A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 114

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wollen Sie Ihren Haß dieses arme Wesen entgelten lassen,
ich Sie über die ganze Sache endgiltig beruhigen. Zu dem
das ihn von uns allen am meisten geliebt hat
Kinde hätten wir jedenfalls eine Person in's Haus nehmen
Ferdinand. Die Sache liegt anders, als Sie sie auf¬
müssen. Denken Sie sich einfach, Toni ist diese Person.
sassen, gnädige Frau... Daß wir einander fremd gegen¬
Wir hätten keine bessere gefunden. Mit dieser Lösung wird
übergestanden sind — mag ja richtig sein. Ich bin eben
vielleicht auch meine verehrte Schwägerin einverstanden sein.
ganz wo anders hergekommen — aus einer armseligen und
miserablen Kindheit — während er die Sorge nie gekannt
13. Auftritt.
hat. Er hat von Jugend auf alles gehabt, was das Leben
schön macht — und ich sehr lange nichts. So etwas macht
Ferdinand. Stubenmädchen (tritt ein).
Adolf. Betty. Emma.
eben einander fremd. Aber das hat sich ja geändert, wie
Herr Professor Biber fragt, ob die
Stubenmädchen.
Ihnen nicht unbekannt ist — und wenn ich ihn je beneidet
Herrschaften zu sprechen seien.
hätte — das müßte vorbei sein. Und da soll ich jene Person
Natürlich sind wir... Professor
Adolf. Biber?
hassen, weil sie seine Geliebte war? Ich gönne ihr alles
Biber allein Frau Biber nicht?
Glück der Welt, nur hier darf sie nicht bleiben — aus
Nein, Herr Professor Biber ist
Stubenmädchen.
Franziska's Nähe soll sie fort.
allein da.
Emma. Warum? Sie führen ja Franzi in der nächsten
Adolf. Führen Sie ihn gleich in den Salon.
Zeit aus diesem Hause weg.
Stubenmädchen (ab).
Ferdinand. Sind Sie dessen ganz gewiß, gnädige
Betty. Siehst Du, er ist doch gekommen.
Frau? — Ich sage Ihnen, daß alles zu wanken beginnt, seit
Adolf. Aber ohne Frau... (auf eine Idee kommend.)
diese Toni hier ist. Ich fühle mich so lange meines Glückes
Betty hol' das Kind.
nicht sicher, als die Möglichkeit vorliegt, daß sie sich Franzi
Betty (bedauernd). Ach Gott, es wird jetzt schlafen.
nähern kann. Ich habe mit Geschöpfen dieser Art nie zu
Adolf. Betty, hole das Kind — Biber soll sofort sehen,
thun gehabt; sie sind mir unheimlich. Ich fühle, daß ich sie
woran er ist. Wir haben keinen Anlaß, unsere Handlungs-
hier nicht dulden darf. Aus einer anderen Welt kommt sie,
weise zu verbergen. Hele das Kind.
von der kein Hauch die Seele eines reinen Mädchens wie
Betty (in’s Nebenzimmer; bringt das Kind).
Franzi berühren darf — dahin soll sie zurück!
So... komm,
Adolf (nachdem er Emma stolz angesehen).
Emma. Eine andere Welt gar?
mein süßer kleiner Bub. Führ' ihn an der Hand, Betty
Ferdinand. Ja, das nenn ich eine andere Welt, wo
So wollen wir Biber gegenübertreten. Auf Wiedersehen!
die Gesetze nicht gelten, auf denen die ganze Ordnung unseres
(Adolf, Betty, das Kind ab.)
bürgerlichen Lebens beruht — wo man sich einfach nimmt,
was einem gefällt — ohne Scrupel und ohne Reue! — Und
14. Auftritt.
ich kann's nicht ertragen, daß ein Wesen jener Welt an der
Emma. Ferdinand.
Seite Franzi's bleibt.
Emma. Wie ein Kind von Fabelländern reden Sie von
Emma. So hassen Sie ihn wirklich über's Grab
dieser „andern Welt“. Als wenn’s irgend welche Grenzen
hinaus?
dieser Art gäbe!.. Hier, „die Tugend" — und dort „das
Ferdinand. Warum sagen Sie mir das?
Laster“. So einfach ist das Leben nicht, mein guter Doktor,
Emma. Ich weiß ja, daß sich ihre ganze Natur gegen
Die Grenzen wären ja sehr bequem für Sie — nur existiren sie
ihn gewehrt hat — vom ersten Augenblick an, da Sie dieses
nicht. In uns allen ist nämlich die Sehnsucht nach Glück — und
Haus betreten haben. Aber jetzt ist er ja fort. Alle die
das ist die Gefahr, die Sie fürchten! — Mit Recht, übrigens!
Heiterkeit und Güte ist fort! warum jetzt noch? Warum
Als Manuscript gedruckt.