A.S. an H.v.H.
39
37
Ischl, 17.8.95.
Mein lieber Hugo, Ihren Brief habe ich zum Zu-
rückkommen aus Wien gefunden. Dort bin ich 2
Tage gewesen und habe die Marionetten in Venedig
und Hänsel und Gretel gesehen. An einzelne von
diesen Marionetten danke ich zurück wie an leben-
dige Schauspieler, die sich auch an mich erinnern
müssen. Im übrigen ist Wien jetzt dumpf und übel-
riechend und es ist gut, dass ich wieder weg konn-
te. In Ischl bleib ich nur bis Montag. Dann fahr
ich per Rad nach Salzburg, mit Salten. Auch Richard,
dem ich Ihre Kränkung bestellt habe, kommt wohl hin
und die Frau Lou wird schon dort sein, Wenn Sie
mir gleich zwei Zeilen schreiben, so kann ich sie
mir noch in Salzburg poste restante abholen und
grosse Freude, „onnerstag radle ich
hätte eine g
nämlich weiter, auf einen bisher noch nicht de-
finitiv festgestellten Weg nach München,wo
das Rendezvous mit Goldmannist. In M, bin ich
bis mindestens 3. September (Briefe dahin auch
poste restante, aber ich werd Ihnen von meine
Radtour noch öfters ein paar Worte schreiben).
Ich hab hier den ersten Akt zu Ende geschrie-
ben und ein paar kleine Geschichten,an denen mir
vielleicht schon manches gelungen ist. Sie wissen
ja, meine grosse Sehnsucht: die sehr einfache
Geschichte, die in sich selbst ganz fertig ist.
Eine Flasche, die man ausgiesst, ohne dass es nach-
tröpfeln darf und ohne dass was zurückbleibt.-
Auch geht es mir heuer innerlich gut -es gelingt
mir fast jedesmal kleine Eitelkeiten und gros-
se Hypochondrien davonzujagen, wenn sie sich melden
wollen. Im ganzen fühl ich mich in diesem Jahre
um fünf Jahre jünger als im vorigen, was darin be-
gründet ist, dass Ich in weniger falschen Verhält-
nissen lebe als damals. Was Sie einmal von der
Seele, die immer eine kindliche bleibt, sagten,
fällt mir ein. Es mag sein, dass Altwerden wirklich
nur eine Schwäche ist, von der man sich befreien
kann, so lang man eben doch eigentlich
nur 33 Jahre alt ist.-Leben Sie wohl, seien Sie
herzlich gegrüsst und schreiben Sie eine Zeile
nach Salzs. Kr. a.
A.S.an H.v.H.
40
(38)
München, 1.9.95.
Lieber Hugo, Von Salzburg aus, wo Richard, Salten
und die Salome zusammen waren, fuhren ich und S.
per Rad davon. Das war sehr schön. Man hat schon
ganz aufgehört, so mitten durch Dörfer und Flecken
zu fahren, mitten durch das Leben und die Naivetät
eines Ortes. Von Stationen aus, wo sich naturge-
mäss künstliches sammelt, sieht man das alles schief.
Auch die Landstrassen werden wieder lebendig, wachen
auf, und man gehört mit zu den Erweckenden. Auch
Zufälle gibt es wieder, und, das beste, man hält den
Zug an, wo es beliebt, Dagegen fällt das mancherlei
unangenehme, dass es regnen kann und dass man nass
und kotig wird und stürzt, wenig ins Gewicht. Wir
hatten darunter genug zu leiden, mussten sogar in
einem Zollhaus stundenlang ein besseres Wetter ab-
warten. Amüsant war es, wie geräde an der xxxx
bayr. österr. Grenze, zwischen Reichenhall und Lofer,
Burckhardt auf einem Rad entgegenkam, der von Inns-
bruck nach Ischl fuhr. Bei diesem Menschen ist eine
Mischung von "reinem Toren" und gefinkeltem Diploma-
ten sehr interessant, welche mir immer zweifelloser
wird. Sein persönlicher Charme ist vielleicht dieses
Durchleuchtetwerden eines verworrenen bunten selbst
trüben Aeussern von innen her. Worüber noch eini-
ges zu sagen wäre. Hier, in M. bin ich seit Donners-
tag mit Paul Gldm. zusammen, der sehr gut aussieht,
aber mit Schicksal und Aufsichten wenig zufrieden
ist und insbesondere daran leidet, dass er seine eigene
Tätigkeit nicht genügend schätzt, weil sie nicht in
der wünschenswerten Weise anerkannt wird. Ist übrigens
wie immer voll Verstand, Verständnis, Herzlichkeit,
Freude am Schönen; wohltuend in dem was er bringt xxx
und in der Art, wie er aufnimmt. Seit gestern
Abend ist auch Richard da, und die Salome soll am 3.
oder 4 kommen.-
im Glaspalast ist sehr wenig gutes, viel mittelmässi-
ges und zu viel schlechtes. Viel mehr ist in der
Seoession zu sehen; manohes, das weit über den
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Ischl, 17.8.95.
