Wie bekannt, erhielt
Hermann Bahr vor mehreren Tagen die polizeiliche Verständigung, daß ihm die beabsichtigte Vorlesung
von
Arthur Schnitzler’s »
Reigen« im
Bösendorfer-Saale nicht gestattet werden könne. Gegen diese Entscheidung ergriff
Bahr den Recurs an die
Statthalterei.
Gestern sprach
Bahr in dieser Angelegenheit beim Ministerpräsidenten Dr.
v. Koerber vor.
Bahr wies zunächst darauf hin, daß in
München eine Aufführung des »
Reigen« erfolgt sei. Eine
dramatische Aufführung wirke doch viel stärker, drastischer und handgreiflicher, als eine bloße
Vorlesung und es komme ihm daher der Widerspruch zwischen den Entscheidungen der
Münchener Behörde, welche das Werk passiren ließ, und der
Wiener Behörde, welche mit einem Verbote vorgehe, recht seltsam vor.
Dr.
v. Koerber erwiderte, es möge immerhin dem Laien befremdlich erscheinen, wenn dramatische Werke
an verschiedenen Orten seitens der Behörden eine verschiedene Beurtheilung finden,
aber in der Praxis sei dies nun einmal unvermeidlich. Wenn manche Werke in
Oesterreich verboten sind, die in
Deutschland erlaubt sind, so sind umgekehrt manche Werke in
Deutschland verboten, die in
Oesterreich erlaubt sind.
Hermann Bahr bemerkte sodann, daß der »
Reigen« in zehntausend Exemplaren in
Oesterreich verbreitet und daß es höchst unwahrscheinlich sei, daß zu der Vorlesung im
Bösendorfer-Saale auch nur
eine Person gekommen wäre, welche nicht aus der Lectüre des Werkes ganz genau gewußt hätte,
was sie zu erwarten habe.
Der
Ministerpräsident erwiderte, es sei zweifellos, daß ein Werk in der Lecture einen geringeren Eindruck
mache, als im öffentlichen Vortrage.
Schließlich gab
Hermann Bahr seiner Verwunderung Ausdruck, daß Werke erotischen Inhalts, wenn sie absolut unliterarisch
sind, von der Behörde mit der größten Nachsicht und Milde behandelt werden, und daß
sich diese Milde und Nachsicht, wenn es sich um ein Werk von ausgesprochen literarischem
Charakter handle, sofort in Strenge verwandle.
Dr.
v. Koerber betonte in seiner Erwiderung, es scheine ihm, daß die
literarische Production in erotischen Dingen jetzt weiter gehe als es aus öffentlichen
Gründen zulässig sei. Im Uebrigen nahm der
Ministerpräsident zur Kenntniß, daß
Bahr den Recurs an die
Statthalterei geleitet habe. Die endgültige Entscheidung behalte er sich vor, doch könne er
nur geringe Hoffnungen machen, daß der »
Reigen« freigegeben werde.