Dienstag, 3. November
                     Es war sehr hüsch in 
Sárvár. Merkwürdig viel 
Magyarisch hörte ich dort unter dem Volke reden. 
Ungarn ist für mich mehr denn je ein Problem – das ich bisher höchstens durch leidenschaftliches
                        Vorurteil, nicht durch ein Urteil gelöst habe.
 
                     Lese 
Trevelyans 
Life of Macaulay. Ein wunderbarer Mensch ist 
Macaulay! Seine Briefe einfach entzückend klug, klar, witzig! Die Biographie ist des großen
                        Geistes würdig.
 
                     Lese 
Oldenbergs 
Indische Literatur: schönes Buch. Las ein sehr kurzsichtiges 
Buch des Kommerzienrats 
Goldberger über 
Amerika! Die Leute sind jetzt ganz toll, beurteilen die Zukunft einer Nation ausschließlich
                        nach ihrem Import und Export.
 
                     Gestern bei Hofrat 
Sieghart, um 
Bahr eine Audienz bei 
Koerber zu erwirken. 
Bahr war vorgestern hier: er hat sich in eine Art von Fechterstellung zugunsten des von
                        der Presse unterdrückten »
Reigen« von 
Schnitzler begeben. Ich finde seine Position echt, aber zwecklos. Es hat keinen Sinn, für die
                        Kunst und ihre Freiheit immer dort am schärfsten einzutreten, wo sie der Pornographie
                        am nächsten ist. Fand bei 
Burckhard, der anwesend, einige Zustimmung.
 
                     Landtagsdebatten über die Arzte eine wahre Schande für Wien! Wann wird diese Woge
                        der Rohheit und Unwissenheit zurückebben! Und doch ist sie nur eine notwendige Folge
                        der bodenlosen Unwürdigkeit des Wiener Liberalismus der Siebzigerjahre, des geistigen
                        Hochmutes jener Generation, in der die 
Unger. 
Glaser, 
Schmerling und die minores dii mit tiefer Verachtung der misera plebs 
Österreich »vorwärtsbrachten«. Und doch muss auch jetzt wieder eine Reaktion gegen das Zuviel
                        dieser Reaktion kommen! Sed quando et quomodo? Wenn man nur etwas dazu tun könnte,
                        eine neue Zeit heraufzuführen! 
 
                     Terese muss nach 
Davos! Ihre Lunge ist tuberkulös affiziert, zwar nicht sehr stark, aber doch so, dass alles
                        zur Heilung Erforderliche geschehen muss. Ich habe dieses Unglück längst vorausgesehen
                        und bin erbittert über den, der es gleichfalls längst hat sehen müssen! Jetzt kann
                        ich nur das Beste ersehnen und hoffen! – – Es ist schlimm für eine Mutter von drei
                        
Kindern, mit 34 Jahren siech zu sein! Sehr traurig!