Moderne Kunst in Oesterreich.
Von Hermann Bahr.
Ich bin letzten Sommer und Herbst wieder einmal quer durch mein
Oesterreich gewandert, von den
galizischen Sümpfen nach dem herzigen
Grossstädtchen an der Donau und dann die hellen Alpen hinauf, wo sie am steilsten sind, ein bischen überall herum schauend, lauschend und
geniessend. Es ist ein unvergleichliches Land von köstlichen Reizen, und es ist, wenn
man in
Kärnthen die Lieder hört oder die zierlichen Holz-Sculpturen der
Salzburger sieht oder die Anmuth fühlt, mit welcher das Gemüth der
Wiener wie eine gute Fee jede Verrichtung des täglichen Lebens immer in selige Walzer
verwandelt – es ist ein Volk von frohen Künstlern. Ich glaube, dass unter allen Staaten,
welche Deutsche begründet haben, keiner mehr künstlerische Begabung und sicherlich
keiner soviel künstlerische Empfänglichkeit enthält. Aber ich weiss schon auch, dass
keiner für die moderne Kunst weniger bedeutet und so geringes gewirkt hat. Ueber diesen
seltsamen Zwiespalt zerbreche ich mir oft rathlos den Kopf.
Es mag daran ihre Neigung schuld sein, alle Talente im Leben zur eigenen Freude zu
verzetteln, statt dass sie sie aus dem Genusse sonderten, strenge zusammenhielten
und zu festen, reifen Gestalten verdichteten: sie verschmähen die Arbeit der Kunst,
sie wollen lieber Kunstleben. Oder es mag auch das Talent zu gleichmässig auf alle
vertheilt sein, so dass Jeder ein hübsches Stück für den Hausbedarf, aber doch keiner
genug zu einer besonderen That hat; vielleicht braucht es, um den grossen Künstler
zu schaffen, gerade die Vereinsamung in einer gleichgiltigen, stumpfen Menge und die
Entrüstung gegen rohen höhnischen Unverstand. Oder es mag auch an dem
österreichischen Misstrauen gegen alles
Oesterreichische liegen, das geduldig zu ertragen und zu bezwingen schon eine ungemein gesunde und
kräftige Natur verlangt: die guten Leute, allzu demüthig und bescheiden, wollen es
durchaus nicht glauben, dass auch aus ihrer Mitte einmal was Gutes kommen könnte,
und da sei einer das wirksamste Talent, wenn es bekannt wird, dass er aus
Krems oder von
Hütteldorf ist, ist er bei ihnen schon verloren.
Es ist das Land der vielen kleinen Talente. Grösse und Tiefe fehlen. Und sonderbar:
wenn sie einmal wo erscheinen, dann werden alle ganz böse, wollen davon durchaus nichts
wissen und verbünden sich, sie auf alle Weise zu verdrängen.
Wie lange hat nicht der ehrwürdige
Bruckner, der mächtigste Philosoph der Töne seit
Beethoven, in Kummer und Noth gerungen und gelitten, bis sich die zögernden
Wiener, vom Auslande gedrängt, langsam entschlossen, sein schweres, tiefes und kühnes
Genie allmälig zu würdigen und
neuestens sogar mit der Würde des Ehrendoctors zu beglücken! So haben auch
Hugo Wolf und
Adalbert von Goldschmid, draussen längst bewundert und gerühmt, in
Wien immer noch blos erst ihre engen, stillen Gemeinden. Darin ist man unverbesserlich,
heute noch ganz ebenso, wie in den Leidenstagen
Grillparzers,
Kürnbergers und
Stifters.
Die Musik
Hugo Wolfs ist die modernste und sie ist zugleich die musikalischste, welche ich kenne. Sie
ist die Musik der Nerven. Sie will nicht Malerei, nicht Dichtung, nicht Philosophie;
sie will jenes Unsägliche und Unfassliche, für welches die heimlichste Farbe zu laut
und das feinste Wort zu schwer ist, jene innere Musik der Seele, welche unter dem
Geräusch des Lebens im Grunde aller Leidenschaften und Begierden nimmermehr verstummt.
