22. 6. 97
                        
                           
Mein geliebter Schatz.
                        
                      
                     Da ich aus deinem heutigen Brief ersehe, daß ich dir zuweilen Antworten schuldig bleibe,
                        will ich vor allem auf deine Fragen eingehen: 1) Die 
Aschantees brauchst du nicht beizulegen, wenn du dem 
G. die 
Wagnerbiogr. schickst. 2) In Hinsicht auf 
Freiwild (
Prag) hab ich mich streberisch und habsüchtig entschieden, indem ich dem 
Dtsch Landestheater einen jüdischverlogenen Brief schrieb, sie könnten ja irgend eine phantastische Uniform
                        nehmen, die der 
bairischen ähnlich sehe; keinesfalls aber (Rest von Ehrlichkeit) dürfe, wenn nicht 
Wien, irgend eine andre Stadt genannt sein. – 3.) Über die Schicksale der 
Lei (Abkürzung) hab ich nichts erfahren. – 
 
                     Ich habe heute mit dem Rad Kundschaftsfahrten unternommen, war in 
Penzing (die betreffende Wohnung war bereits vermiethet) und in 
Nußdorf, Greinerstraße. Altes Haus mit ziemlich großem Garten. Verhältnismäßig angenehme Hausfrau. Einige
                        Leute wohnen dort, weiß nicht wer. 
Unmöblirt u recht verwahrlost. – Ich werde weiter suchen u. meine Abreise wohl um ein
                        paar Tage verschieben. Samstag werd’ ich wohl fort. Also schicke auch an dem Tag wo
                        du 
diesen Brief bekommst noch keinen weg. (Eventuelles wichtiges telegrafirst du.) – Übrigens
                        hat meine 
Mama auf dem Umweg meiner 
Schwester bei mir angeklopft, ob ich mit ihr zusammen von 
Wien nach 
Ischl reisen möchte. Sollt es sich nur um 1 Tag Unterschied handeln, so reise ich natürlich
                        mit ihr. Im übrigen muß ich sagen, macht mich 
Mama mit ihrer Unselbständigkeit und Unverläßlichkeit (in kleinen Dingen) recht nervös.
                        Man erfährt in unsrer Familie nie etwas direct und nie kann man eine decidirte klare
                        Antwort (von meiner 
Mama) haben. – 
 
                     Heut hab ich mich auch über meine 
Tante geärgert. Ich kam (von 
Penzing u 
Nußdorf) verspätet, um 1; sie saß bei Tisch. Zugleich kam die Schriftstellerin 
Marie Herzfeld (auch eine entfernte Verwandte). Es erhob sich ein literarisches Gespräch. Plötzlich
                        merken die 
Herzfeld u ich – daß seit einer ½ Stunde nicht weitergegessen wird. Aus purer Affectation
                        u Trottelei  .  .  .  »während eines so poëtischen Gespräches  .  . « – Diese Dame gilt für gescheidt!– 
 
                     – Gestern Abd hab ich mich bei den 
Schlierseern erheblich gelangweilt. Sehr gut geschulte, zum Theil natürlich begabte Schauspieler
                        wie manche andre. Warum sollen denn Bauern nicht auch anständige Schauspieler werden,
                        wenn Commis, Schneider, durchgefallene Gymnasiasten und alle möglichen ungebildeten,
                        durch die Cultur nur erniedrigten Leute Theater spielen können? Der beliebte Komiker
                        
Terofal ist sogar bereits ein niederträchtiger Komödiant. 
Bahr hat (du hast ja die 
Zeit hoffentlich erhalten) natürlich bereits 
entdeckt, daß in 
Schliersee das Geheimnis der Schauspielkunst gelöst worden ist. Begründg lies bei ihm nach.
                        – Das Stück 
Lieserl vom Schliersee ist zum Schwerkrankwerden. »
Sich selbst« spielen diese 
Schlierseer?  .  .  Dann sind sie nicht auf der Welt! Denn die Leute aus diesen Stücken gibt’s nicht.
                        Allerdings müßte man sie, falls sie existirten, schleunigst ertränken, und zwar in
                        Honig.
 
                     Ich war gestern vor dem 
Theater in der 
Redaction bei 
Bahr (er hatte mich bitten lassen, mir was zu sagen). Handelte sich um 
Neumann Hofer, 
Lessingtheater, der auf Jahrhunderte hinaus Contract mit mir machen will. Sehr günstige Bedingungen;
                        aber ich habe nicht Anlaß mich zu binden, da ich ja schließlich, wenn ich was halbwegs
                        anständiges schreibe, jedes Theater haben kann – außer dem 
Jubiläumstheater in Wien, wo man wahrscheinlich Dramen von 
Gregorig aufführen wird. – 
Bahr hatte eben 
Agnes Jordan gelesen; welches ihm 
Burckhard (zur Beurtheilg?) übergeben hatte. 
Hirschfeld hatte dem 
Burckh. geschrieben, er möge es 
mir zu lesen geben – ich hab’s bis jetzt noch nicht; dagegen  .  .  Manchmal ist unser lieber 
Timon Sums doch ein rechter Aff. – 
Klein kommt für gewisse Rollen ans 
Carltheater als Gast; also wenn ich dort drankomme, wird er den 
Karinski spielen, was sehr gut ist.
 
                     – Ich schließe jetzt; gleich wirds regnen u der Rest des Tages ist der 27. Umarbeitung
                        meiner 
Novellen gewidmet. Gestern im Theater Direktor 
Koriconer lobte »
Frau des Weisen«, welche ihn mit den Modernen versöhne,  .  .  sie sei so decent. – Wie hätte er sich gewundert, wenn ich ihn für dieses alberne
                        Lob – wie ich es mit der nötigen Macht sicher gethan hätte – in Arrest hätte werfen
                        lassen –
 
                     – Noch eins mein Schatz. Ich theile deine Meinung betreffs der Wahrscheinlichkeit
                        frühen Abschlusses (Sehr häufig! Aber nur beim ersten Mal. Später  .  .  . ) Umso lieber wär mir gleich was in der Nähe zu finden. Auf Ausflüge wirst du ja im August leicht verzichten, umso eher, wie ich mir schmeichle, wenn ich täglich bei dir sein
                        kann.
                     Leb wohl meine geliebte Mizi!
                     Tausend Küsse!
Dein 
                        
Arthur