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Der Prophet. Zuerst Vater und Mutter. Nach dem Essen. Still besorgt, sie wollen es
aber einer dem anderen nicht merken lassen, bis sie sich’s lächelnd eingestehen. Der
Vater erzählt, dass er zufällig den Professor Kunz begegnet habe, der, noch der netteste
von den Herrn und wirklich dem Otto gut gesinnt, doch über ihn geklagt und den Vater
gewarnt habe, ihn »schlech »schlechter Gesellschaft« zu überlassen. Er frage sich nun, ob er das dem Buben überhaupt
sagen solle, da bei seiner Heftigkeit zu fürchten sei, dass er sich dann noch recht
verrennen würde. Die Mutter meint, an dieser unläugbaren und vielleicht noch einmal
gefährlichen Heftigkeit seien sie selbst schuld durch ihre Gewohnheit, schon dem Kinde
in Allem nachzugeben. Der Vater gibt dies zu, kann es aber nicht beweinen. Er hält
von der »strengen Erziehung« nichts, die er aus eigener Erfahrung kennt. Sein Wille ist,
schon als er noch ein Kind war, systematisch zerbrochen worden. Es mag sein, dass
dabei manches Böse ausgerissen worden ist, aber das andere auch. Sie findet, er habe
keine Ursache, sich zu beklagen. Er bestätigt es: durch Zufall sei es bei ihm noch
gut ausgegangen, indem er sich unter seinen Blinden, deren Lehrer er ist, in dieser
stillen, abgerückten Welt, sehr wohl befinde. Das war ein Glück für ihn: in der Welt
selbst, in der wirklichen, wo die Menschen stossen, hätte er sich kaum zurecht gefunden.
Gott sei Dank . . . und doch ist mir manchmal noch immer, als würde mir bang nach ihr, nach der bösen
wilden Welt, aus der ich entflohen bin. Nein, für mich nicht, für mich sehne ich mich
nicht nach ihr. Ich bin für sie verdorben. Aber mein Bub soll stark für sie sein.
Wie ich denn überhaupt alle Wünsche für mich jetzt auf ihn übertragen habe. Die Mutter ist ganz seiner Meinung, nur fragt sie, ob man nicht doch ein bisschen bremsen sollte; Otto treibe es
in der letzten Zeit ein bisschen arg. Der Vater: Mein Gott, so sind sie heute, sie
wollen sich »ausleben«. Sie hat nichts dagegen, nur gegen das Tempo; sie sagt ihm
immer: Vergiss nicht, Otto, morgen ist auch noch ein Tag. Der Vater: »Ich weiss nicht.
Morgen. Bei mir hats immer geheissen: Morgen. Und so hab ich mir zuerst gedacht: bis
ich nur einmal das Gymnasium hinter mir habe! Und dann: bis ich nur erst die Universität
hinter mir habe! Und wieder: bis ich nur das Provisorische hinter mir habe! Plötzlich
bemerke ich jetzt, dass ich das Leben hinter mir habe.« Die Mutter, ein bisschen gekränkt:
»Schau. Ich habe gar nicht gewusst, dass das Leben so wenig schön für dich ist.« Vater:
»Nein, Marie, es ist wunderschön. Für mich könnte es gar nicht schöner sein. Für Einen, der ist wie ich. Aber ich könnte mir Einen denken, für den es noch ganz anders
schön sein müsste. Und so einer möchte ich, dass der Otto werden soll. Einer der wagt, der es mit beiden Händen greift,
der es überall spürt. Für den das alles wirklich würde, wovon wir nur immer geträumt
haben.« Sie stimmt ja zu, bleibt aber dabei, dass man ihn aber doch »behüten« müsse.
