Artur Schnitzler läßt sich nicht interviewen!, 18. 9. 1931

Artur Schnitzler läßt sich nicht interviewen!
Interessante Polemik des Dichters mit der Berliner Zeitschrift »Neue Jüdische Monatsschau« über einen Aufsatz »Das Gute am Antisemitismus«.
Von
Dr. Artur Schnitzler.
Artur Schnitzler sendet uns zur Veröffentlichung nachstehendes Schreiben, das er an die Berliner Zeitschrift »Neue Jüdische Monatsschau« gerichtet hat.
Wien, 16. September 1931.
An die
Redaktion der »Neuen Jüdischen Monatschau«, Berlin.

Im Septemberheft Ihres geschätzten Blattes ist unter meinem Autornamen ein Artikel erschienen, betitelt: »Das Gute am Antisemitismus«. In einer Vorbemerkung schreiben Sie unter anderem: »Die folgende Stellungnahme zur Judenfrage ist einem Interview mit dem Berichterstatter des ›Canadian Jewish Chronicle‹ entnommen und soll in dem ›Literary Digest‹, New-York, erschienen sein. Wir entnehmen die Ausführungen anläßlich des siebzigsten Geburtstages von Schnitzler der Zeitschrift ›Die Auslese‹ in Berlin
Hiezu möchte ich vorerst bemerken, daß ich weder die von Ihnen zitierte Nummer der »Auslese«, noch die des »Literary Digest« jemals zu Gesicht bekommen habe. Der »Canadian Jewish Chronicle« ist möglicherweise – vor Monaten oder Jahren – wie so viele andere Zeitschriften an mich gelangt, und der Besuch mancher Berichterstatter, unter denen sich wohl auch der Verfasser jenes Artikels im »C. J. Ch.« befunden haben dürfte, ist mir in mehr oder minder deutlicher Erinnerung geblieben. Niemals aber habe ich einen Artikel verfaßt, dem ich den Titel gab: »Das Gute am Antisemitismus« oder irgendeinen Aufsatz ähnlichen Inhalts, ich habe keine Zeitschrift, weder eine inländische noch eine fremdsprachige jemals ermächtigt, einen Artikel unter diesem Titel und unter meinem Namen zu veröffentlichen. Von den in diesem bei Ihnen abgedruckten Artikel enthaltenen Sätzen habe ich keinen jemals ausgesprochen oder niedergeschrieben, und keine der darin niedergelegten Ansichten entspricht den meinen, ja, die meisten stehen zu den meinen in vollkommenem Gegensatz.
Es besteht keine gesetzliche, kaum eine moralische Möglichkeit, Journalisten, tüchtige oder minder tüchtige, an der Veröffentlichung von Gesprächen zu verhindern, deren sie sich mit größerer oder geringerer Treue zu erinnern glauben, die sie mit größerer oder geringerer Gewissenhaftigkeit aufgezeichnet haben, um sie endlich, mehr oder minder tendenziös, zu reproduzieren. Es ist ja auch meist recht belanglos, was in solchen Interviews zu lesen steht, und der Zeitungsleser, amüsiert oder nicht, hat sich damit abgefunden, an Berichterstattungen solcher Art, auch was ihre Glaubhaftigkeit anbelangt, nicht den allerstrengsten Maßstab anzulegen.
Bedenklicher wird die Sache, wenn in solchen Berichten, über Plauderei und Anekdote hinaus, auf Grund von Hörfehlern, Denkfehlern, mangelnder Sprachkenntnis, Mißverständnissen oder auch aus purer Leichtfertigkeit religiöse, politische, ethische Meinungen der interviewten Persönlichkeit in oberflächlicher oder entstellter Weise wiedergegeben werden. Und noch übler scheint es mir, wenn solche mehr oder minder willkürliche Berichte, ohne je wirklich original gewesen zu sein, neuerlich willkürlich bearbeitet, mit redaktionellen Erläuterungen und mit einem sozusagen wirksamen Titel versehen werden. So ist zum Beispiel der niemals von mir geschriebene Artikel, den die »Neue Jüdische Monatsschau« und wie ich aus ihr erfahre, der »Literary Digest« und »Die Auslese« unter dem Titel »Das Gute am Antisemitismus« publiziert haben, kurz darauf in einer großen Wiener Tageszeitung abgedruckt worden, diesmal unter dem Titel »Antisemitismus stärkt das Judentum« und mit dem Untertitel »Ein offenes Wort an die Christen von A. S.« Ich bin nicht sicher, ob nicht naivere Zeitungsleser mir, abgesehen von den Plattheiten und Unsinnigkeiten, die in jenem Artikel enthalten sind, am Ende noch die Geschmacklosigkeit zutrauen, jenem niemals von mir verfaßten Artikel eine so törichte und prätentiöse Ueberschrift verliehen zu haben.
Jeder anständige Journalist wird mir beistimmen, daß in Veröffentlichungen solcher Art – sie mögen im einzelnen so manches Richtige enthalten und oft genug in bester Absicht erfolgt sein – eine offenbare, wenn auch meist nur schwer faßbare Verletzung des Urheberrechts und gelegentlich eine schriftstellerische und menschliche Schädigung der Persönlichkeit begründet liegt, mit der so unbedenklich verfahren wurde. Es ist nicht immer ganz einfach, meistens auch kaum der Mühe wert, sich gegen solche Uebergriffe öffentlich zur Wehr zu setzen; und in den meisten Fällen würde ein derartiges Einschreiten einen unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit für den Geschädigten und eine überflüssige Belästigung der Oeffentlichkeit bedeuten. So bleibt im allgemeinen nicht Besseres übrig als zu schweigen.
Da mir aber in den letzten Jahren mehrfach publizistische Abenteuer dieser Art zugestoßen sind, so möchte ich nur ein- für allemal feststellen, daß ich Interviews überhaupt nicht erteile und daß Aeußerungen, die ich etwa im Laufe von Privatgesprächen getan haben soll und tun werde, nur dann als authentisch gelten dürfen, wenn ihre Richtigkeit durch eigene Unterschrift von mir bestätigt wurde. Da ich mich aber imstande glaube, dort, wo es mir aus irgendeinem Grunde erlaubt oder sogar geboten scheint, meine Ansichten, ohne Zuhilfenahme auch der verläßlichsten Mittelsperson, auszusprechen, lehne ich es mit aller Entschiedenheit ab, für die in sogenannten Interviews oder Elaboraten ähnlicher Art in oder unter meinem Namen publizierten Weltanschauungen und Meinungen, ja auch nur für einen Satz oder für ein Wort die Verantwortung zu übernehmen, selbst den Fall gesetzt, daß sich ein oder das andere dieser gedruckten Worte mit einem von mir tatsächlich gesprochenen oder eine der in solchen Interviews angeblich von mir ausgedrückte Ansicht mit einer wirklich von mir gehegten decken sollte.
Für die Aufnahme dieser Erklärung verbindlichst dankend, bin ich mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
Ihr sehr ergebener
 Dr. Artur Schnitzler.