30. Früh trüb.
An den »
Schwestern« weiter:
6.) Das letzte Bild spielt fünfundzwanzig Jahre nach dem ersten. Mariann ist, als
glückliche Gräfin, eine geistig sehr elegante, innerlich sehr vornehme, über ihren
stillen Kreis Glück und Glanz verbreitende Frau geworden, die nun ein bisschen mit
ihren weissen Haaren kokettiert und ihren Stolz darein setzt, mit Anstand und Anmut
zu altern. Den Grafen amüsiert es, in seinem Hause eine Art Republik der freien Geister
zu finden, und er spottet bisweilen selbst darüber, wie er, der damit begann, alle
Aristokratie zu hassen, nun als Hausherr der neuen endet, die sich eben bildet: »Solche
Streiche spielt einem das Blut.« In dieser reinen freien und frohen Luft ist der Knabe
aufgewachsen, eine weiche, biegsame Natur, wie sein Vater war, hier aber nur durch
schöne Eindrücke zum Guten bestimmt, sozusagen ausserhalb der realen Welt erzogen,
von der ganz anderen Realität der neuen Gedanken, Wünsche, Gefühle umgeben. Er hat
studiert, ist dann in Europa und Amerika gereist, treibt Archäologie, dilletiert in
Musik und schwankt noch, ob er als Landwirt auf irgend einem Gute leben oder sich
für Kunstgeschichte habilitieren soll, zu jenem durch seine tiefe Lust an der Natur, sein Gefühl für Arbeit an der Erde, schliesslich seine Neigung
für einfache und komplicierte still lebende Menschen, zu diesem durch das Bedürfnis
geistigen Verkehres in einer erregten Stadt gelockt. Er vergöttert seine Mutter und
hat zu dem Grafen ein wunderschönes Verhältnis, fast wie zu einem älteren Bruder,
den der jüngere sehr gern hat, den er bewundert und dem er sich, auch wo er ihn nicht
ganz versteht, willig fügt. Von der Vergangenheit seiner Mutter weiss er nichts. Dies
ist der einzige Punkt, worüber Mariann manchmal mit dem Grafen streitet. Sie hat schon
dem Knaben alles sagen wollen. Sie will kein Geheimnis vor ihm haben; sie will auch
nicht etwas scheinen, was sie nicht ist, sowie sie ist, will sie sein Verehrung und
Liebe haben. Es ist ihr ja auch gar nicht bang, sie ist ganz sicher, dass er sie verstehen
und
ihr recht geben wird. Der Graf, mit seiner fast
indischen Ergebenheit des geduldigen Vertrauns auf das Schicksal, denkt darüber Anders; er will nichts
forciern.
Er Er hat es nicht gern, dass man grosse pathetische Scenen oder Enthüllungen
und Erklärungen macht. Lassen wir das Schicksal unser Leben inscenieren. Wenn die Dinge reif sind, fallen sie uns von selbst zu.
Man soll nichts verzögern, aber auch nichts übereilen. Gewiss muss der Knabe einmal
alles erfahren. Aber es wird schon der Tag kommen, der dies bringt. Geschieht es auf
eine stürmische, hässliche, den Knaben quälende Weise, so darf man ihm auch dies nicht
ersparen. Seiner so sorgsam gehüteten und mit zärtlichen Händen geführten Entwicklung
wird das vielleicht sogar heilsam sein. Das Leben lässt sich nicht betrügen. Was einem
Menschen an Krisen und Erschütterungen und Qualen zugemessen ist, das liegt in seiner
inneren Natur, diese braucht es und so erzwingt sie sich es; es ist töricht, sie davor
bewahren zu wollen, und wäre ihr nur schädlich. Inzwischen ist es im Hause der Katharin
immer bergab gegangen. Der Graf hat ihren Mann damals, als er mit jener Erpressung
kam, sanft hinaus geworfen. Dieser ist seitdem immer verbitterter, immer gemeiner
geworden, hat sich versoffen, ist bei der Fälschung eines Wahlzettels erwischt und
eingesperrt worden und zuletzt an Delirium gestorben. Katharin in grosses Elend gesunken, allerhand unsaubere Geschäfte betreibend, Kartenaufschlägerin,
mitunter auch Engelmacherin, alles immer mit dem blödsinnig wiederholten Refrain:
»Anständige Leute haben halt kein Glück; ein Luder muss der Mensch sein!« Verzieht
ihren wilden Buben völlig und impft ihm ihren Hass, gegen jeden, der etwas ist, besonders
aber natürlich gegen ihre Schwester ein. Der Bub, schon durch seine brutalen
Instinkte dazu disponiert, verwildert immer mehr, hat schon gestohlen, ist schon gesessen,
bildet sich darauf noch etwas ein, lebt als Zuhälter, spielt eine Art Grasei und prügelt
seine Mutter. Der Hass gegen den jungen Grafen ist ihm immer zu Hause gepredigt worden.