Bei seiner Arglosigkeit. Hier unter den Blinden ganz im Stillen aufgewachsen. Ein
scheues Kind. Menschenfern. Bis zum Obergymnasium zu Hause erzogen. Es geht ihr jetzt
plötzlich zu schnell: bis vor zwei Jahren wirklich noch ein Kind, auf einmal völlig
erwachsen. Sie kann sich nicht hinein finden. Er erinnert sie, wie die Entwicklung
des Knaben immer stossweise gegangen, körperlich und geistig: wie er bis zum siebenten
Jahr gestottert, dann aber plötzlich Gedichte aufgesagt habe und so weiter. Sie gibt
das alles zu, beklagt sich aber über einen gewissen heimlichen Trotz den er neuestens
habe; der sei fast feindselig. Und dann müsse man in seinen Jahren immer auch bedenken:
ob da nicht eine Frau dahinter steckt. Darauf sagt Edmund blos verwundert fragend: Und? Sie schweigt zuerst, dann
lachend: »Ja Du! Darin bist ja Du das grösste Kind. Du ahnst ja nicht, wie schlecht
eine Frau sein kann.« Edmund: »In manchen Büchern steht davon zu lesen, ich habe es
nie gespürt.« Marie: »Aber ich.« Edmund, lächelnd: »Wann? Wo?« Marie: »In mir. In
mir selbst.« Edmund: »Das versteh’ ich nun gar nicht.« Marie: »Ja die Menschen, so
gut und so nahe sie sich sind, verstehen sich doch nie. Ich möchte nicht, dass es
uns auch mit dem Otto so geht.« Nun kommt wieder seine lebenscheue Natur zum Vorschein,
die sich fürchtet, irgend etwas fest anzupacken. Man muss es lassen. Man muss Geduld
haben. Es kommt wie’s kommt. Mit den Händen im Schoss. Worauf sie sagt: »Es ist merkwürdig,
wie Du so stolz auf Deinen Unglauben und doch eigentlich der frömmste Mensch bist,
den ich mir denken kann, so völlig Gott ergeben und voll Vertrauen auf ihn.« Edmund:
»Nicht auf ihn. Aber auf den Menschen habe ich Vertrauen. Das Böse, denke ich mir, ist nur durch
den Zwang in den Menschen gekommen. Was unterdrückt wird, schlägt dann aus, verwandelt
sich, wird zum schleichenden Gift, das wir das Böse nennen. Der freie Mensch, unbeklommen
sich entwickelnd, wird der Gute sein.« Marie: »Ja das ist Deine Theorie.« Edmund:
»Ja Kind, an welche Theorie soll ich mich halten, als an meine?« Marie: »An keine.
Das ist meine. Mit den Theorien habt ihr das Leben verpfuscht.« Edmund: »Das ist weiblich
gedacht.« Marie: »Euch ist alles weiblich gedacht, was es nicht männlich ist. Ihr
vergesst das Dritte.« Edmund: »Das wäre?« Marie: »Menschlich zu denken.« Edmund: »Spiel
nicht mit Worten.«
Es muss gleich Anfangs gesagt werden, dass Otto jetzt immer öfter unentschuldigt vom
Essen ausbleibt, auch Nächtelang schwärmt und dann verschlossen, wortkarg und mürrisch
ist. Marie gibt die Schuld dem Orcus, dem Propheten von dem jetzt so viel die Rede ist. Ein Caféhaus-
Sokrates, hat der Professor Kunz von ihm gesagt, ein
Diogenes der Cabarets. Halb ein Genie, halb verrückt und ein ganzer Hochstapler. Ratenfänger,
der mit seiner süssen Pfeife die Kinder betört. Edmund, ohne ihn zu kennen, verehrt
ihn aus der Ferne, »weil dies doch einmal ein Mensch ist, der den Mut hat, unbekümmert
sein eigenes Leben zu leben.« Marie: »Unbekümmert? Um die Zeitungen muss1 er sich
doch kümmern, sonst würden sie nicht so viel von ihm reden.« Edmund: »Sie verhöhnen
ihn.« Marie: »Das ist die heutige Form des Ruhms. Es kommt auf das
selbe heraus.«
Marie sagt zu ihrem Manne Edmund über ihren Sohn Otto: Von Euch beiden bist ja Du
der jüngere. Innerlich.
Edmund sieht auch furchtbar jung aus.