Sie taucht von der Oberfläche der täglichen Gefühle weg in die letzte Tiefe der verschwiegenen
Räthsel, bis sie die einsamsten Punkte greift und an das Mystische streift, an das
Unbewusste, an jenen verborgenen Kern und Ausbund der Natur, den die
Veden Puruscha nennen.
Klinger,
Thoma,
Böklin,
Liliencron,
Maeterlinck – von dieser Race ist sie.
Auch an den Liedern
Adalbert von Goldschmids ist ein saftiger Geruch des Lebens. Auch sie blühen aus den reinsten und freiesten
Gründen der Seele. Auch sie haben Leidenschaft, Grösse und Tiefe. Aber niemals empfinde
ich ihren holden Zauber so unwiderstehlich, als wenn sie von den delikaten Eleganzen
des Gemüthes singen, von jenen feinsten, zartesten und seltensten Gefühlen, welche
nur auf den Höhen der Menschheit wachsen, die letzten Geschenke langer Bildung. Man
denke an jene zierlichen Reime des
Banville, welche die Geberde des Tages in mondäne Grazie fassen – von eben diesem fliedermilden
Märchenreize ist ihre Sensation.
Schauerlich siehts bei den Malern aus, es ist eine Schande. Es muss einmal ohne Rücksicht
gesagt werden, was man mit tausend Künsten ängstlich zu vertuschen sucht; die
Wiener Malerei ist heute in
Europa die letzte. Es giebt ja einige, die eine ganze Menge können; aber sie wissen nicht,
was sie damit sollen, sie wollen nichts und wirthschaften rathlos herum. Fast alles
an ihren Werken ist gemacht, anempfunden, nachgeäfft, nichts aus freien zuversichtlichen
Gefühlen geschöpft und nichts von einem eigenen Bedürfnisse geboten. Man weiss vor
jedem Bilde immer gleich das Muster, nach welchem es verfertigt ist; man riecht den
Lehrer und die Schule. Korrekt, fleissig, tadellose Arbeit – ja; aber Arbeit, Handwerk,
keine Kunst. Von modernen Empfindungen will ich gar nicht reden – wenn sie nur überhaupt
etwas empfänden!
Ich spreche hier nur von den Jungen. In der vorigen Generation ist mancher befestigte
und gesicherte Ruhm. An diesen will ich nicht tasten; es fällt mir nicht ein, an der
verbrieften Meisterschaft der
Alt,
Russ,
Schindler,
Blaas,
Wisinger-Florian u. a. m. zu mäkeln. Ich spreche von dem neuen Geschlechte der letzten zehn Jahre,
das jene ablösen und ersetzen soll. Da finde ich denn vor allem
Merode und
Pausinger, geistreiche, delikate und für die heimliche Schönheit des Lebens empfindliche Talente, aber etwas schüchtern gegen sich
selbst und bisweilen noch ein bischen in angelernten Schablonen befangen;
Engelhart, ein verwegen zugreifender Wager, der nur noch nicht recht fertig und sicher ist;
Hirschl, eine tiefe, mystisch bedrängte, aber verworrene, konfuse rathlose Natur; und endlich
Ferry Bératon.
Bératon ist mir von ihnen der liebste: denn er ist der ehrlichste und aufrichtigste von allen.
