderen Sprache nicht mehr verstehen. Es felt jede Verbindung zwischen
                        den einzelnen Gruppen der Bildung, welcher Zusammenhang allein es doch ist, der Cultur
                        ausmacht – wir haben nur extreme Bildung einiger weniger und extreme Verkommenheit.
 
                     –
                     Fahre in der Dampftramway mit 
Gustav Schwarzkopf zurück, von der kleinen 
Martha Karlweis sprechend, die zwei merkwürdig begabte Novellen geschrieben hat, dann über die 
Odilon, die vorgestern in 
Innsbruck einen Gehirnschlag erlitten hat, dabei über die Gemeinheit der Presse, die, ohne
                        den Verlauf der Krankheit abzuwarten, gleich weiß, ihre künstlerische Carrière sei
                        vollendet.