Wien, 5. Mai 1913
                        
                           
Lieber und verehrter Herr Bahr!
                        
                      
                     Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief und all die guten Worte und das zugesandte 
Buch. Wie schade, dass ich gerade gestern verhindert war, in die 
Oper zu kommen und Sie dorten zu begrüssen. Hoffentlich das nächste Mal.
 
                     Ich habe die kleine englische 
Novelle gelesen, die ich wirklich sehr hübsch finde, die mir aber für eine Oper d
och nicht recht geeign
et erscheint wenigstens sehe ich bei einer so raschen und doch wiederum ein wenig schematischen
                        Handlung nicht recht die Möglichkeit, irgendein Mens
chliches auszudrücken, 
das nur allein eine solche Arbeit anreizend erscheinen lassen könnte. Ich schreibe
                        jedenfalls an Miss 
Ethel Smyth meine A
nsicht, die dahin geht, dass diese Novelle eine ganz ausgezeichnete musikalische Pantomime
                        nicht aber eine Oper wäre und schlage ihr, falls sie doch daran denken sollte einen
                        unserer besten, den 
Felix Braun vor, der einige merkwürdige Spiele für Musik geschrieben hat, die bisher noch keinen
                        Komponisten gefunden haben. Vielleicht könnte sie da eine Anregung finden.
 
                     Nun noch in einer anderen Sache, in der ich Sie bitte, 
ihr nicht aus einer wirklich deplazierten Bescheidenheit auszuweichen. Es handelt sich
                        nämlich um folgendes: Ich 
werde bei den Student
en in etwa 14 Tagen eine Rede halten (von der ich nicht weiss, ob Sie Ihnen lieb oder unlieb sein wird
), die aber in erster Linie doch der jungen Leute willen und meinem eigenen Bedürfnis
                        willen gehalten werden soll), und um diese Rede zur Feier zu ergänzen, 
ähnlich wie bei der 
Hauptmanns, soll nachher aus Ihren Werken etwa eine halbe Stunde vorgelesen werden. Wir müssen
                        
noch da 
nun überlegen, was wir aus der Fülle Ihrer Bücher wählen sollen und wissen m
it Sicherheit 
bisher kaum mehr als ein Kapitel aus der »
Rahl« 
diese Zeit beanspruchen wird, daher wir möchten 
aber gerne 
auch etwas aus Ihren Essais, das Ihnen selbst wichtig ist, nehmen und bitten Sie um die
                        Entscheidung. Die ganze »
Selbstinventur« wäre zu lan
g, aber 
ein Fragment daraus würden wir gern wählen, falls Sie nicht selbst un
s ein 
anderes Lieblingswerk bezeichnen.
 
                     Ist 
dieses Vorzulesende einmal gesichert, so bleibt nur noch eine letzte Frage, nämlich
                        die Wahl des Vorlesers und da haben die jungen Leut einen sehr kühnen, für mein Empfinden
                        aber wunderschönen Wunsch. Sie möchten gerade bei Ihnen nicht gerne einen jener Schauspieler
                        haben, der heute 
Liliencron und morgen 
Schnitzler und übermorgen 
Hebbel vorliest, sondern irgend eine Persönlichkeit, die gerade nicht von der leidigen Profession
                        ist. Da
nn möchten wir alle gerne, dass hier einmal etwas geschehen würde, was gegen die Regel
                        gegen die Erwartung, aber im Tiefsten mit der Sache sein würde, dass nämlich Frau
                        
Mildenburg diese Ihre Sachen selber vorlesen würde. Ich bin überzeugt, Ihr erstes Empfinden wird dazu energisch nein sagen, vielleicht ist das zweite überlegtere
                        uns günstiger. Wir würden selbstverständlich den Tag ansetzen, wann immer es Ihre
                        Frau wünscht und an Dankbarkeit würde es wahrlich nicht fehlen, wenn es uns auch allen
                        so scheint, als hätten wir alle Dankbarkeit, deren wir fähig sind, ihr 
längst schon für die Stunden des Gesanges zugewandt.
 
                     Nehmen Sie uns aber diese schöne Möglichkeit, so müssen wir uns mit einem Schauspieler
                        begnügen und wir hoffen, dass auch so der Abend ein gelungener sein wird.
                     Verzeihen Sie, dass ich Ihnen diesen langen Brief mit Fragen und Sorgen in Ihre 
Salzburger Einsamkeit schicke und empfangen Sie dankbar ergebene Grüsse Ihres getreuen