Er fragt nach keinem Muster; er hört auf keine Schablone; keiner Lehre zur Liebe verläugnet
er seine Art. Er folgt treu und gerade dem eigenen Drange. Er malt nicht, wie er es
an den anderen sieht, sondern er malt, wie er es in sich selber fühlt. Man merkt es
an seinen Bildern auf den ersten Blick, dass er etwas zu sagen hat: seine besondere
Welt, die noch kein anderer vor ihm entdeckt hat, die Schöpfung seiner Nerven und
Sinne. Es ist manchmal ein hastiger Eifer in ihren Zügen, wie eine unstete Angst,
dass sie mit der Fülle seiner Seele gar nimmer mehr fertig werden könnten; so unendlich
viel hat er zu erzählen; und es ist jene fanatische Wuth des echten Künstlers in ihnen,
Proselyten für sich zu machen, aus dem sicheren Gefühle heraus, dass es eine eigene
und einzige Kunst ist wie jede, die schlicht und treu eine Seele bekennt. Er gestaltet
Erlebtes. Er giebt sich selbst, ohne Anleihe, ohne Rest, so wie er ist. Er ist eine
Natur.
Das ist der Reiz seiner Bilder. Aber seine Bildnisse haben noch einen besonderen Werth;
sie stellen eine Neuerung des Porträts dar, die ich sonst nur bei
Franzosen und einigen
verpariserten
Italienern gefunden. Sie theilen das augenblickliche der Erscheinung mit.
Jedes Porträt sucht ja heute die Wahrheit, die Wirklichkeit: es will einen geben,
wie er erscheint. Aber jeder erscheint jeden Tag anders, in jeder Laune, unter jedem
Gedanken, bei jedem Ereignisse anders. Jeder ist sozusagen zusammengesetzt aus einem ständigen Theile, den er immer mit sich trägt, und einem
veränderlichen Theile, den der Augenblick giebt und der nächste wieder nimmt. Der Realismus des
Bastien Lepage wollte blos den ersten; er suchte die allen Stimmungen gemeinsame
Sarah Bernhardt, jenes Stück des
Albert Wolff, das im Wechsel bleibt, den Rest des
Theuriet, wenn das bewegliche und vergängliche des Augenblicks abgezogen ist.
Manet war der erste, der diese Verkürzung der Wahrheit verschmähte, er wollte die ganze
Wirklichkeit, im Augenblick überrascht, wie sie der Zufall eben bietet, mit der Erde
an den Knollen ausgegraben. Ich weiss heute keinen, der das mit so kühner, rücksichtsloser
und drastischer Gewalt vermag, wie
Ferry Bératon.
Sehr sonderbar ist es um die Litteratur, sonderbar und traurig. Allerdings darf sich
ein Land, das zwei so herrliche, unvergleichliche Dichter, wie
Ferdinand von Saar und die
Ebner-Eschenbach, und die bemerkenswerthen Talente der
Schubin,
Suttner,
Marriot und anderer anerkannter und allgemein bekannter Autoren hat, schon auch einmal eine
kleine Rast erlauben; aber es macht von diesem Luxus doch einen etwas gar unmässigen
Gebrauch. Es giebt natürlich auch in
Wien eine »neue Richtung«: es giebt ein »junges
Oesterreich«. Man kann eigentlich gar nicht
Oesterreichischer sein, als diese höchst seltsame Gemeinde;
urwienerisch ist ihre Weise durch und durch: alles beginnt sie von hinten und sie verspätet sich
immer um eine Idee. Sie hat ein »
Organ« geschaffen, einen Sammelplatz der neuen Dichter, die noch gar nicht da waren. Sie
hat eine »
freie Bühne« begründet, um unterdrückten Dramen zum Leben zu verhelfen, und gewahrt jetzt mit
verlegenem Erstaunen, dass mit dem besten Willen durchaus kein solches Drama aufzufinden
ist. Sie kämpft für die Erneuerung der Kunst durch eine Form, welche in allen anderen
Ländern längst schon wieder für den ältesten Zopf und die schändlichste Rückwärtserei
gilt. Es ist keine Gruppe von Schriftstellern, sondern von solchen, die es gern werden
möchten und eine verlässliche Methode, eine gute Anweisung, wirksame Recepte suchen;
es ist eine Art von ästhetischem Seminar. Ausgerichtet haben sie bisher nicht viel.
Blos dass der Gedanke der Moderne bei allen verständigen und besonnenen Freunden der
Kunst in Verruf und um alles Gefolge kam.