Nun begibt es sich noch, dass er ihm einmal nach der Oper, wo er manchmal herumlehnt,
um ein Trinkgeld zu erhaschen, die Thüre zum Wagen öffnet und dabei, was er sich übrigens
nur einbildet, einen Blick unsäglicher Verachtung zu gewahren glaubt. Das bringt ihn
ausser sich: »Wenn ein Graf so schaut, sag i nix. Das is ein Graf. Ein Graf därf.
Aber der! So ein Bankert von meiner Frau Tant’! Wart nur!« Nun findet bald darauf
ein Congress der Archäologen statt, der junge Graf hat ein Referat, zeichnet sich sehr aus, wird dem Minister vorgestellt,
dem er über die Ausgrabungen in Dalmatien berichtet, die Zeitungen schlagen dies sehr
breit, sein Bild wird gebracht, der, junge Aristokrat«, der die Vereinigung der alten
Tradition mit der modernsten Bildung vollzogen hat, wird schwungvoll gefeiert. Die
Katherin bringt die Zeitung nach Haus, der Bub liest das und da er der richtige Sohn
seines Vaters ist, entladet sich sein Zorn in einer Erpressung. Er argumentiert genau,
wie damals sein Vater. Er entschliesst sich, den jungen Grafen aufzusuchen, erstens
um ihm sehr wehe zu tun (»das Bürscherl soll schaun«) und zweitens um für sich Geld
herauszuschlagen. Er schreibt einen verworrenen und dunkel drohenden Brief an den
Grafen, der damit gar nichts rechtes anzufangen weiss, Anspielungen merkt, aber nicht
versteht, ein geheimes Grauen vor einem solchen Menschen, wie er aus diesem Briefe
spricht, aber doch auch Mitleid mit ihm hat und ihn, seinem Wunsche gemäss für eine
bestimmte Stunde zu sich bestellt.
In dieser Scene, in der sich die beiden jungen Menschen gegenüber stehen, die Resultate der beiden Weltanschauungen, gipfelt das
Stück. Der Sohn der Katherin beginnt ungezogen und brutal, wird aber, da ihn der junge
Graf ruhig menschlich empfängt, gleich verlegen, traut sich nicht recht, möchte am
liebsten wieder fort. Da aber der Graf in ihn dringt und gütig bereit ist, ihm zu
helfen, wenn er sich ihm anvertraut, schämt er sich so, dass er, nach der Art roher
Naturen, die sich getroffen fühlen, wieder brutal wird. Nun kommt die Enthüllung sehr
rasch. Der junge Graf, unfähig seinen Anblick noch zu ertragen, fertigt ihn mit einer
Summe Geldes ab und weist ihn hinaus. Dann bricht er zusammen. Der alte Graf kommt
und die grosse Scene der Auseinandersetzung, von vornherein so geführt: Ich will nicht
Dich dahin bringen, dass Du Deine Mutter entschuldigst, dass Du begreifst, wie dies
alles aus ihrer innersten Natur heraus so kommen musste, dass du ihr verzeihst; sondern
Du sollst einsehen lernen dass Du ihr nichts zu verzeihen hast, dass sie rechtgehabt
hat. Du bist doch sonst so stolz auf Deinen freien Geist. Nun also, nachdem wir uns von allen Vorurteilen freigemacht haben,
ist uns nur ein einziger Richter über unser Leben geblieben: Was nämlich aus ihm wird
entscheidet. Sieh Deine Mutter an, wie sie ist und denk Dir daneben ihre elende und
schändliche Schwester. Vergleiche, was Deine Mutter aus Dir gemacht hat und was aus
dem Sohn der anderen ge worden ist und dann wähle. – Nun noch nur eine ganz kurze
Scene mit der Mutter, in der der Sohn sie um Verzeihung bittet (weil er in Gedanken
einen Moment an ihr zweifeln konnte), sie aber dies zurückweist: »Es ist gar kein
Anlass, mein Kund, sentimental zu werden. Weder für Dich noch für mich. Denn dies
alles, wovon hier die Rede war, geht doch unseren inneren Wert und das was wir sind,
nichts an. Es sind höchstens Fragen des äusseren Lebens und seiner Eintheilung über
die man ja schliesslich verschieden denken kann, aber Menschen, die etwas sind, nicht
ernstlich streiten werden; dafür sind sie doch wirklich nicht wichtig genug. Komm’,
in die Oper.«
Mit der
Gerty nach
Schönbrunn und aufs
Gloriette. Besonders die Blicke auf die breiten, steil aufsteigenden, glatten Wege, die auf
beiden Seiten von mächtigen Bäumen, am Ende vom flammenden Abendhimmel begrenzt sind.
Der Teich, unbeweglich glatt, wirklich wie ein Spiegel.