Mein lieber Hugo, Ihren Brief habe ich zum Zu-
rückkommen aus Wien gefunden. Dort bin ich 2
Tage gewesen und habe die Marionetten in Venedig
und Hänsel und Gretel gesehen. An einzelne von
diesen Marionetten danke ich zurück wie an leben-
dige Schauspieler, die sich auch an mich erinnern
müssen. Im übrigen ist Wien jetzt dumpf und übel-
riechend und es ist gut, dass ich wieder weg konn-
te. In Ischl bleib ich nur bis Montag. Dann fahr
ich per Rad nach Salzburg, mit Salten. Auch Richard,
dem ich Ihre Kränkung bestellt habe, kommt wohl hin
und die Frau Lou wird schon dort sein, Wenn Sie
mir gleich zwei Zeilen schreiben, so kann ich sie
mir noch in Salzburg poste restante abholen und
grosse Freude, „onnerstag radle ich
hätte eine g
nämlich weiter, auf einen bisher noch nicht de-
finitiv festgestellten Weg nach München,wo
das Rendezvous mit Goldmannist. In M, bin ich
bis mindestens 3. September (Briefe dahin auch
poste restante, aber ich werd Ihnen von meine
Radtour noch öfters ein paar Worte schreiben).
Ich hab hier den ersten Akt zu Ende geschrie-
ben und ein paar kleine Geschichten,an denen mir
vielleicht schon manches gelungen ist. Sie wissen
ja, meine grosse Sehnsucht: die sehr einfache
Geschichte, die in sich selbst ganz fertig ist.
Eine Flasche, die man ausgiesst, ohne dass es nach-
tröpfeln darf und ohne dass was zurückbleibt.-
Auch geht es mir heuer innerlich gut -es gelingt
mir fast jedesmal kleine Eitelkeiten und gros-
se Hypochondrien davonzujagen, wenn sie sich melden
wollen. Im ganzen fühl ich mich in diesem Jahre
um fünf Jahre jünger als im vorigen, was darin be-
gründet ist, dass Ich in weniger falschen Verhält-
nissen lebe als damals. Was Sie einmal von der
Seele, die immer eine kindliche bleibt, sagten,
fällt mir ein. Es mag sein, dass Altwerden wirklich
nur eine Schwäche ist, von der man sich befreien
kann, so lang man eben doch eigentlich
nur 33 Jahre alt ist.-Leben Sie wohl, seien Sie
herzlich gegrüsst und schreiben Sie eine Zeile
nach Salzs. Kr. a.
A.S.an H.v.H.
40
(38)
München, 1.9.95.
Lieber Hugo, Von Salzburg aus, wo Richard, Salten
und die Salome zusammen waren, fuhren ich und S.
per Rad davon. Das war sehr schön. Man hat schon
ganz aufgehört, so mitten durch Dörfer und Flecken
zu fahren, mitten durch das Leben und die Naivetät
eines Ortes. Von Stationen aus, wo sich naturge-
mäss künstliches sammelt, sieht man das alles schief.
Auch die Landstrassen werden wieder lebendig, wachen
auf, und man gehört mit zu den Erweckenden. Auch
Zufälle gibt es wieder, und, das beste, man hält den
Zug an, wo es beliebt, Dagegen fällt das mancherlei
unangenehme, dass es regnen kann und dass man nass
und kotig wird und stürzt, wenig ins Gewicht. Wir
hatten darunter genug zu leiden, mussten sogar in
einem Zollhaus stundenlang ein besseres Wetter ab-
warten. Amüsant war es, wie geräde an der xxxx
bayr. österr. Grenze, zwischen Reichenhall und Lofer,
Burckhardt auf einem Rad entgegenkam, der von Inns-
bruck nach Ischl fuhr. Bei diesem Menschen ist eine
Mischung von "reinem Toren" und gefinkeltem Diploma-
ten sehr interessant, welche mir immer zweifelloser
wird. Sein persönlicher Charme ist vielleicht dieses
Durchleuchtetwerden eines verworrenen bunten selbst
trüben Aeussern von innen her. Worüber noch eini-
ges zu sagen wäre. Hier, in M. bin ich seit Donners-
tag mit Paul Gldm. zusammen, der sehr gut aussieht,
aber mit Schicksal und Aufsichten wenig zufrieden
ist und insbesondere daran leidet, dass er seine eigene
Tätigkeit nicht genügend schätzt, weil sie nicht in
der wünschenswerten Weise anerkannt wird. Ist übrigens
wie immer voll Verstand, Verständnis, Herzlichkeit,
Freude am Schönen; wohltuend in dem was er bringt xxx
und in der Art, wie er aufnimmt. Seit gestern
Abend ist auch Richard da, und die Salome soll am 3.
oder 4 kommen.-
im Glaspalast ist sehr wenig gutes, viel mittelmässi-
ges und zu viel schlechtes. Viel mehr ist in der
Seoession zu sehen; manohes, das weit über den