A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 96

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Arzt. Es ist keinerlei äußere Verletzung nachzuweisen
gnädige Frau — jedenfalls muß man nicht gleich verzweifelt
sein. (Sieht sich um; es sind noch anwesend außer Frau Betty:
Franziska, Lulu, Frau Emma, Agnes, ein junger Bursch, das Dienst¬
mädchen und der fremde Mann.)
Arzt. Ich bitte sehr.... Nicht wahr, gnädige Frau,
Sie sehen ein —
Franziska. Ich bin die Schwester.
Lulu (ist zum Divan hingestürzt). Hugo!
Arzt. Liebes Kind, nicht wahr, Sie gehen auch lieber
hinaus.
Lulu. Ist es gefährlich?
Arzt. Wir wollen hoffen nein. Aber bitte sehr..
Ruhe ist das wichtigste vorläufig. Und Sie (zum fremden Mann)
bringen uns vielleicht Wasser.
Der fremde Mann (verlegen). Ich gehöre nicht zum
Haus.
(Das Dienstmädchen entfernt sich.)
Franziska (gleich voll Bedacht zum Manne). Ah, Sie sind
Wir sind Ihnen sehr... (will ihm Geld geben).
Der fremde Mann. Oh nein! oh bitte, nein, ich bin
nur
(Er geht.)
Emma (zu Agnes, nachdem der Arzt beide flüchtig betrachtet).
Kind, mein Kind!
Franziska (zu Agnes, umarmt sie). Es wird gewiß gut.
Betty. Er schlägt die Augen auf.
Franziska. Er schlägt die Augen auf!
Agnes (über ihr Antlitz geht ein Zug von Hoffnung).
Emma (zu Betty). Ich fahre rasch, deinen Mann holen.
Betty. Wenn du so gut sein willst.
Emma. Komm. Agnes!... (Agnes zögert).... Komm,
wir
sind ja gleich wieder zurück.
Betty (nickt den sich Entfernenden zu).
Hugo (hat die Augen aufgeschlagen, sieht um sich).
Betty. Mein Hugo!
Lulu. Hugerl, Hugert!
Arzt. Gehen Sie jetzt, mein Kind!
Hugo (lächelt leicht).
Lulu. Er lacht ja!
Arzt (macht Franziska ein gutmüthig ernstes Zeichen mit den Augen,
sie solle Lulu entfernen.
Franziska (Lulus Kopf berührend). Komm, Lulu, schau,
Du bist ja gescheidt. Der Doctor will's. (Sie entfernt sich mit
ihm, er sieht sich um.
Hugo (sehr leise). Ich weiß ganz gut, wie man mich
heraufgetragen.
Betty. Mein Kind, sag', thut Dir 'was weh?
Lulu (hat sich wieder losgemacht, wie er Hugos Stimme gehört.)
Arzt (winkt ab).
(Franziska mit Lulu ab, Franziska kommt gleich wieder.)
Betty. Sag', mein Kind, wie ist denn das geschehn?
Hugo. Das Pferd... weiß Gott wie...
Arzt. Bitte sehr, reden Sie jetzt nicht.
Hugo (nickt).
(Franziska kommt, zugleich das Dienstmädchen mit Wasser, Eis 2c.)
Arzt. (Bereitet einen Umschlag.)
Hugo. Ich hab' wenig Schmerzen.
Betty. Das ist gut.
Hugo (sieht Franziska lange an, drückt ihr die Hand). Aber was
...
anderes
Betty. Der Doctor sagt, Du sollst nicht sprechen, Hugo.
Hugo. Was anderes... alles ist... Das
Zimmer dreht sich...
Ja - ein bischen Schwindel... Das ist
Arzt.
wohl kein Wunder, wenn man so..
Hugo... und so lange ist es her..
Betty (beunruhigt). Was?
Nicht wahr, es ist schon Tage lang? Wie
Hugo
bin ich so gelegen? Tagelang... nicht wahr?
lang
Was fällt Dir ein, mein Kind?
Betty.
Sie waren kaum eine Viertelstunde bewußtlos.
Arzt.
So. Es ist sonderbar. Ich werde sterben,
Hugo.
glaub' ich.
Betty (zuckt zusammen, sieht den Arzt an).
Franziska (zu ihm herab). Hugo!
Arzt. Herr Losatti, Sie sind undankbar. Ja, wahr-
haftig. Sie wachen eben auf, befinden sich eigentlich ganz
wohl und erzählen der Frau Wama solche Geschichten.
Hugo. Sie wissen das nicht, Herr Doctor. Wer
sind Sie?
Als Manuscript gedruckt.