30. 9. 07
                     Liebes! Ich bin gut angekommen, hab stöhnend ächzend schwitzend ausgepackt und das
                        erste, was ich jetzt tu, ist 
Dir zu sagen, daß ich Dich furchtbar lieb hab und daß ich mich wund und weh sehne nach
                        Dir und daß es eigentlich entsetzlich wäre Jemanden so lieb zu haben, wenns nur nicht
                        so wunderschön wäre! Ach Gott, ist mein Zimmer scheußlich! Gott, ist mir das alles
                        zuwider! Gott, ist das überhaupt doch dumm von mir, hier in der Welt herumzutappen,
                        wo ich doch nichts nichts nichts zu suchen habe und wie verloren und verlaufen bin, weil ich doch 
Dir gehör. Ich tus auch nicht wieder. Wenn ich irgendwie mir irgendwo einen Contract
                        herausschinden kann, der mirs möglich macht, ganz bei Dir zu bleiben, geh ich nicht
                        mehr her. Ich weiß nicht warum, aber heuer ists mir noch viel schwerer, als das letzte
                        Jahr. Schon der Abschied gestern. Ich war wie verblödet vor Schmerz. Und jetzt ists
                        ganz schauerlich, das Heimweh nach Dir. In dieser schönen Stimmung gehe ich jetzt
                        ins Theater, zu 
Reinhardt.
 
                     30. 9. 07
                     Abends halb elf.
                     Ich tappte also dann ins Theater, schäkerte im Hof beim schönsten Sonnenschein und
                        einer 
Lidohitze mit allerhand Mimen (aber keinen Miminnen, denn es war gar keine sichtbar) und
                        ging dann zu 
Reinhardt, der, wie immer, gescheit lieb und herzlich war, während ich den um ihn versammelten
                        Dramaturgen sofort an den tief gekränkten Mienen ansah, daß sie bereits die 
Nachtigall mit Erfolg gelesen haben müssen; besonders 
Holländer hatte, als ich ihn fest umarmte, in seinem Lächeln was Schnaubendes. Ich stellte mich aber furchtbar dumm, bemerkte gar nichts und war
                        von einer bezaubernden Herzlichkeit.
 
                     Dann mit 
Reinhardt über 
Genovefa. Probe kann ich erst Donnerstag in acht Tagen haben. Und bis dahin setz ich ihm schon
                        den Kopf soweit zurecht, daß ich den größten Teil der Skizzen doch retten werde –
                        hoffentlich! 
 
                     1Dann schlief ich in meinem unwirtlichen Gemach ein bischen, trank einen Café, sah
                        mir dann abends zwei Akte einer alten 
Posse an, wurde auf der Stiege von einem plötzlich über mich sinkenden Busen an der Brust
                        getroffen, es war der von 
Lucie, die mir aber, weil sie drüben »
Liebelei« zu spielen hat, gerade nur zuflüstern konnte, daß sie mich noch immer, hoffnungslos,
                        liebt, und stürzte mich dann in den Rachen des Löwen, nemlich ins Bureau der Dramaturgen
                        – 
Holländer hat mir eben »bewegt« gestanden, daß alle über die 
Nachtigall tief gekränkt und beleidigt und schwermütig sind, was ich mit einem vortrefflich geheuchelten Erstaunen, innerlich aber mit der
                        größten Wurstigkeit aufnahm. Mir sind alle anderen Menschen auf der Welt, außer 
Dir, so gleichgiltig geworden – es ist eigentlich furchtbar.
 
                     Und nun denk ich an 
Dich, und daß heute 
Iphigenie ist und ob Du meine Blumen bekommen hast und daß für mich alles andere versunken
                        ist, was nicht Du bist, und daß ich 
Dich lieb hab, lieb lieb.
 
                     Gute Nacht.