Frango [= Franz Goldstein]: Spaziergang mit Schnitzler, 19. 8. 1930

Spaziergang mit Schnitzler
St. Moritz, August 1930
Es bedeutet eine günstige Fügung, am Tag der Ankunft vor dem Hotel einem gelben Kraftwagen mit schwarz-rot-goldenem Wimpel zu begegnen, in dem Emil Ludwig (am Steuer) Arthur Schnitzler von einer Spazierfahrt durch das Oberengadin soeben heimgebracht hat. Freudige Begrüßung des Wiedersehens. Schon ist Schnitzler zu einem Spaziergang bereit.
»Im Spiel der Sommerlüfte« liegt der St. Moritzsee, sonnenüberblendet, von leichtem Wind gekräuselt, gebettet in waldige Berge, deren Gipfel Neuschnee krönt. Hotelpaläste synkopieren schroff die Landschaft. Das alles erinnert so sehr an den Schauplatz der Geschichte von »Fräulein Else«. Aber die Novelle spielt ja in San Martino di Castrozza, der Film eben ist in St. Moritz gekurbelt. Der Dichter jedoch bestätigt auch St. Moritz als Ort der Handlung gern: »Hier ist die Luft wie Champagner«.
Schnitzler lehnt den Film als Kunstform keineswegs ab. Er hat ein Angebot aus Hollywood, drei Manuskripte zu schreiben, nicht abgelehnt. Ein deutscher Tonfilm nach der Erzählung »Spiel im Morgengrauen« wird vorbereitet. Vom Film kommt das Gespräch auf das Theater. Ich gedenke der erfolgreichen Wiederaufnahme des »Professor Bernhardi« während der vergangenen Berliner und Wiener Spielzeit. Schnitzler erklärt sich mit der Auffassung Kortners sehr einverstanden. Die Falconetti will im nächsten Winter in Paris alle weiblichen Rollen im »Reigen« spielen. Man liebt Schnitzler aus Wahlverwandtschaft seit je in Paris und hat seine Werke auch in letzter Zeit viel ins Französische übertragen. Der Dichter bemerkt, daß er die französische Fassung seiner »Therese« fast dem Original vorzöge. Zu den Dingen des Theaters zurückkehrend, kommt das Gespräch auf den amerikanischen Dramatiker O’Neill und dessen »Seltsames Zwischenspiel«. Schnitzler mokiert sich über die »Entdeckung« der Psychoanalyse durch die Art, die Personen ihre Gedanken laut aussprechen zu lassen, wie das ja schon der alte Moliere gekannt hat.
Ebenso amüsant findet Schnitzler es, wenn ausländische Kritiker in ihm einen Schüler der Psychoanalyse sehen. Dichtung sei von jeher seelenschürfend aus Intuition, also psychoanalytisch in einem weiteren Sinn gewesen.
Schnitzler ist, wie aus seinem »Buch der Sprüche und Bedenken« bekannt ist, überhaupt auf die Kritik nicht gut zu sprechen, weil manche Rezensenten in ihm wohl immer noch den Dichter des »süßen Mädels« erblicken. Als Beispiel für die Ignoranz einer gewissen Auslandskritik führt Schnitzler das kürzlich erschienene Referat einer Pariser Literaturzeitschrift über die französische Übersetzung von Thomas Manns »Tristan« an. Dieses Referat gipfelte in der Erklärung, man werde die Uebersetzung der »Buddenbrooks« abzuwarten haben, ehe man sich über den Wert Thomas Manns im Klaren sei.
Das Problem Rußland beschäftigt Schnitzler sehr viel. Er glaubt, daß manches Gute im neuen Rußland geschähe, wie es ihm auch Emil Ludwig aus eigener Anschauung berichtet habe, aber er lehnt den Bolschewismus als »Mord am Geist« ab. Während wir uns dem Ausgangspunkt des Spazierganges nähern, sagt Schnitzler auf die zahlreichen, sonntäglichen Spaziergänger deutend: »Zwei Arten von Menschen kann ich nicht vertragen, die vor, und die hinter mir gehen.« Scheu, Satire, Ironie oder tiefere Bedeutung?  Frango