Ich will Ihnen gleich in der ersten Freude sofort für Ihren lieben Brief danken, der
mich beglückt und fast auch beschämt: denn »
gekränkte Liebe war mein ganzer Zorn« und in allen meinen Klagen über den »Verleger« stak im Grunde nur die Bitterkeit
des seit Jahren wachsenden Gefühls, daß Sie sich mir immer mehr entfremdeten, daß
Sie menschlich immer mehr von mir abgerückt sind, daß Sie vergessen, wie wir doch
eigentlich zusammen angefangen haben; das Gefühl gemeinsamen Anfangs ist ein Menschen
wunderschön vereinigendes Band, Sie schienen es mir zu lockern. Und wenn ich zuweilen
fand, daß Ihr
Verlag für das eine oder das andere Buch von mir (»
Himmelfahrt« hauptsächlich) mehr hätte tun können, so lag auch darin ein Gefühl von Kränkung im Grunde: für
mich, wie wir, ob wir wollen oder nicht, innerlich zu einander stehen müssen, müßte der
Freund mehr tun, auch wenn der Verleger sich keine besondere Wirkung davon
verspricht. Lassen Sie michs aussprechen: ich hatte seit Jahren immer wieder zuweilen
das Gefühl, daß ich mit meinen Werken nur noch ein schandenhalber mitgeschleppter
Ballast aus Ihrer kleinen Zeit war, an den Sie sich, seit Sie der große Verleger geworden,
lieber nicht mehr erinnern wollen. Und um ganz aufrichtig zu sein: auch im persönlichen
Verkehr, die paar Mal wo wir uns in den letzten Jahren sahen, schienen Sie mir nicht
mehr der Alte, Sie schienen so verlegen, wie wenn ein großer Fabrikant nach Jahren
einen wiederfindet, mit dem er einst als junger Handwerksbursch »auf der Walz« zusammen gewesen ist: ich hatte fast den Verdacht, daß Ihnen jetzt
Trebitsch jedenfalls »gesellschaftlich« näher steht als ein alter
Salzburger Eigenbrödler, und – da gab ich die Concurrenz lieber auf. Ich habe sehr viele Beziehungen
in den letzten Jahren, seit ich aufgehört habe, von Wichtigkeit zu sein, abgeschüttelt:
bei Ihnen würde mir das schwer, denn da wäre mir, als ging ein Sonnenschein meiner
Jugend damit weg!
Ich will nicht, daß Sie Bücher von mir, die Ihnen gleichgiltig sind, blos seufzend
drucken, weil Sie mir nicht gut Nein sagen können. Dieses leise Seufzen, das ich immer
wieder gelegentlich zu hören glaubte, hat mich wild gemacht. Sagen Sie mir ehrlich:
»Nein, Ihre Bücher gehen nicht mehr, ich drucke sie nicht«, so können wir die besten
Freunde bleiben. Oder Sie können mir auch sagen: »Ich nehme dieses Buch, obwol ich
weiß, daß es nicht gehen wird, aber ich nehms aus alter persönlicher Freundschaft und weil
ich Ihnen helfen will«, so werd ich gar keinen falschen Stolz haben, sondern, wenn
ich fühle, das Sies gern tun, Ihnen herzlich dankbar dafür sein. Nur die Rolle desjenigen,
den man lieber endlich los wäre, jedoch nicht loszuwerden für eine »Pflicht« hält,
die man mit saurer Miene tut, ist mir unerträglich. Die saure Miene – darum geht alles
zwischen uns! Und da nun Ihr letzter Brief gar keine saure Miene macht, bin ich sehr
geneigt, anzunehmen, das alles mögen nur Wahnvorstellungen von mir gewesen sein. Und
darum nochmals herzlichsten Dank!
