(Komödie in drei Akten von Artur Schnitzler. Zum erstenmal aufgeführt im Burgtheater am 12. Oktober 1905.)
                     Zwischenspiel. Der Name gefällt mir sehr. Vielleicht ist es gar nicht so gemeint, aber ich höre
                        heraus: zwischen ernsten Dingen. Ein Aufatmen nach großen, vor größeren Werken. Aufatmen
                        und Ausrasten. Pause. Kein 
Deutscher unserer Zeit ist auf der Bühne im Geistigen weiter gekommen als 
Schnitzler im »
Einsamen Weg«. Und ich habe vielleicht nie Wahn und Wunsch der Heutigen, Morgigen stärker vernommen
                        als aus seinem »
Ruf des Lebens«. Aber dazwischen Pause. Atem zu holen und lächelnd zurückzublicken. Auf vieles,
                        das uns einst wichtig war. Und mit diesem jetzt zu spielen. Wieder einmal Theater
                        zu spielen. Ganz einfach Theater. Wie damals, als wir noch für Herrn 
Hartmann schwärmten .  .  .  So spricht dieser Name mich an und ich kann es sehr verstehen. 
Nietzsche hatte seine Zeit mit 
Rée. Er nannte das im Spaß seinen 
Réealismus. Man wunderte sich: der tief spürende, hochwollende 
Nietzsche mit diesem gemäßigten Menschen der verständigen Klarheit. Es war ihm aber offenbar
                        eine Kur, die er sich verordnet hatte. Wir haben solche Zeiten, in welchen uns nötig
                        wird, uns einzuziehen, ja am besten: von uns einmal abzusehen. Wir brauchen Pausen,
                        welche vielleicht für die geheime Kraft in uns gar keine sind, die vielleicht unbelauscht
                        schaffend bleibt, während wir zu spielen glauben. Ich verstehe das und noch mehr:
                        es scheint mir für unser Theater ganz gut, wenn dieser oder jener manchmal in seiner
                        eigentlichen Produktion anhält, um daneben, dazwischen in einer leichteren, ihm selber
                        unwichtigen, etwa sogar nicht ganz echten, losen, lustigen Art wieder einmal bloß
                        zu spielen, einfach Theater zu spielen. Es ist nämlich sonst Gefahr, daß wir uns,
                        nur unserer Eigenheit zugewendet, indem wir uns erfüllen und vollenden, zu sehr vom
                        Publikum entfernen, welches, unfähig, uns nachzukommen, ratlos an die gemeinen Macher
                        ausgeliefert würde. Weshalb es ihm zu gönnen ist, wenn manchmal ein Künstler sich
                        zwischen seinen ernsten Dingen herabläßt, den strengen Ton etwas zu mildern, um in
                        einer Pause mit ihm ein bißchen zu spielen.
 
                     Der Kapellmeister Amadeus Adams und seine Frau, die Sängerin Ortenburg. Die zwei haben
                        sich einst sehr geliebt. Jetzt haben sie sich nur noch sehr gern. Vielleicht sollte
                        man gar nicht sagen: nur noch. Vielleicht ist das jetzt eigentlich viel schöner, als
                        das damals war. Vielleicht verbinden sich zwei Menschen gerade dann erst ganz, wenn
                        sie sich nicht mehr begehren. Vielleicht gibt es eine zweite Liebe, die zwar nur unter
                        Menschen möglich ist, welche früher durch jene sinnliche verbunden waren, aber erst
                        beginnt, wenn die erste aus ist. Wenigstens Amadeus fühlt es fast so; es scheint auch
                        mehr ein männliches Gefühl zu sein, in das sich eine Frau selten findet. Er ist sehr
                        froh, auch weil es ihm ein bißchen schmeichelt, sich sagen zu dürfen, daß es sein
                        Verstand ist, dem er diese gute Ehe verdankt. Er hat sie auf vollkommene Aufrichtigkeit
                        gegründet, sie haben einander nie etwas verschwiegen und deshalb kennen sie sich jetzt
                        so gut, daß ihnen vorkommt, es könne noch nie zwei Menschen gegeben haben, die sich
                        besser verstanden hätten. Vor allem künstlerisch. Wenn sie singt, hat sie ihn gern
                        bei sich, weil sie sich in seiner Nähe viel sicherer weiß. Und er erlebt es oft, daß
                        sie an seinen eigenen Einfällen mehr entdeckt, als er selbst darin merkt. Aber nicht
                        bloß künstlerisch, sondern auch menschlich. Sie läßt es zu, daß er mit einer Kollegin
                        tändelt, der Sängerin Gräfin Friederike Moosheim, welche einen sehr eifersüchtigen
                        Mann, eine Villa, leuchtend und weiß am Wasser, mit einer berühmten Platane im Park,
                        unter der sie in heißen Nächten manchmal schläft, und Liebhaber hat. Und er wieder
                        läßt es zu, daß ihr ein junger Fürst Lohsenstein gefällt, der eigentlich ins Kloster
                        gehen wollte, jetzt aber hauptsächlich Tanzmusik treibt. Zuerst ist es wirklich nicht
                        mehr, als daß ihr der ganz artige junge Mensch eben gefällt. Es wird mehr, als Amadeus
                        zu fragen beginnt, nicht aus Eifersucht, sondern gewohnt, von allem mit ihr zu sprechen.
