2. Regen. Sturm.
                     Früh großer Brand des 
Geigerschen Holzplatzes; man sieht das Feuer von uns aus wunderschön.
 
                     –
                     Ich schreibe 
an 
Stefan Großmann: 
 
                     Sehr verehrter Herr 
Grossmann!
 
                     Als ich im Juli Ihre »
Gasse« las, wirkte sie so seltsam stark auf mich, dass ich nicht nur in meinem Kreise gern
                        davon sprach (wo mir freilich eingewendet wurde, was mir daran so gefiele, sei wahrscheinlich
                        mehr 
Tschechow, den ich nun erst las, aber doch ganz anders fand), sondern 
auch Ihnen schon einmal schreiben wollte. Ich liess es, weil man sich in 
Wien daran gewöhnt, dass einem kein Mensch glaubt, was man sagt, sondern jeder gleich
                        darunter und dahinter etwas anderes sucht, wodurch man feig und einsam gemacht wird.
                        Als ich Sie nun gestern aus der Ferne im 
Raimund-Theater sah, fiel mir dies wieder ein, ich wäre gern zu Ihnen gegangen, aber ich habe wieder
                        jene 
östreichische Gêne gehabt, die uns fürchten lässt, den Argwohn der Menschen zu erregen oder aber
                        ihnen lächerlich zu werden, wenn man so mit ihnen spricht, wie es natürlich wäre,
                        dass die Menschen miteinander sprechen müssten. Jetzt aber gewährt es mir Ihr Brief,
                        für den ich Ihnen herzlich danke, Ihnen sagen zu dürfen, dass mir Ihr Buch eine stark
                        eindringende und beharrlich nachgehende Wirkung gemacht hat, dass mir Ihre Art, nichts
                        jemals blos zu referieren, sondern alles immer 
blos darzustellen, diese ganz unfeuilletonistische, durchaus plastische Art eine wunderbar
                        künstlerische scheint, und dass mich ausserdem Ihr Verhältnis zum Volk, das ich mehr
                        ahne als eigentlich begreife, merkwürdig ergreift und indem es mich fast (vielleicht
                        aus einem tief verborgenen Neid) traurig macht, mir doch als das Zeichen einer Zukunft,
                        nach der ich mich müd und alt gesehnt habe, wol tut. Ob ich aber dies und manches
                        andere, was zu sagen wäre, öffentlich Vorbringen kann, weiss ich nicht. Ich reduziere
                        meine journalistische Tätigkeit jetzt auf ein Minimum. Jedes Feuilleton, das ich schreibe
                        (gleich wieder das neulich, welches Sie erwähnen), muss den Nig
gerln durch einen erbitterten Kampf abgerungen werden und ich zweifle manchmal, ob
                        es sich lohnt, so seine Kraft zu vergeuden, und ich frage mich oft, ob man nicht besser
                        tut, 
Wien den Nig
gerln, auf die es so stolz ist, zu überlassen, und das bisschen Eitelkeit, das schliesslich
                        jeder hat, durch 
Berliner und europäische Erfolge zu befriedigen 
oder doch beschwichtigen.
 
                     Vielleicht trifft es sich, dass wir von allem diesen einmal reden. Jedenfalls wissen
                        Sie mich Ihnen aufrichtig ergeben und froh auf Sie hoffend.
                     Hermann Bahr.
                     –
                     
                     Verehrter Freund! 
                     Ihr Brief wurde mir, da ich verreist war, nachgeschickt, verfelte mich, blieb liegen
                        und so kann ich Ihnen heute erst antworten. In 
Amerika kenne ich keinen einzigen Menschen, kann Sie deshalb auch an Niemanden empfehlen,
                        ermächtige Sie aber gern, überall zu erklären, dass ich Sie unveränderlich schätze
                        und nach meiner Meinung alle anständigen Menschen hier fortfahren, Ihnen die größte
                        Sympathie und Verehrung darzubringen. Den Fall 
Beer-Hofmann, den ich nicht verstehe, kläre ich auf so bald er zurückkommt. In Ihrer Sache finden
                        Sie mich immer bereit. Mit 
Loos, den ich künstlerisch hochachte, im Praktischen aber für einen Wurstl halte, will
                        ich nichts anfangen. Mit 
Bachrach gern, nur ist er mir unbekannt, ich kann ihn nicht aufsuchen. Sie müssten die Verbindung
                        herstellen, vielleicht durch Ihre 
Frau, die ich ja auch nicht kenne, aber aufsuchen will, wenn sie es wünscht und irgend
                        glaubt, dass ich ihr raten kann, Ihnen zu helfen.
 
