den 15. F. 1904
                        Paris 16e.
                        
                           
Sehr geehrter Herr Bahr!
                        
                      
                     Für die liebenswürdige Zusendung des »
Meister«, sowie Ihr Schreiben danke ich Ihnen bestens. Das Szenarium des »
Meister« habe ich 
Antoine bereits vorigen Monat überreicht, jedoch noch keinen Bescheid bekommen. Ich werde
                        mich in das Stück vertiefen und Ihnen in den nächsten Tagen ausführlich be
richten, was meiner Meinung zu thun ist.
 
                     Ihr w. Schreiben giebt mir willkommene Gelegenheit, auf die »
Apostel«-Frage 
zurückzukommen: Sie schrieben mir seinerzeit, Sie wollten mir die Autorisation zur Uebersetzung
                        geben, wenn ich Ihnen ein à valoir von 2000
fs auszahle. Inzwischen aber hatte ich bereits von 
Langen bezw. 
Ahn diese Autorisation bekommen und auch den »
Apostel« für die 
französische Bühne bearbeitet. Ich habe dann das Stück 
Antoine gelesen und er war dafür sehr emballirt; als es sich aber darum handelte von Worten
                        zu Thaten zu schreiten, stellte es sich heraus, daß 
Antoine’s 
Bühne (vorm Menus-Plaisirs) für den zweiten Akt völlig unzureichend ist.
 
                     Der 
Apostel befindet sich gegenwärtig im 
Odéon und nachdem, was mir 
Ginisty jüngst gesagt hat, ist es mehr als wahrscheinlich, daß er Ihr Stück 
aufführen wird.
 
                     Als Sie bei mir für die Ueberlassung des »
Apostel« 2000 fs verlangten, befanden Sie sich offenbar in der irrigen Meinung, daß ich hier
                        in 
Paris so eine Art litterarische Agentur betreibe. Dies ist keineswegs der Fall. Was ich
                        hier betreibe, betrachte ich als eine Art Mission. Eine Mission, die ungeheuere Arbeit
                        macht und 
sehr wenig einträgt: es ist leichter zehn schlechte 
französische Stücke aufführen zu lassen, als auch nur ein einziges auslaendisches Meisterwerk
                        anzubringen. Was soll man da sagen, verehrter Herr, wenn diese Bergochsen von Direktoren und Cretins
                        von Kritikern 
Shakespeare nur aus der skandalösen 
Hamlet-Bearbeitung von 
Dumas kennen und von 
Calderon nicht einmal etwas vom Hören-Sagen wissen? Dafür aber 
Sudermann’s »
Ehre« für das Beste halten, was die deutsche Litteratur gegeben hat?
 
                     Als ich nun bei 
Antoine die Stelle eines Dramaturgen annahm, so geschah dies in erster Linie deswegen, damit
                        ich frei mit ihm und den anderen Direktoren verhandeln kann: es ist nämlich leichter
                        beim 
Dalai-Lama eine Audienz zu bekommen, als bei einem 
Pariser Theaterdirektor vorzukommen, der immer »Damenbesuch« hat. 
Claretie macht eine Ausnahme, er ist schon zu alt! Und nach 1 ½ jäh
rigem unausgesetztem Streben, bei dem ich so ziemlich Alles aufgebraucht habe, was ich
                        erspart hatte, brachte ich es wenigstens so weit, daß 
Antoine diesen Winter 
Lear in einer Bearbeitung 
Pierre Lotis spielen wird, daß 
Claretie an der 
Comédie nächste Saison 
Calderons »
Alkade von Zalamea«, den ich ihm aus dem 
Spanischen übersetzt habe, giebt, daß 
Schnitzler’s »
Kakadu« hier ein litterarisches Ereignis war, und daß 
Antoine Werkmann »
Liebessünden« und 
Halbe »
Der Strom« acceptirt hat. Wissen Sie was ich für Stücke bei 
Antoine acceptirt vorfand: »
Alt-Heidelberg« und »
Der blinde Passagier«, letzterer unter dem he
rrlichen Titel: »Le passager aveugle«.
 
                     Und nun ist es mit dem Anbringen eines Stückes noch nicht gethan: da beginnt erst
                        die Lauferei zur Presse, zu den verschiedenen Membres de 
l’Institut, denen man begreiflich machen muß, daß 
Calderon beinahe so viel wert ist, wie 
Brieux; denn, daß er dasselbe kann, wie 
Feydeau, wage ich gar zu behaupten, ohne zu riskiren, als »ennemi de la 
France« verschriehen zu werden.
 
                     Ich darf wohl behaupten, daß 
Schnitzlers 
Kakadu zum ersten Mal von der Presse thatsächlich als 
litterarisches Ereignis aufgefasst wurde, und dies war 
mein Verdienst. Materiellen Vorteil: ausser dem Gehalt bei 
Antoine, circa 500
fs.
 
                     Sie werden also begreifen und verzeihen, wenn ich Ihnen auf die Forderung von 2000fs keine Antwort gegeben habe, wo nehmen, ohne Depots anzugreifen?
                     Ich würde sicherlich in meiner Thätigkeit, die etwas 
Don-Quijote-artiges in sich hat, nicht fortfahren, wenn ich nicht sähe, daß ich auf dem Wege
                        bin, durchzudringen und daß dann auch der materielle Erfolg nicht fehlen wird. Aber
                        en attendant  .  .  .  .  .  .  .  Alles könnte ein wenig schneller gehen, wenn ich von Seiten meiner »Confrères« in
                        
Deutschland etwas mehr Unterstützung hätte; »etwas mehr« ist nicht das Wort, denn ich habe gar
                        keine. 
Wenn ich beispielsweise ein gutes Blatt fände, daß in regelmässigen Intervallen von
                        mir »
Pariser Theaterbriefe« brächte und worin ich in erster Linie auch über die hiesigen Theaterverhältnisse
                        aussprechen könnte, und auch die Stellung beleuchtete, welche fremde Litteraturen
                        auf den 
Pariser Bühnen einnehmen. Dies dürfte ja auch das Publikum interessiren. Denn daß die 
deutschen Korrespondenten in 
Paris mit dem 
Franzosenthum ausser jeder Fühlung stehen, wissen Sie wohl selbst und was das 
deutsche oder 
öster. Publikum als 
Pariser Theater oder Kunstberichte bekommt, ist verdünnter Aufguss aus dem »
Figaro« und den »
Debats«.
 
                     Könnte es Ihrem Einfluß – da ich ganz ausserhalb des 
deutschen Mouvements stehe – möglich sein, mir durch Ihre Verwendung die Spalten eines solchen
                        Blattes zu öffnen?
 
                     Ueber den »
Meister«, wie gesagt, dieser Tage!
 
                     Bis dahin zeichne ich, Ihrer Antwort entgegensehend
hochachtungsvoll ergebenst
Dr Stephan Epstein