Jahre
1 11
II
1911
44
Raimund-Theater.
Direction: A. Müller-Guttenbrunn.
Wien, am 26. III.1895.
27
Verehrter Herr Dr. Schnitzler!
Ich habe das Schauspiel "Ghetto" mit ausserordentli-
chem Interesse gelesen und halte das Stück, obwohl mich die Lösung
nicht befriedigte und ich dem Helden mehr Spielraum gegönnt hätte,
für eine der interessantesten Arbeiten, die mir seit Langem unter-
gekommen. Das Stück hat frappante Züge von Lebenswahrheit, es ist
reich an feinem Detail und es wird getragen von einer Idee, der
man weder die Actualität, noch die tiefere Bedeutung absprechen kann.
Und trotz alledem - würden Sie esaufführen? Und glau-
ben Sie, dass sich irgendwo in deutschen Landen ein grosses Theater
findet, welches "Ghetto" aufführt? Ich glaube es nicht! Sie können
das Stück also ruhig noch einige Tage hier liegen lassen, ich will
es noch von andern, ganz unbetheiligten Personen, deren Urtheil mir
werthvoll ist, lesen lassen. Wenn das Stück in Wien jemals aufge-
führt wird, so kann dies nur im R.-Th. geschehen. Dank werden wir
keinen dafür ernten,weder von den Juden, noch von den Antisemiten!
Den Herrn Schnabel würde ich gerne sprechen!
Ihr ergebenster
A. Müller-Guttenbrunn.
1 11
II
1911
44
Raimund-Theater.
Direction: A. Müller-Guttenbrunn.
Wien, am 26. III.1895.
27
Verehrter Herr Dr. Schnitzler!
Ich habe das Schauspiel "Ghetto" mit ausserordentli-
chem Interesse gelesen und halte das Stück, obwohl mich die Lösung
nicht befriedigte und ich dem Helden mehr Spielraum gegönnt hätte,
für eine der interessantesten Arbeiten, die mir seit Langem unter-
gekommen. Das Stück hat frappante Züge von Lebenswahrheit, es ist
reich an feinem Detail und es wird getragen von einer Idee, der
man weder die Actualität, noch die tiefere Bedeutung absprechen kann.
Und trotz alledem - würden Sie esaufführen? Und glau-
ben Sie, dass sich irgendwo in deutschen Landen ein grosses Theater
findet, welches "Ghetto" aufführt? Ich glaube es nicht! Sie können
das Stück also ruhig noch einige Tage hier liegen lassen, ich will
es noch von andern, ganz unbetheiligten Personen, deren Urtheil mir
werthvoll ist, lesen lassen. Wenn das Stück in Wien jemals aufge-
führt wird, so kann dies nur im R.-Th. geschehen. Dank werden wir
keinen dafür ernten,weder von den Juden, noch von den Antisemiten!
Den Herrn Schnabel würde ich gerne sprechen!
Ihr ergebenster
A. Müller-Guttenbrunn.