Wien, 11. März 92.
                        
                           
Lieber Richard,
                        
                      
                     Kafka habe ich die letzten Tage nicht gesehn. Das letzte Mal an unserm 
Vereinsabend, der nur einen Lichtpunkt hatte: 
Bahr’s »
treue Adele« von 
Bahr vorgelesen. Er las entzückend. 
Meixner las Parabeln von 
Kafka und ein Gedicht 
Liliencron sehr schlecht vor. 
Polland das 
Kaffehaus von 
Salten, Gedichte von 
Loris, 
Korff u mir unbeschreiblich entsetzlich. Es ist unmöglich, sich von dieser talentlosen
                        Brüllerei einen Begriff zu machen, wenn man nicht dabei war. – Zum Schluss wurde getanzt. Von mir nicht, bitte. – 
 
                     Blumenthal war hier, ich sprach ihn. Er will Kürzungen und einige Aenderungen am 
Märchen. Einiges wird sich wohl thun lassen; ich habe mich schon daran gemacht, und die schöne
                        Fremdheit, die mich vom 
Märchen bereits trennt, läßt mich die Dinge leichter vollbringen. Daß 
Blumenthal auch den Titel des Stücks geändert haben möchte, ist Caesarenwahnsinn. Es ist ihm
                        auch schon selbst ein neuer eingefallen – erschrecken Sie nicht – »Die Vergangenheit.«
                        Erkennen Sie ihn!? Und noch immer läßt man die erst- und zweitgradigen frei herumlaufen,
                        die doch nur dazu da sind, um den dritt und viertgradigen das Leben zu vermiesen.
 
                     Gestern hab ich mein 
neues Stück begonnen. Außerdem schreibe ich slowly, langsam an meiner 
Novelle. – 
Fontane (Verlag) hat mich freundlichst ersucht, den 
Anatol-Cyclus – 
nicht einzusenden, »da sie kaum die Zeit finden dürften, meiner Sammlung einen sorgfältigen
                        u energischen Vertrieb angedeihen zu lassen etc etc« 
 
                     – Aus den »
Aveugles« scheint wirklich was zu werden. Doch soll dazu weder Pantomime noch 
Abschiedssouper gegeben werden, sondern »
l’Intrus«. – Zu den beiden ein Vortrag von 
Bahr. Später soll ein Pantomimen u Lustspielabend arrangirt werden. Man kam mit dem fait
                        accompli zu uns, das freilich meinen Beifall nicht hat.–
 
                     Loris schreibt viel, 
Salten schreibt wenig. Die andern seh ich gar nicht; das 
Cafe Griensteidl existirt für mich nicht mehr. – 
 
                     
                     Die Menschen enerviren mich, manche mischen sich in meine Privatangelegenheiten, und
                        niemanden gehen sie an. Das Gesindel hat tausend Augen für Vorfälle, dafür taube Ohren
                        für Einfälle. Aber mit der Zeit wird sich die Menschheit wohl »ausschalten« lassen,
                        wie? Einen Harfenisten kann man aus dem Hofe weisen lassen, wenn er einen mit seinem
                        Geklimper quält; wer aber befreit mich von den – andern? 
                     Ich will versuchen, ein Virtuose der Einsamkeit zu werden. Eines schönen Tages werden
                        alle Leute, die mich geniren, nicht mehr dasein – und werden es nicht einmal bemerken.
                        So wollen wir die Unbequemen zu relativem Tod verurtheilen: wir vom »großen Orden«!
                        – Oder hätte Sie 
Salten abreisen lassen, ohne Ihnen den großen Orden zu erläutern? – 
 
                     Schreiben Sie mir bald, und möglichst viel, es muß doch ganz schön sein, wenn man
                        einmal wo anders ist. Und dann, schreiben Sie – wir erwarten es, wir – vom großen
                        Orden. –