Drei Talente hat der Zufall in diese Gruppe verschlagen; es mag ihnen dabei manchmal
recht »ungut« zu Muthe sein.
Da ist einmal
Arthur Schnitzler, ein geistreicher, zierlicher, sehr amüsanter Causeur, ein bischen leichtsinnig in der Form und nicht allzu gewissenhaft, vielerlei versuchend.
Ich habe das Gefühl, dass er tiefer ist, als er sich gern den Anschein giebt, und
hinter seiner flotten Grazie schwere Leidenschaft verbirgt, die nur noch schüchtern
und schamhaft ist, weil sie erst zu festen Gestalten reifen will.
Dann
Felix Dörmann, ein unzweifelhaftes, starkes und kühnes Talent, aber das seinen Ausdruck noch nicht
gefunden hat und einstweilen blos in fremden Sprachen stammelt, in denen er nur so
unsicher um sich selber herumreden muss. Er sagt seine Besonderheit durch hergebrachte
Gedanken und Gefühle in hergebrachten Formen aus; aber man merkt doch wenigstens,
dass er Besonderheit hat, die schon früher oder später einmal die Schablone sprengen
und zur Freiheit ausbrechen wird.
Und endlich
Loris, der Zauberer der feinen, seltenen, raffinirten Sensationen, der nur wie durch einen
schlechten Witz ein
Wiener, aber von rechtswegen in seiner rastlosen Begierde nach der unbekannten Schönheit
durchaus
Pariser ist. Dieser grosse Künstler, dessen »sämmtliche Werke« vorläufig kaum 100 Seiten
füllen würden, ist die neueste Natur, welche ich heute unter den Deutschen weiss.
Dann sind einige, die jedesmal ein starkes Talent versprechen, so dass man sehr begierig
nach dem nächsten Werke greift; aber man wird enttäuscht: denn sie prolongiren den
Wechsel immer wieder auf’s neue. Sie schreiben in einem fort nur Erstlingswerke. Zwei
Damen sind da zu nennen, die die reichsten Hoffnungen erwecken – freilich allmählich
ein bischen lange, so dass man schon ein wenig ungeduldig werden darf:
delle Grazie und
Edith Salburg.
Aber ich möchte zuletzt noch einen nennen, der fern vom Lärm der neuen Schule und
darum unbeachtet von ihrer Reclame, Künstler und modern ist. Ich meine
Carl Baron Torresani. Der reizt mich als psychologisches Problem, für das ich sonst kein Beispiel finden
kann: wie ein lustiger, gemüthlicher und gescheiter Plauderer, der Erlebtes hübsch
erzählt, mit heiteren Anekdoten geschickt verwebt und mit glücklichen Bildern aus
der Wirklichkeit auf’s zierlichste versetzt, aber offenbar weiter auch gar nichts will und augenscheinlich
durchaus keinen künstlerischen Ehrgeiz kennt, auf einmal von einer Gestalt so heftig
getroffen wird, dass dieser Stoss aus seiner Tiefe heraus einen unvermutheten Künstler
treibt. Ich kann mir das gar nicht denken, wie ein solcher Mensch, der Jahre lang
eine bessere Natur in sich herumträgt, ohne es auch nur zu ahnen, seelisch eigentlich
verfasst sein mag. Er hat gelassen drei lange
Romane und einen Band
Novellen geschrieben, sehr nett, sehr flott, sehr amüsant, aber ohne jemals im mindesten was
Künstlerisches zu verrathen, so wie einer halt unter Freunden gern erzählt, wenn er
ein fescher Kerl, ein heller, wachsamer und offener Kopf, aber kein Dichter ist; und
dann auf einmal hat er die »
Juckerkomtesse« geschrieben, einen ganz köstlichen Roman, der freilich die überlieferte Form nirgends
verlässt, aber modernes Leben mit meisterlicher Kraft handgreiflich gestaltet und
die schönste, reinste und wahrste Liebesscene enthält, die in den letzten zehn Jahren
der deutschen Dichtung gelungen ist.