                        Hier zögert sie, mit der Empfindung, daß man manches nicht aussprechen darf, weil
                        es dadurch gleich ganz anders wird. Er aber versteht das nicht und drängt: Liebst
                        Du ihn? Sie weiß es nicht. Sie glaubt es eigentlich nicht. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen,
                        aber es ist etwas da, das sie zurückhält. Oder doch zurückhalten könnte. Aber das
                        will er nicht. Nein, da wird er schroff, er ist zu stolz, sie zu halten. Nein, dann
                        lieber gleich – und sie haben das ja immer gewußt, daß einmal diese Stunde kommen
                        wird, die Stunde der Trennung. Aber er sieht nicht ein, warum sie, innerlich getrennt,
                        es auch äußerlich werden müssen. Warum? Sie leben so schön zusammen, sie verstehen
                        sich so gut, sie brauchen sich soviel, sie haben ein Heim, sie haben einen Buben,
                        warum dies alles zerstören? Da es doch nur noch viel schöner werden kann, wenn sie
                        nicht mehr als Gatten, sondern als Kameraden beisammen sind! »Wir würden uns über
                        alles aussprechen, geradeso wie bisher – ja gewissermaßen über mehr. Da wäre natürlich
                        die Voraussetzung unserer weiteren Beziehung: Wahrheit – rückhaltlose Wahrheit. Und
                        das käme nicht nur unseren Beziehungen zueinander, sondern jedem einzelnen von uns
                        sehr zustatten. Denn könntest Du einen besseren Kameraden finden als mich, ich eine
                        bessere Kameradin als Dich? – Mit unseren Freuden und unseren Schmerzen kämen wir
                        zu einander, wären Freunde wie bisher, vielleicht bessere als je, und würden uns die
                        Hände reichen, auch über Abgründe. So behielten wir alles, was uns bisher gehört hat:
                        unsere Arbeit, unser Kind, unser Heim – alles was wir gemeinsam haben müssen, damit
                        es seinen ganzen Wert für uns behält. Und gewännen zugleich manches, wonach wir uns
                        beide seit einiger Zeit sehnen und wovon ich im übrigen auch gar keine Freude hätte,
                        wenn ich Dich verlieren müßte .  .  .  Dir geht es ja geradeso, Cäcilie. Ich weiß es ja. Wir können ohne einander gar nicht
                        leben. Ich ohne Dich gewiß nicht. Und Du?« Sie antwortet: »Es ist wohl möglich, daß
                        es auch mir schwer fiele.« Er aber überhört, wie wenig zuversichtlich das klingt,
                        und umarmt sie. »Was tust Du?« fragt sie. Er erwidert: »Ich habe meiner Geliebten
                        Lebewohl gesagt.« Und drückt ihr die Hand: »Und nun begrüße ich die Freundin!« Und
                        ist riesig vergnügt, weil es doch auch wirklich so bequem ist. »Ach, ich kann Dir
                        gar nicht sagen, wie froh mir zumute ist! Es hat sich wahrhaftig nicht viel geändert.
                        Nur die Befangenheit ist fort  .  .  .  die Bangigkeit dieser letzten Wochen .  .  .  Es ist nicht schön gewesen in der letzten Zeit. Der Himmel so trüb über unserem Hause
                         .  .  .  und nicht nur über unserem Hause. Jetzt schwinden die Wolken, jetzt wird die ganze
                        Welt geradezu wieder licht. Und ich werde eine Symphonie schreiben – eine Symphonie!«
                     Und nun geht Amadeus zu seiner kleinen Gräfin in die weiß am Wasser leuchtende Villa
                        unter die berühmte Platane. Das hält sich übrigens nicht lange, im zweiten Akte ist
                        es schon wieder aus. Eben kommt Cäcilie aus 
Berlin zurück, wo sie gastiert hat. Der junge Fürst war natürlich mit. 
