Meine geliebte Mizi, eben komme ich aus dem 
Deutschen Theater, wo ich mit 
Brahm die Vorlesestunde ausgemacht habe: heut Abends ½ 7. Im allgemeinen hat er eine große
                        Antipathie gegen Vorlesen, und hat sie mit fast verstimmender Deutlichkeit zu erkennen
                        gegeben. Schließlich ist es ihm aber doch lieber, daß er das 
Stück gleich kennenlernt als daß er noch ein paar Wochen wartet, bis es in 
Wien abgeschrieben worden ist. Ich hab ihm natürlich freie Wahl gelassen. Hieran kann
                        ich gleich anschließen, daß ich am Vortag meiner Abreise von 
Skodsborg die veränderten Scenen vorgelesen habe; sie schienen im ganzen zufriedenzustellen.
                        Aber noch kommt man nicht drüber hinaus, daß im 1. Akt eigentlich ein andres Stück
                        versprochen als im 2. u. 3. Akt geboten wird. Da müßten die Schauspielerscenen auf
                        ein Minimum zusammengestrichen werden, was von andern Gesichtspunkten aus wieder nicht
                        wünschenswerth erscheint. – Ich kann nicht verhehlen, daß ich der heutigen Vorlesung
                        mit sehr mäßigen Hoffnungen entgegensehe, obwohl 
Br. erklärt hat, nach Tisch besser aufgelegt zu sein als Vormittag. Es wird niemand bei
                        ihm sein außer mir – was nun einmal nicht zu vermeiden ist. Im ganzen war er übrigens
                        so liebenswürdig und bon camarade wie immer. – 
 
                     Hier unterbrech ich auf einen Moment, um dich im Geiste zärtlich an mein Herz zu schließen.
                        – 
                     Vorgestern hab ich in 
Kop. die 
Glyptothek, eine Sculpturensammlung angesehen und viel schönes gefunden, besonders antike Büsten.
                        Abends um ½ 7 war ich bei 
Brandes; es wurde über vieles gesprochen und er fragte mich mancherlei was nicht leicht zu
                        beantworten war, u. a. was die Ideale der jungen Leute von 25 Jahren in 
Wien seien. Über 
Bahr äußerte er kurz, daß er ein Affe sei; ich fragte ihn ob er 
Loris kenne, er sagte nein, erinnerte sich aber daß 
Bahr einen »lebendigen« 
Artikel über ihn geschrieben. Auch über die oft besprochenen Symbolist Schwindler ging er
                        her; die ihm so ekelhaft sind, daß er einige, die ihn öfters zu besuchen versuchten,
                        nicht empfangen hat .  .  »Vor allem darf einer nicht affectirt sein .  . «
 
                     – Was er über einzelne Menschen sagte, werd ich dir alles in 
Wien erzählen. Freilich wird das Beste fehlen: seine eigentümliche Art zu reden; zu schauen,
                        von einem Gegenstand zum andern überzugehen, die Bewegung seiner Seele unterhalb des
                        Gesprächs, das schmerzliche, selbstbewußte, bittre, heftige und ironische seines Wesens;
                        das Auf und Ab vom Anekdotischen zum Philosophischen, – kurz alles was eben Persönlichkeit
                        an ihm ist, also 
sein bestes, wie das beste von allen, die überhaupt was sind. – Um 8 ging ich ins Hotel,
                        nahm Migraenin, legte mich auf ½ Stunde hin; nachtmahlte dann, und ging zum schwarzen
                        Kaffee zu 
Nansens, wo sich bereits 
Goldmann befand. Daß ich das 2. Mal von Frau 
N. nichts erwähnte, liegt daran, daß nichts erwähnenswertes vorlag; und diesmal ist
                        es nicht anders, nur muß ich bemerken, daß sie mir immer weniger sympathisch und er
                        mir immer sympathischer wird. Mitspielen mag da, was 
Brandes mir erzählt hat. – Sowohl 
Nansens als 
Goldmann kamen mit ins Cafehaus wohin auch 
Br. zu kommen versprochen hatte; er erschien um ½ 11 und man blieb bis nach 1 zusammen; 
Br. sprach nahezu ausschließlich – erzählte von einer Menge Menschen, auch von sich.
                        Der Grundton ist immer: Ich kenne so viele, und ich bin allein. 
Nansen’s gingen früher, und dann blieben 
Goldm. u. ich noch mit ihm zusammen. Ich setze ein paar Namen her, an die du mich erinnern
                        magst : 
Albert Langen, 
Daudet, 
argentinischer Oberst, 
Sarah Kainz, 
Gretor, 
Hebbel. – Themen: Biographien; 
dänische Literatur, Übersetzungen; Königshaus; Stellung 
Brandes etc. etc. – Allmälig wird mir das meiste einfallen. – 
 
                     Hier unterbrech ich wieder, mein Schatz, und küsse dich tausendmal. – 
                     Auf der Fahrt gestern las ich 
Dichtung u Wahrheit zu Ende, begann den »
goldenen Esel« von 
Apulejus. Überdachte einen 1-aktigen 
Dramenstoff, der mir aus der Novelle, die du glaub ich nicht kennst »
Der Wittwer« erwächst – die, als Novelle, mir wie du weißt nie gefallen hat. Ebensowenig jetzt
                        dem 
Paul Goldm. 
                     – Das Wetter war sehr schlecht; auch bei Regen hier angekommen. – Im 
Continental ein schönes, aber theures Zimmer. – In ein 
Wiener Restaurant, mich nach langer Entbehrung an 
Pilsner Bier, Kalbsgulyas und garnirtem Liptauer erlabt. – Dann noch ins 
C. Kaiserhof, wo ich die paar Zeilen an dich, mein Schatz, geschrieben habe. – 
 
                     Ich bin so glücklich, daß du nun doch um 1 Tag früher kommst. Daß wir uns Abends treffen,
                        fürcht ich wird dir unmöglich sein – also um 3. Wo ist ja selbstverständlich – hoff ich, mein geliebter Engel. – 
                     Ich bin hier 23., 24., 25., 26. Also auf diesen hier, 
falls du ihn erst am 25. bekommst, antworte mir nach 
München, Hotel Marienbad. Dort werde ich am 27. u. 28. sein; kannst also, da es ja nah ist, noch am 27. hinschreiben.
                        Am 29. bitte eine Zeile nach 
Wien. Damit ich gleich beim Nachhausekommen eine finde. Also, der Übersicht halber: Am
                        25. 26. 27. kannst du Briefe nach 
München, Hotel Marienbad, am 28. u 29. nach 
Wien senden. – 
 
                     Und nun, mein Schatz, leb wohl. Deine Freude an der Natur sowie dein Gefallen an der
                        
Mme Bovary hab ich gern erfahren noch lieber, daß du die Natur mit mir genießen möchtest. Ich
                        kann das in der schmerzlichsten Weise nachfühlen – denn ich fühl es längst! 
 
                     Ich drücke dich ans Herz und küsse deine süßen Augen!
Dein 
                        
A