Spaziergang mit Schnitzler
Es bedeutet eine günstige Fügung, am
Tag der
Ankunft vor dem Hotel einem gelben Kraftwagen mit schwarz-rot-goldenem Wimpel zu
begegnen, in dem
Emil Ludwig (am Steuer)
Arthur Schnitzler von einer Spazierfahrt durch das
Oberengadin soeben heimgebracht hat. Freudige Begrüßung des Wiedersehens.
Schon ist
Schnitzler zu einem Spaziergang
bereit.
»
Im Spiel der Sommerlüfte« liegt der
St. Moritzsee, sonnenüberblendet, von leichtem
Wind gekräuselt, gebettet in waldige Berge, deren Gipfel Neuschnee krönt.
Hotelpaläste synkopieren schroff die Landschaft. Das alles erinnert so sehr an den
Schauplatz der Geschichte von »
Fräulein Else«.
Aber die Novelle spielt ja in
San Martino di Castrozza, der
Film eben ist in
St. Moritz gekurbelt. Der
Dichter jedoch bestätigt auch
St. Moritz als Ort der Handlung gern: »Hier ist
die Luft wie Champagner«.
Schnitzler lehnt den Film als Kunstform
keineswegs ab. Er hat ein Angebot aus Hollywood,
drei
Manuskripte zu schreiben, nicht abgelehnt. Ein deutscher Tonfilm nach der Erzählung »
Spiel im Morgengrauen« wird vorbereitet. Vom Film kommt das
Gespräch auf das Theater. Ich gedenke der erfolgreichen Wiederaufnahme des »
Professor Bernhardi« während der vergangenen
Berliner und
Wiener Spielzeit.
Schnitzler erklärt
sich mit der Auffassung
Kortners sehr
einverstanden. Die
Falconetti will im nächsten Winter in
Paris alle weiblichen Rollen im »
Reigen« spielen. Man liebt
Schnitzler aus
Wahlverwandtschaft seit je in
Paris und hat seine
Werke auch in letzter Zeit viel ins
Französische
übertragen. Der
Dichter
bemerkt, daß er die
französische Fassung seiner »
Therese« fast dem Original vorzöge. Zu den Dingen des Theaters zurückkehrend, kommt das Gespräch
auf den amerikanischen Dramatiker
O’Neill und
dessen »
Seltsames Zwischenspiel«.
Schnitzler mokiert sich über die »Entdeckung«
der Psychoanalyse durch die Art, die Personen ihre Gedanken laut aussprechen zu
lassen, wie das ja schon der alte
Moliere
gekannt hat.
Ebenso amüsant findet
Schnitzler es, wenn
ausländische Kritiker in ihm einen Schüler der Psychoanalyse sehen. Dichtung sei von
jeher seelenschürfend aus Intuition, also psychoanalytisch in einem weiteren Sinn
gewesen.
Schnitzler ist, wie aus seinem »
Buch der Sprüche und Bedenken« bekannt ist, überhaupt auf die
Kritik nicht gut zu sprechen, weil manche Rezensenten in ihm wohl immer noch den
Dichter des »süßen Mädels« erblicken. Als Beispiel für die Ignoranz einer gewissen
Auslandskritik führt
Schnitzler das kürzlich
erschienene Referat einer
Pariser Literaturzeitschrift über die
französische Übersetzung von
Thomas Manns »
Tristan« an. Dieses Referat gipfelte in der
Erklärung, man werde die Uebersetzung der »
Buddenbrooks« abzuwarten haben, ehe man sich über den Wert
Thomas Manns im Klaren sei.
Das Problem
Rußland beschäftigt
Schnitzler sehr viel. Er
glaubt, daß manches Gute im neuen
Rußland
geschähe, wie es ihm auch
Emil Ludwig aus
eigener Anschauung berichtet habe, aber er lehnt den Bolschewismus als »Mord am
Geist« ab. Während wir uns dem Ausgangspunkt des Spazierganges nähern, sagt
Schnitzler auf die zahlreichen, sonntäglichen
Spaziergänger deutend: »Zwei Arten von Menschen kann ich nicht vertragen, die vor,
und die hinter mir gehen.«
Scheu, Satire, Ironie oder
tiefere Bedeutung?
Frango