Amadeus hat nichts dagegen, als er es erfährt. Es stimmt ja mit der Verabredung. Es macht
                        ihn höchstens manchmal ein bißchen nervös, daß die Leute schon davon reden, daß man
                        ihn anonym warnt, daß eine Zeitung sogar von der Verlobung seiner Frau mit dem Fürsten
                        wissen will. Aber er würde mit diesem allen fertig, wenn sie nicht plötzlich, heimgekommen,
                        so merkwürdig verwandelt wäre. Er erkennt sie kaum, ihr Wesen hat einen neuen Klang,
                        der ihm fremd ist, und es regt sich in ihm wie Furcht für sie. Er möchte sie schützen,
                        vor unbekannten Gefahren, die er ihr drohen fühlt. Aber das weist sie zurück, sie
                        will nicht mehr gehütet sein. »Ich habe ja noch  .  .  .  ich habe ja noch so wenig erlebt. Und ich sehne mich danach. Ich sehne mich nach
                        allem Schmerzlichen und Süßen, nach allem Schönen und nach allem Kläglichen, was das
                        Leben bringt. Ich sehne mich nach Stürmen und Gefahr – vielleicht nach mehr  .  .  .  Du weißt nur, was ich Dir – was ich als Deine Geliebte, Deine Gattin war. Und da
                        Du für mich die ganze Welt bedeutet hast, in Dir all meine Sehnsucht, all meine Zärtlichkeit
                        beschlossen war, so konnten wir beide früher nicht ahnen, wozu ich bestimmt wäre,
                        wenn sich die wirkliche Welt vor mir auftäte. Ich bin schon heute nicht mehr, die
                        ich war, Amadeus .  .  .  Oder vielleicht war ich immer dieselbe und habe es nur nicht gewußt; und es ist jetzt
                        etwas von mir abgefallen, das mich früher umhüllt hat  .  .  .  Ja, so muß es sein: denn jetzt fühle ich alle Wünsche, die früher an mir herabgeglitten
                        sind, wie an einem fühllosen eisernen Panzer  .  .  .  jetzt fühle ich sie über meinen Leib über meine Seele gleiten und sie machen mich
                        beben und glühen. Die Erde scheint mir voll von Abenteuern, der Himmel wie von Flammen
                        strahlend und mir ist, als säh’ ich mich selbst, wie ich mit ausgebreiteten Armen
                        dastehe und warte.« Und da sie so vor ihm steht, ferner Verheißungen wartend, anders
                        als er sie je gekannt, von einer Schönheit, die er nie an ihr gesehen hat – »Keine
                        Bessere, glaub’ ich, als jene Andere, eher eine Grausamere, und doch eine, glaub’
                        ich, die mehr geschaffen ist zu beglücken« – da geschieht ihm, daß er sie plötzlich wieder begehrt.
                        Sie berauscht ihn, er dringt auf sie ein und jetzt, seit er sie wieder gehabt hat,
                        ist ihm der Fürst unerträglich, die Leidenschaft wirkt zurück, er haßt ihn, will ihn
                        fordern, will ihn töten, bis er erfährt, daß zwischen dem Fürsten und seiner Frau
                        gar nichts gewesen ist. Also nur eine Komödie von ihr? Um ihn eifersüchtig zu machen?
                        Und an seiner Eifersucht aus seinen Abenteuern zu ihr zurück zu ziehen? Nein. Sie
                        war nicht treu. Und wenn sie dem Fürsten nicht gehört hat, so ist das nur, weil Frauen
                        irgend etwas auch dann noch zögern macht, wenn sie schon längst entschlossen sind.
