B43: Hofmannsthal, Hugo von_1 an HvH, Abschrift, Seite 21

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A.S. an H.v.H.
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Marienbad, 10.5.95.
Mein lieber Hugo,ich bin in Prag gewesen, in
Karlsbad und nun bin ich hier, wo ich wohl bis
Ende der Woche oder Anfang der nächsten bleiben
werde. Dann erscheine ich in Ischl, Pension Petter,
wo ich hoffentlich eine Nachricht von Ihnen finden
werde. Diese Zeilen werden in einer Dachkammer,
nein, eigentlich in einem Dachsalon geschrieben-
zwei Fenster mit ebenso vielen Aussichten; beide
stehen offen und alles papierne auf dem Tisch
flattert und knittert.- Ich hab mich schon an man
chem schönen freuen können und fühle mich im gan-
zen wohl, ohne in irgend einem Augenblick zu ei-
nem Hochgefühl gekommen zu sein. In Prag das
merkwürdigste ein alter jüdischer Friedhof, der
langsam versinkt. Seit mehr als 100 Jahren be-
gräbt man dort nicht mehr, und die Grabsteine und
Sarkophage werden langsam von der Erde einge-
schlürft. Einige sind noch zur Hälfte über dem
Boden, von andern sieht man gerade noch die ober-
sten Ränder.Alle dicht aneinander, viele schief,
manche gegeneinander geneigt, sich gegenseitig
stützend. Darüber stille nicht sehr hohe tief-
grüne Bäume, mit so dichtem Laub, als wenn sie
alle zusammen ein Dach sein wollten für diesen
Friedhof, der stirbt.-
Die othnographische Ausstellung: viel interessan-
te Stuben und Costüme.- der Hradschin,da hat
mir ein Führer erzählt, dass man im Volk in Prag
den Kronprinzen Rudolf nicht für todt hält: ein
Zutscher hat ihn im Jahr 91 sogar in die Aus-
stellung geführt, ganz bestimmt, er hat ihn erkannt.
- Ein Hofbediensteter, der gemessen und höflich
erläutert, und der sich, wenn man ihm was unhöfisches
passiert, schnell wieder derfangt. Z.B. wie er den
Fensteretung berichtet: "Hier hat man die drei in
den Graben hinunter geshhmissen, resp. henunterge-
nach sechs
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worfen"
-In Karlsbad Wirkung der Kurgäste als Masse, wie
jeder das seine beitragt zum Eindruck: Welt-
kurort;- aber man darf sie nicht einzeln ansehn,
wenn man das grosse spüren will -denn dann sinds
Hochstapler, Zuckerkranke, polnische Juden, Gigerln,
Besezny, Broda, Wilhelm&Sandrock -allerdings auch
bonnenthal (Uebergang,1, einige wirklich elegante
Menschen und ein paar entzückend schöne Amerika-
nerinnen. -Ich bin aus K. bald fort -man kann
dort nur zwei Tage oder vier Wochen bleiben.-Hier,
in Marienbad, ist es behaglicher, und die Leute
die hier sind, sind nicht so stolz darauf, dass sie
da sind, wie in Karlsbad. - Ein grosser freundlicher
Park, in dem hohe schöne Häuser stehen, die lauter
Hotels sind, und ringsherum bescheidene Hügel, die
sich freuen, weil man breite Wege zu ihnen hinge-
führt hat, und Wälder, die sich freuen, weil so brave
dicke Menschen in ihnen spazieren gehen; auch
die Wirte und Kellner un Dienstmänner lächeln
hier; während sie in K. alle sehr ernst sind und
ihrer Würde nie vergessen können.-Hier hab ich
Hänsl und Gretl im Theater gesehen, in K. den Armen
Jonathan, in Prag (böhmisch) Dimitrij, Oper von
Dworak und (deutsch) -Attaché mit Hartmann und
Kallina als Gästen.
Heut fuhr ich nach Franzensbad hinüber. Leben Sie
wohl,sagen Sie mir, wie Sie sich befinden, ob Sie
sich immer mehr nach dem Herbst sehnen und schrei-
ben Sie mehr sehr bald. Zum arbeiten bin ich noch
nicht gekommen; Sie? - Aber ich freu mich darauf,
und das ist eigentlich viel besser.
Herzlichen Gruss
Ihr
Arthur.
nach Daczo.