der Ernstfall, dessen Erscheinen ich in meinem letzten Brief an Sie für möglich hielt,
                        hat nicht lange auf sich warten lassen. Vorgestern bekam ich von 
Schlenther den folgenden Brief:
 
                     »Sehr geehrter Herr Doktor, wenn Sie die heutigen Morgenzeitungen gelesen haben, so
                        wird Ihnen der eigentliche Grund klar werden, weshalb ich mit der Annahme des »
Jungen Medardus« so lange gezögert habe. Auch wenn die technischen und Zensurschwierigkeiten überwunden
                        sind, so enthält das Stück doch eine so enorme Arbeit, daß ich es nicht verantworten
                        kann, sie meinem präsumtiven Nachfolger aufzubürden, ohne daß er vorher dazu hat Stellung
                        nehmen können. Mir selbst wäre es sehr erfreulich und wünschenswert, gerade mit diesem
                        Stück Abschied zu nehmen. Das würde aber einen Termin bedeuten, auf den Sie wohl nicht
                        eingehen möchten. Denn da die neueintretenden Schauspielerinnen, die für die beiden
                        Hauptrollen in Betracht kommen, erst im Frühjahr disponibel sind, so könnte die Aufführung
                        keinesfalls vor Ende April sein, möglicherweise sich aber auch bis in den Mai hinausschieben.
                        Wie Sie mir schon; andeuteten, würden Sie den Herbsttermin bevorzugen, der aber fiele
                        keineswegs mehr in meine Zeit. Vielleicht löst sich die Schwierigkeit durch eine persönliche
                        Unterredung, zu der ich Sie bitten werde, sobald ich von einer kurzen Reise nach 
Berlin, die ich heute antrete, zurückgekehrt sein werde.«
 
                     Aus diesem Brief geht also hervor, daß 
Schlenther eine offizielle Annahme des »
Medardus« zu vermeiden wünscht, und es wäre mir natürlich von großem Wert, wenn ich ihn demgegenüber
                        erinnern könnte, daß er sich zu Ihnen geäußert, er würde mir, wenn Zensur und Drehbühne
                        stimmen (was nun der Fall ist), einen Brief mit Termin schreiben, an den sich auch
                        sein Nachfolger gebunden fühlen müßte. Obwohl ja bei den Vertrags- resp. Tantiemen-Revers-Verhältnissen
                        des 
Burgtheaters von einer solchen Bindung im juridischen Sinn nicht die Rede sein kann, wäre meine
                        Position selbstverständlich eine beträchtlich bessere, wenn ich nach sechsmonatlichen
                        Verhandlungen doch wenigstens die offizielle Annahme durch den derzeitigen Direktor
                        in Händen hätte. Also wenn mir gestattet ist, jenes Gesprächsfragment ins Gefecht
                        zu führen, so lassen Sie es mich gütigst (vielleicht durch ein Telegramm) wissen.
 
                     Ich gratuliere herzlich zum großen »
Konzert«-Erfolg, der mich für 
Bahr und für Sie ganz besonders freut. So ist es jedenfalls gut, daß die »
Komtesse Mizzi« nicht zugleich aufgeführt worden ist, denn besser hätte es ja keinesfalls gehen
                        können.
 
                     – Auf der 
Reinhardt-Seite ist die »
Medardus«-Angelegenheit nun vollkommen abgeschlossen. Ein beleidigtes Telegramm bedauerte
                        meine Hartnäckigkeit, mit der ich bewiesen habe, daß es mir nur auf die Aufführung
                        dieses nur bei 
Reinhardt spielbaren Stückes, nicht aber auf eine dauernde künstlerische Verbindung mit dem
                        
Deutschen Theater ankäme. Ich habe in einem persönlichen Brief an 
Reinhardt, sozusagen zum ewigen Gedächtnis, die ganze Geschichte unseres (
Reinhardts und meines) künstlerisch-geschäftlichen Verhältnisses rekapituliert.
 
                     Seien Sie herzlichst gegrüßt.
Ihr 
                        
A. S.