                        Nur deshalb ist es noch nicht, aber es wird sein. Amadeus fährt auf: »Nie!« Sie aber:
                        »
Warum bildest Du Dir das ein, Amadeus? Es wird wahr werden. Glaubst Du denn, dies
                              sollte eine Prüfung für Dich sein? Denkst Du, ich spielte eine kindische Komödie,
                              um Dich zu strafen, und jetzt, nachdem Du zu früh die ganze Wahrheit erfahren, würde
                              ich Dir in die Arme sinken und erklären, alles sei wieder gut? Hast Du es wirklich
                              für möglich gehalten, daß nun alles vergessen sei und wir unsere Ehe wieder aufnehmen
                              werden, wo sie unterbrochen wurde? Kannst Du es denn nur wünschen, daß es so kommt
                              und daß es eine Ehe wird wie tausend andere, wo man sich betrügt – und wieder versöhnt
                              – und wieder betrügt, je nach der Laune des Augenblickes?« Amadeus will sie beschwichtigen: »Wir haben uns nicht betrogen und nicht versöhnt
                        – wir waren frei und haben uns wiedergefunden.« Aber sie läßt sich jetzt von keinen
                        Lügen mehr fangen: »Wir uns .  .  .  Als wenn das nur möglich gewesen wäre! Was ist es denn, was mich mit einemmal für
                        Dich so begehrenswert machte? Nicht daß ich 
Cäcilie war – nein: daß ich als eine andere wiederzukommen schien. Und war ich denn wirklich
                        Dein? Ich war es nicht. Oder bist Du so bescheiden geworden mit einemmal, daß Dir
                        ein Glück genügte, das zur selben Stunde sich vielleicht auch ein anderer hätte holen
                        können, wenn er nur dagewesen wäre?« Und so scheiden sie. Es wird zu ertragen sein,
                        sie haben ja beide zu arbeiten. Und vielleicht, wer weiß? »Wir sind einander soviel
                        gewesen, Amadeus, daß wir uns die Erinnerung daran erhalten müssen. Wenn das ein Abenteuer
                        war, so sind wir auch unser vergangenes Glück nicht wert; war es ein Abschied, so
                        sind wir doch vielleicht zu einem künftigen bestimmt  .  .  .  vielleicht.«
 
                     Ich habe hier manches gefunden, das mir nachgegangen ist. Dieses: man lebt mit einer
                        Frau, hat sie gern und weiß doch eigentlich nichts von ihr, sie kann morgen eine andere
                        sein, über Nacht. Und dieses: wir sehen die Menschen nur so, wie wir für sie fühlen.
                        Seitdem Amadeus seine Frau sinnlich gleichgültig geworden ist, glaubt er sie gleichgültig,
                        unsinnlich, kalt. Worin vielleicht noch ein ganz anderes Stück steckt. Und dieses:
                        wir glauben unser Schicksal zu regieren, aber es spielt mit uns und unser eigenes
                        Leben lebt über uns hinweg; was ich im »
Meister« so sehr empfunden habe. Nicht angenehm ist mir der 
Ton, in welchem 
Amadeus mit seinem Freunde verkehrt: 
Griensteidl 1890. Und gar nicht mag ich den Fürsten. Dies mag meine Schuld sein. Jeder kann nur nach
                        seinen Erfahrungen denken. Dieser junge Fürst beträgt sich edler als alle anderen
                        in der Komödie. Nach meinen Erfahrungen ist in seinen Kreisen sittlicher Takt und
                        Menschlichkeit der Empfindung unbekannt. Wenn ich die Kapellmeister nehme, die ich
                        kenne, und mit den Baronen, Grafen oder Fürsten vergleiche, über welche mir ein Urteil
                        zusteht, so ist jeder von jenen menschlich mehr wert als diese. Ich weiß nicht, woher
                        
Schnitzler andere Erfahrungen haben kann. Und es stört mich sehr, woran Schnitzler gewiß gar
                        nicht gedacht hat, wie dieser Fürst im 
Burgtheater wirken muß: als ein Kompliment vor den Komtessen! Es ist für mich, weil ich 
Schnitzler sehr gern habe, ein peinliches Gefühl, mir zu denken, daß 
eine der hohen Damen, die damals den 
Kakadu vertrieben haben, jetzt vielleicht befriedigt ruft: Bravo, hat sich gebessert! Und ich darf nicht
                        aufstehen und darf nicht schreien: Nein, es ist nicht wahr, er hat sich nicht gebessert,
                        er wird es nie!
 
                     Wunderbar ist 
Kainz als Amadeus. Nicht bloß schauspielerisch, in seiner unglaublichen Bravour, alle Neben-,
                        Seiten-, Ober-, Unter- und Zwischenbedeutungen der Worte mitzusprechen und das Wort
                        durch den Gestus umzubiegen und abzubrechen. Noch viel mehr menschlich: er ist der
                        einzige 
deutsche Schauspieler jetzt, der den guten 
Wiener Ton hat, oder richtiger: den Ton der zehn oder zwölf sehr kultivierten 
Wiener; und einer der ganz wenigen, die uns mit zwei Sätzen an einen wirklichen bedeutenden
                        Menschen glauben machen können. Das fehlt dem charmanten Fräulein 
Witt leider ganz, das die Cäcilie bald ins Mondäne hinüber, bald ins bürgerlich Brave
                        herab rückt. Den jungen Fürsten gab Herr 
Korff mit einer zu sichtlichen Angst, ausgelacht zu werden. Das Publikum, anfangs sehr
                        gut gelaunt, wollte im letzten Akte nicht mehr recht folgen. Nach dem ersten Akte
                        erschien der 
Regisseur, dann 
Schnitzler selbst, herzlichst begrüßt. 
                        
Hermann Bahr.