Hermann Bahr: Zur Judenfrage, [März] 1932

Zur Judenfrage

Das Urteil über die »Juden«, um das Sie mich befragen, wird kein unbefangenes sein, denn meine besten, meine liebsten Jugendfreunde sind Juden: Schnitzler, Beer-Hofmann, Salten, Hugo von Hofmannsthal sind Juden. »Minderwertig« kann man eine Rasse doch kaum nennen, die solche Früchte zeitigt. Auch ich war in meiner Jugend gelegentlich Antisemit. Theodor Herzl war mir ein lieber Freund, wir wohnten eine Zeit lang einander nahe und gingen an schönen Tagen gern stundenlang immer um die Votivkirche herum und stimmten darin überein, daß der Jude dem Arier unerträglich werden muß, wenn Juden sich anmaßen, Deutsche zu sein oder gar Führer der Deutschen. Herzl gehörte in seiner Jugend derselben Burschenschaft an wie ich: ihr FührerIm Abschiedsbrief begründete Paul Porges von Portheim seinen Suizid damit, dass ein erfolgreicher Abschluss des Studiums unwahrscheinlich geworden sei (ÖKeA 175–177). war Jude, doch dieser Jude setzte den Antrag durch, fortan Juden oder auch nur, wie man das damals hieß: Judenstämmlingen, den Einlaß in unsere Burschenschaft zu verwehren. Nachdem er das durchgesetzt hatte, war er konsequent genug und erschoß sich.
Von Ihren Fragen antworte ich auf die erste (»Sind die Juden eine minderwertige Rasse?«) also: Minderwertig keineswegs; die zweite (»Sind die Juden Schädlinge der Wirtschaft?«) entzieht sich meiner Erfahrung, ich verstehe von Wirtschaftsproblemen nichts. Daß die Juden die deutsche Kultur zerstören sollen, scheint mir eine Beleidigung dieser Kultur, sie wird sich in allen Gefahren behaupten. Daß Gestalten wie Heinrich Heine verächtlich sind, wird niemand leugnen, so wenig, wie die Reihe opferfreudiger hochgesinnter Juden.