                     Mit den besten Wünschen 
                     Hermann Bahr.
                     Adressieren Sie bitte nicht an das 
Tagblatt,
sondern nach 
Wien, 
XIII/7.
 
                     –
                     
                     
                     Für Ihre Karte will ich ihnen herzlichst danken. Ich kann mir wol denken, dass es
                        in Ihren Bergen wunderschön sein muss. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, mit Ihnen
                        einmal von der 
Akropolis über’s 
attische Land zu schauen.
 
                     Im nächsten Heft der 
Rundschau ist mein »
Dialog vom Marsyas«, der mir in 
Athen aufgetaucht ist. Ich bitte Sie, ihn zu lesen und mir dann zu sagen, ob es Ihnen recht
                        ist, dass er, in der Buchausgabe, Ihnen gewidmet, wird mit der einfachen Inschrift:
An 
Gerhart Hauptmann.
wie mein »
Dialog vom Tragischen« »an 
Gustav Klimt« getauft ist. Dadurch möchte ich Ihnen sagen, dass ich es zu den schönsten Glücksfällen
                        meines Lebens rechne, allmälig ein so rein und ruhig bewunderndes Verhältnis zu Ihren
                        Werken gefunden zu haben, was mir nicht leicht wurde.
 
                     Im Sommer habe ich Ihnen einmal meinen »
Franzl« geschickt, da 
Burckhard Ihnen 
Stelzhammer näher gebracht hat. Haben Sie darin geblättert? 
 
                     Mit vielen Grüssen an Frau 
Grete und die nächste 
Generation 
                     Herzlichst Ihr 
                     Hermann Bahr.
                     –
                     Sehr vergnügt, daß es dem braven 
Mattasich doch gelungen ist, die arme 
Luise von Coburg zu befreien. Alle Menschen freuen sich, alle wissen, daß er unschuldig, daß sie nicht
                        verrückt ist. Aber keiner hat für ihn oder für sie das Geringste getan. Das ist das
                        specifisch 
Östreichische. Entweder: »gewiß ist das ungerecht, aber Sie werden das nicht ändern, das Leben
                        ist eben ungerecht« (auf dieser Grundweisheit beruht alle katholische Corruption,
                        die das Leben nicht corrigieren will, weil es die Kirche nötig hat, daß es incorrigibel
                        ist). Oder: »Der 
M. hat freilich keine Wechsel gefälscht, aber er ist schon ein recht unsympathischer
                        Herr, sie ist nicht verrückt, aber ich mag diese aristokratischen Urscheln alle nicht.
                        Wissens?« (Dasselbe wie man über den Dr. 
Beer sagt: er ist ein Snob. Oder wenn ich, beim Grafen 
Milewski, fragen: »also dürfen in 
Östreich Grafen auf uns ungestraft schießen?«, mir antwortet: »für so einen Juden wie diesen
                        
Barber treten sie ein?«) Wir leben hier in einer Zone der Menschheit, welcher das Rechtsgefühl noch unbekannt
                        ist. Es reizt mich sehr, über diese Dinge, über das Barbarische unserer Existenz,
                        das man, durch unseren liebenswürdigen Ruf getäuscht, nirgends ahnt, an 
Harden eine Serie »aus 
Östreich« zu schreiben, da doch unsere dem Abonnenten nachjagenden Zeitungen den 
Östreicher immer nur so schildern, wie er sich gern sehen möchte, um sich über sich 
zu täuschen zu können. Soll ichs tun?
 
                     Bei der 
Gerty in 
Rodaun. Trüb, herbstlich. Abschied, da sie morgen mit 
Schnitzlers zu 
Hugo nach 
Lueg fährt.
 
                     Abends kommt die Hand der 
Eysoldt an, ich sitze lange sie betrachtend.