B5: Bahr, Hermann_1 Schnitzler an Bahr, Typoskript, Seite 40

63)
Wien 30.7.905.
Lieber Hermann,
Dein neues Stück hab ich in Reichenau gelesen und an Richard abgesandt.-
Es hat mich durchaus interessiert, und allerlei menschliches hat nicht
tief bewegt - gegen das Stück, d.h.gegen das fünfaktige Gebilde, das
von 2000 Menschen zugleich angehört und verstanden werden soll, hab
ich manches Bedenken. In wenigen Worten ausgedrückt: es mangelt dem
Ganzen zuweilen an künstlerischer Oekonomie. Nahmen wir an, Du hättest
mir nur den 5. xxx Act zu lesen gegeben. Da hätt ich gesagt: Donnerwetter,
ist das merkwürdiges xxxing - und hätte mir allerlei erste 4 Acte dazu
gedacht, die vielleicht alle nicht so gut gewesen wäre als Deine, aber
besser zu Deinem fünften (wie ich ihn empfinde) gepasst hätten. Von
Deinem 5. Act geht ein Licht aus, das mir nach Vorwärts deutet, aber den
Herweg im Dunkel lässt. Man darf immer behaupten 2 mal 2 ist 4,- aber
wenn man sagt: Ergo ist 2 mal 2-1-t 4, so verpflichtet dieses Ergo zu
einer vorhergegangenen Rechnung. Natürlich fühlst Du dieses Ergo sehr
gut - aber Du hast es mich nicht dramatisch nachfühlen lassen. Etwas
ähnliches hab ich zum 1. Act zu bemerken. Besenius. Ich bediene mich wieder
eines Vergleichs (um das Recht zu haben etwas falschhes zu behaupten!)
Wenn sich ein Musiker zum Flügel setzt, so beginnt er zu präludieren
(manchmal) ehe er sein eigentliches Stück spielt. Er deutet die Stimmung
und die Harmende des Stückes,- vielleicht auch nur seine eigene Laune
an. Deine Besenius-Soche ist solch ein Präludieren, dass Du schon als
Beginn des wirklichen Stückes ausgibst. Man glaubt Dir lang. 1,2,3,4
Acte hindurch - dann wenn Dein Besenius noch einmal aufträte, behieltest
Du vielleicht recht. Damit dass seine Ideen sozusagen wieder erscheinen,
ist nichts getan: hier war ein Mensch, der innerhalb der Oekonomie des
Ganzen zu mehr bestimmt schien, als einige xxx schöne Dinge auszusprechen
und er schminkt sich nach der ersten Seene ab. Das verzeihen wir Dir
so wenig wie die bekannte ungeladene Flinte.
Dass Amschel ist wie er ist, das ist Dein Wille und Dein gutes Recht.
Ich glaub an ihn. Ob man ihn, aus rein praktischen Gründen, nicht von
einigen Widrigkeiten befreien solte, wäre zu überlegen. Wäre ich eine
grosse Violinvirtuosin nicht um die Welt liess ich mich von einem Kerl
anrühren, der öfter als 6 mal in der Minute Schnudelchen sagt. Aber das
ist ja Geschmacksache. Wie oft aber stört uns an einer Frau nur der Ge-
danke an den, der sie besessen hat. Und ist das Publikum nicht gerade sot
Das Problem ("Die andere") wird nicht im geringsten touchiert, wenn
Amschel ein wenig umgänglicher erscheint. Die ganze Stimmung des letzten
Aktes ist höchst seltsan, besonders merkwürdig die zwei neuen Personen
wie Lida in die Umgebung gerät, ist mir nicht sehr klar geworden, ihr
Hiersein hat was melodramatisches, wenn auch ringaum alles ins Grotesk-
Phantastische geht. Die Sterbesoene, die zwei Männer bei ihr - das ist
kühn. Kühn gewiss. Ob es noch mehr ist, weiss ich heute nicht. Von
mitteilender Qual die Soene zwischen Heinrich (?) und der Frau v. Jelle
im 4. Act. Wenn ich heute an das Stück denke, das ich vor acht Tagen
gelesen, so ist es mir xxErinnerung an zuckende menschliche Her-
vre die
en¬
Meine Frau,
meh
Ich hoffe, es geht Dir gut. Von mir Bösz
die das Stück auch mit tiefster Anteilnahme gelesen, grüsst Dich viel-
mals.
Von Herzen
Dein Arthur