B5: Bahr, Hermann_3 Bahr an Schnitzler, Typoskript, Seite 53

-51-
Sonne und Meer.
Entschuldige den verworrenen Ton dieses Briefes,grüsse Frau
Olga und den Heinrich herzlichst und sei es selbst von
Deinem
Hermann
14.12.1904, Nachts
125
Lieber Arthur!
Ich hab Dich nach der Symphonie heut überall gesucht,
aber Du warst wie in die Erde versunken. So lass mich Dir schriftlich
geschwind (denn ich bin todtmüd vor Musik, gestern auch nach Walküre,
die mich so wahnsinnig aufgeregt hat, dass ich heut erst in der Früh
gegen fünf einschlafen konnte) herzlichst für Deinen lieben Brief dan-
ken. Es ist möglich, dass Du recht hast (mit dem, was Du über Deine
Intention sagst, hast Du natürlich gewiss recht,fraglich bleibt nur,
ob nicht bei der Ausführung, Dir selbst unbewusst, etwas von einer Un-
tergrundstimmung in Dir, die sich nach dem Philister sehnt, eingeflos-
sen ist), ich musste mein Gefühl eben einmal aussprechen, mit einiger
Schärfe, die nicht Dir gilt, sondern mir selbst, einer inneren Schwäche
in mir selbst, an der ich Jahre lang gelitten habe (Manches, was ich
jetzt im "Franzl" nicht mehr mag und diese blödsinnige letzte Szene
des "Apostels" ist aus ihr! und von der ich mich nur durch eine er-
bitterte Anrufung meiner innersten Instinkte frei gemacht habe.
ganz frei freilich erst, seit ich mit dem Tode so vertraut bin,seit der
Tod wirklich mein bester Freund geworden ist, der einzige nämlich,
den ich mir noch wirklich verdienen will, aber über dies alles einmal
mündlich in einer guten Stunde, denn es ist & tiefer, als sich so hin-
schreiben lässt, viel "tiefer als der Tag gedacht", Tristan-tief, wo
Du es jetzt, im zweiten Akt, viel schöner finden wirst, als ichs jemals