Verehrter lieber Freund, das thut mir sehr leid, dass Sie andauernd in so deprimirter Stimmung sind, denn
es ist ein Zustand, der mehr als irgend eine Krankheit schmerzt. Glauben Sie nicht,
dass
Marbach daran schuld ist? Und der Bodensee? An und für sich macht so ein Wasser nervöse Leute noch trauriger und alle Abende
werden trüber und einsamer als sonstwo. Der Bodensee aber hat mich wenigstens immer aufs äußerste verstimmt. Wenn Sie sich doch entschließen
wollten, wo anders hinzugehen. Ich habe die ganze Zeit immer den Gedanken, dass hier
eine Ihrer schönsten Eigenschaften: das Festhalten an einer Person, Ihnen vieles erschwert.
Ich will damit gegen
Ortner gewiß nichts sagen, aber
gar so bedingungslos sollten Sie sich doch nicht in alles fügen, am wenigstem in dieses über Sie verhängte
Marbach.
Blei schreibt mir übrigens, er habe den
Marbacher
Direktor in
München gesprochen und von ihm erfahren, dass Ihre Herzsache
garnicht arg sei. Der
Director hat den Eindruck, man müße mit Ihnen als Arzt den Pessimisten hervor kehren, sonst
sind Sie zu einer ordentlichen Schonung nicht zu haben. Ich muß sagen, dass diese
ganz gelegentliche, garnicht aufs »Wieder-sagen« berechnete Mittheilung
Blei’s mich doch in jeder Beziehung sehr beruhigt hat. Ich bin übrigens, was die Stimmung betrifft, auch ziemlich unten. Jetzt plane ich eine g’schwinde Fahrt nach
Cairo und hoffe mir eine Erfrischung davon. Mit meinen Arbeiten ist es nichts, langt knapp
für die Feuilletons, die Einem ja im Grund doch keine Freude machen.
Der
akad. Verein will »
Wenn wir Toten erwachen . . « aufführen, was Sie ja wissen.
Berger hat ihnen die Regie abgesagt,
Jarno will nicht, und so haben sie mir die Regie angetragen. Was geschrieben sei? Ich will
als nächste Vorstellung die »
Schwester Beatrix« von
Maeterlinck, mit
Schnitzler’s »
Tapferen Cassian.« Ich halte den »
Einsamen Weg« auch für das Beste, was
Arth. geschrieben hat. Auf die schönste Weise scheint mir in diesem Stück die Kunst
Ibsens neu aufgenommen, wenn auch nicht fortgesetzt. Aber an dieser
Ibsen’schen Kunst der absolut inneren Steigerung, Spannung u. s. w. hat sich
Schnitzler selbst prächtig entfaltet. Wie sehr gibt übrigens der einsame Weg gerade meinem
Reigen Feuilleton recht, und wie direct ließe sich an diesem Stück gerade – aus dem Gegensatz – der
vormals in
Schnitzler thätige Trieb zur
Kleinkunst nachweisen.
Ich bin sehr begierig, wie man in
Berlin diese Arbeit aufnehmen wird. – Neulich war ich genötigt, in Gesellschaft von
Antropp, D
r Max Graf, etc. Herrn
Holzers Kohlhaas zu hören. Dass ich da aufsitze, glaube ich nicht; glaube aber sehr, dass viel Gutes
in diesem Stück enthalten ist, vieles, das wie Kraft aussieht, und ein Akt (Gerichtsscene)
in dem auch wirkliche Kraft steckt. Wenn er den letzten Akt besser träfe, könnte man sich auf
der Bühne einen Erfolg erwarten.
Nun etwas Komisches. Gestern auf dem
Concordia Ball – (ich nicht dort) hat der
Spiegl unsere Frau
Bruck-Auffenberg be
leidigt, und D
r Ehrlich hat unserm Herrn
Wilhelm in
sultirt. Ganz ohne Grund. Diese
Widder sind jetzt auf einmal wie die Leoparden. Natürlich große Geschichte in der Redaction. Der Spieß wird umgedreht, und
Spiegl, wie
Ehrlich sind jetzt die Wütheriche und
Lippolds die Soldatenmißhandlungen begehen. Standesekel. Monatsversammlung. Einstweilen habe
ich den Moment ersehen, und vorgeschlagen, die Redaction der »
Zeit«
möge corporativ in den »
Journalistenbund« eintreten. Was in fünf Minuten gemacht. Und vor einer Stunde habe ich
Ihrem
Singer nach
Paris telegrafirt, dass sein
Bund 42 neue Mitglieder hab
en kann. Wenn Einem diese Sachen nicht nach einer halben Stunde langweilig würden, könnte
man sich ja jetzt ein paar Wochen amüsiren. Ihnen schrieb ich davon, weil ich denke,
es macht Ihnen für einen Momente Spaß. Soll man Ihnen nicht so lange Briefe schreiben?
Hoffentlich wirds bald Frühling und dann werden Sie wahrscheinlich auch heiterer werden. Laßen Sie mich gelegentlich, wenn Sie’s leicht können wieder ein Wort von sich hören.
Otti grüßt Sie viele male sehr herzlich. Der
Bub auch, natürlich.