liebe, am heutigen Tage hätte ich, dem ursprünglichen Plane nach, mit 
Lili abreisen sollen – gut dss dieser Plan schon vorher fallen gelassen war sonst würde
                        man sich über den neuesten Eisenbahn und Telegrafen Strike noch mehr ärgern als es
                        ohnedies der Fall ist. Übrigens nicht so sehr aergern – als ekeln – wie über das gesammte
                        politische Getriebe hier, die Parteigesindelei rechts u links, an der 
Oesterreich zu Grunde geht – (viel gründlicher als an 
St. Germain) Aber ich will nicht politisiren. Der Strike wird wohl bald zu Ende sein, – und (wenn
                        es gelingt die Billets zu bekommen, was heuer thatsächlich nur auf dem Cartellwege
                        möglich sein soll), die 
Kinder werden gemeinsam (wie es ihnen auch am liebsten ist) am 2. Juli abreisen können.
                        Und zwar scheint es mir nach wie vor das praktischeste, daß sie in 
München, (Rheinischer Hof) übernachten: und Morgens darauf mit dir (oder zu dir) hinausfahren. Ganz allgemein
                        liest und hört man daß 
Bayern leer ist – daß sogar die 
Münchner Hotels Platz genug haben; in 
Partenkirchen z. B. schreibt jemand in der 
N. Fr. Pr. soll kaum ein Drittel vermiethet sein.– Ich also für meinen Theil habe mich entschlossen, um die zweimalige Reise
                        zu vermeiden, bis Ende des Monats hier zu bleiben. Ich denke dann direct nach 
München zu fahren und mich vielleicht vorläufig ein paar Tage nur, in 
Possenhofen selbst oder in Eurer Nähe aufzuhalten – dann will ich ev. nach 
Berchtesgaden oder lieber noch, irgendwo höher hinauf – nicht ganz undenkbar wäre eine kleine Fußwanderung
                        mit 
Vicki Zuckerk. Gegen Ende August denke ich, komme ich dann dorthin, wo du mit 
Lili bist – sei es nun dss Ihr am Starnbergersee bleibt oder ins gebirgige hinaufsteigt. Schwierigkeiten der 
Logisbeschaffung werden ja kaum obwalten. – In 
Berchtesgaden ist 
Julius; und von sonstigen Bekannten 
Freud; – (anlässlich des 15. 5 hatt ich einen 
schönen Brief von ihm erhalten, eine kleine Correspondenz schloß sich daran; neulich war ich zum
                        Nachtmahl bei ihm, und wir haben uns sehr gut verstanden. Von »fachlichem« war nicht
                        die Rede – seine Menschlichkeit leuchtet ohne weiters ein.) –
 
                     »
Vor Sonnenaufgang« sah ich in der Generalprobe und bei der Erstaufführung. Es wurde ziemlich miserabel
                        gespielt – 
Heini (ich sage es nicht als Vater) war der einzige, den man (von 2 Episodisten abgesehen) ernst nehmen konnte. Er ist natürlich noch zu jung
                        für den 
Hofmann (die einzige wirkliche 
Gestalt des Stücks, das nach Staub, 
Barchent und Theorie riecht, bei allen Blitzen und Blitzchen; und irgendwo unwahr ist – wie
                        alles, worin von einem der Wein trinkt, Wasser gepredigt wird (was hier fast wörtlich
                        zu nehmen ist)) – nicht füllig genug; – aber er hat wirklich charakterisirt, – hat
                        die Continuität der Figur innerlich und äußerlich gewahrt; – spricht vorzüglich. (Das
                        war auch die allgemeine Ansicht.) – Vor Aufgehn des Vorhangs sprach ein Arbeiterführer
                        (Schule 
Bach) einleitende Phrasen – gegen den Alcoholismus –; das Stück wird nemlich von dem 
Verein gegen Trunksucht zu Besserungszwecken aufgeführt; – dabei muß man wissen, daß diese gleichen Sozialdemokraten,
                        wenn man sie auf das Überhandnehmen der Sauferei bei den »Proletariern« aufmerksam
                        macht, erwidern: »man muß ihnen ja diese einzige Freud lassen« – welche Verlogenheit, welcher Schwindel .  . 
 
                     Ich lasse dir heute an dein 
Münchner Conto je 10. für die nächsten 3 Monate anweisen, also 30; – und dazu gleich weitere
                        20, für die 
Kinder – »zur Verrechnung« – du wirst ja bald ungefähr wissen, wie viel sie per Tag brauchen, (Du hast hoffentlich über die
                        kurz nach meiner Abreise gesandten 25. – sowie aus 
Amerika eine Verständigung erhalten?) (Frau 
St. kann dir ja die tausend M. auch an dein 
Münchner Konto anweisen?) – –
 
                     In 
München will ich diesmal 
Bahr besuchen. Vielleicht werd ich irgendwo mit 
Heinrich Mann zusammen sein, der auch von der 
Berchtesgadner Gegend schreibt.
 
                     Neulich, bei 
Trebitsch, die 
Käthe Dorsch kennen gelernt, die mir gut gefiel; sah sie Tags darauf, in einer für sie nicht ganz
                        geeigneten Rolle, 
Kiki. – Einen erfreulichen Brief aus 
Japan, von einem 
Professor der 
Universität Tokyo, über eine kleine »Feier« für mich am 15. Mai. Unabhängig davon überbrachte mir ein
                        
Secretair der 
japan. Gesandtschaft von zweien meiner Übersetzungen aus 
Japan eine Art »Ehrenhonorar« – für »
Einsamer Weg« u. »
Geronimo.«– 
 
                     Hoffentlich verspätet sich dieser Brief nicht allzusehr durch den Poststrike. An den
                        
Rhein. Hof schreib ich direct; – vielleicht frägst du auch an. Lass es dir wohl ergehn und sei
                        herzlichst gegrüßt.