Nun aber eine tatsächliche Berichtigung: nicht ich habe Ihnen plötzlich Neues von
mir nicht mehr »angeboten«, sondern während vorher alle meine Theaterstücke bei Ihnen erschienen waren, zeigten Sie zum »
Konzert« so wenig Lust, daß ich es
Reiß gab. Ich kehrte dennoch darauf mit dem nächsten
Stück zu Ihnen heim und wieder erschien jedes Stück von mir bei Ihnen, bis Sie wieder,
beim »
Unmenschen« Bedenken zeigten und ich wieder zu
Reiß ging und dann auch mit dem nächsten
Stück bei ihm blieb. Meine Romane sind sämmtlich bei Ihnen erschienen. Meine »
Tagebücher« hab ich Ihnen anzutragen einfach nicht den Mut und Sie hätten, ehrlich gestanden
lieber Freund!, gar keine Freude daran gehabt. Ich bin mit ihnen schon beim
vierten
Verleger und gelesen werden sie sicherlich erst nach meinem Tode, dann aber als ein Nachschlagebuch
der Zeit sehr.
Somit bleibts also mit dem »
Selbstbildnis« bei unserer Abmachung. Und ich glaube, Sie haben Recht: der erste Band muß jedenfalls bis 1891 gehen, also nicht mit der
Wiener Relegierung schließen, sondern auch noch meine an der
Berliner Universität verbrachten Jahre 1884 bis 1887, mein
Wiener Freiwilligenjahr,
Paris 1888 bis 1890 und meinen mit dem Eintritt in Ihre
Freie Bühne beginnenden zweiten
Berliner Aufenthalt bringen. Dies aber zu der ursprünglich gedachten Frist fertigzustellen
wage ich bei meiner sinnlosen Überbürdung mit Journalismus und meinem neuestens sehr
labilen Zustand meiner Gesundheit nicht zu hoffen und so ists das Beste, wir beschließen
gleich das Erscheinen für Ostern 1923. Lassen Sie mich aber bald wissen, wie viel
Bildbeilagen Sie sich denken, damit ich dann die Auswahl treffen kann. Und bitten lassen Sie nur gleich auf einer Karte schreiben, bis zu welcher
Nummer (inclusive) die von mir Ihnen gesandten Ausschnitte gehen! Ich schicke dann künftig
alles nach Erscheinen immer an Sie. Der zweite
Berliner Aufenthalt soll
in der
Neuen Rundschau kommen. Dagegen hat mich diese jetzt durch Anforderung eines Beitrags über
Schnitzler in Verlegenheit gesetzt, ich hatte wenige Tage vorher einen
Schnitzleraufsatz an
Hirschfelds Moderne Welt für ein
Schnitzlerheft geschickt, ich kann doch um Gottes willen nicht dasselbe noch einmal sagen, in
ewig derselben Geburtagsrührung? Dagegen will ich Ihnen gerade fürs Maiheft ja den
Stifteraufsatz schicken!
Und auch damit bin ich einverstanden, daß Sie mir erst nach Ostern Bescheid wegen der Auswahl angeben. Nur bitte nicht zu spät! Und sagen Sie mir doch jetzt schon, was Sie für buchhändlerisch aussichtsvoller halten: »Ausgewähltes Theater«, in wie viel Bänden?, oder Auswahl der Romane, beziehungsweise
was mir das liebste wäre: Die sämmtlichen Romane.
Den Politischen Band, der auch mein berühmtes bis zum Umsturz verbotenes Buch über
»
Wien« enthalten soll, lasse ich ja viel lieber bei Ihnen erscheinen als bei irgend wem
anderen, aber überlegen Sie, ob ich da nicht mir mit mir selbst Concurrenz mache,
während wenn der Band in einem
Wiener Verlag erscheint, dies doch nicht zu befürchten ist. Sagen Sie mir aufrichtig Ihre
Meinung – ich halte mich daran!
Und sagen Sie Ihrer lieben
Frau, die ich eigentlich im Verdacht habe, daß ich eigentlich ihr Ihren lieben Brief zu
danken habe, meinen herzlichsten Dank und meine verehrungsvollen Grüße!
In alter Freundschaft
HermannBahr