Hermann Bahr an Georg Brandes, 8. 10. 1896

8. October 6

Sehr geehrter Herr!

Arthur Schnitzler schickt mir soeben einen Brief von Ihnen, worin Sie sich über den in der letzten Nummer der »Zeit« publicierten Aufsatz »Censur in Polen« wundern und beklagen. Ich beeile mich, Ihnen mitzutheilen, wie ich zu demselben gekommen bin. Die mir persönlich bekannte Frau Neustätter in Berlin, Gattin eines Redacteurs am Berliner Tageblatt, hat mir ihn eingeschickt, als zu einem Buche gehörend, das im kommenden Winter zum ersten Mal in deutscher Sprache publiciert werden soll. Sie hat mir geschrieben, von Ihnen nicht bloß zur Übersetzung autorisiert zu sein, sondern auch dazu, uns den Artikel als Originalarbeit von Ihnen zu geben, in welchem Falle wir jedoch ein höheres Honorar zu bezahlen hätten, was wir mit Vergnügen zugestanden haben: Die Dame schien durchaus in Ihrem Auftrage zu handeln und ich hatte keinen Grund, an der Loyalität ihres Vorgehens zu zweifeln. Wenn Sie es wünschen, bin ich gerne bereit, Ihnen die Correspondenz mit Frau Neustätter copieren zu lassen und einzuschicken. Es ist mir sehr peinlich, dadurch ohne mein Verschulden Ihren Unwillen erregt zu haben. Ich hoffe jedoch, daß Sie sich mit meinen Aufklärungen zufrieden geben. Hätten Sie meine wiederholte Bitte, mir Beiträge für die »Zeit« zu schicken, nicht ohne Antwort gelassen, so brauchte ich mir nicht bei allen möglichen Vermittlern einen Mitarbeiter zu suchen, den ich nun einmal nicht entbehren kann noch will. Wie gern hätte ich es, daß Sie sich mit meinen Einwendungen gegen Ihren »Shakespeare« auseinandersetzen würden! Wie gern würde ich mich von Ihnen belehren u. widerlegen lassen! Wie gern würde ich jeden Beitrag von Ihnen nehmen!
In der Hoffnung, das Misverständnis zur Genüge aufgeklärt zu haben, bin ich
mit ausgezeichneter Hochachtg
HermannBahr
Herrn Georg Brandes
Kopenhagen