A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 116

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Franziska. Ja — gesehnt. — Wenn Sie wüßten
Ferdinand, mit welcher Andacht ich diese Wohnung betreten
habe! — Es war eine tiefere Andacht als draußen, au
seinem Grab... Dort, wo er mit ihr gelebt hat, wo ei
glücklich gewesen ist, hab’ ich mich besser seiner erinnern
können, als dort, wo er (schaudert) langsam zu Staub wird
Wären Sie doch mit mir dort gewesen! — Hätten Sie sie
gesehen, wie ich sie gesehen habe! - Sie würden verstehen,
daß ich sie lieben darf, wie eine Schwester.
Ferdinand (hart). Entweihen Sie diesen heiligen Namen
nicht! Diese Person — Ihre Schwester! Was für ein Zauber
geht von solchen Wesen aus, daß selbst ein Mädchen wie Sie
Franziska, vergessen kann, was es für Wesen sind.
Franziska. Was hätte ich denn vergessen sollen? Hug
hat sie lieb gehabt, und sie ist die Mutter seines Kindes
das ist der ganze Zauber, den sie für mich hat. Ich wollte
Ferdinand, Sie könnten ihn auch empfinden.
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Mama nach Haus kommt, soll's Franzl wieder frisch und
munter sein, nicht wahr?
Kind. Wo ist denn die Mama?
(Franziska und Kind rechts hinten ab.)
Adolf. Das gute Kind!... Sie ahnt noch nichts.
Ferdinand. Was giebt's denn?
Adolf. Es war ein Abschiedsbesuch in aller Form, den
uns Professor Biber gemacht hat.
Ferdinand. Ach so. Freilich; er hat eine Frau und
Töchter.
Franziska (kommt wieder). So abgespannt hab' ich den
Kleinen noch nie gesehen. Wär nur Toni schon zu Haus.
Betty. Die Mädeln lassen Dich grüßen.
Adolf. Nimm es als letzten Gruß. Du wirst sie nicht
wiedersehen.
Franziska (erschrocken). Was ist denn?
Auch Bibers
Adolf. Mein Kind, wir stehen allein.
werden nicht mehr mit uns verkehren.
17. Auftritt.
Franziska. Ach so.
Ferdinand. Franziska. Adolf. Betty. Das Kind.
Betty. Das hat Biber doch nicht gesagt.
Adolf. Meine liebe Betty, für mich war es deutlich
Franziska (gleich auf das Kind zu). Franzerl!
Vor allem ist er allein gekommen. Es war ein
Adolf. Meine liebe Franzi! Weißt Du, wer eben
genug.
Abschiedsbesuch für immer. Meine Aufforderung, uns auf
dagewesen ist.
dem Lande zu besuchen, hat er abgelehnt.
Franziska (mit dem Kind beschäftigt). Professor Biber, wie
Franziska. Wie denn, Papa?
Was hast Du denn, Bubi? Warum ist
ich höre?
Adolf. Ausflüchte... sie werden im August in die
denn so still?
Schweiz reisen — als wenn bis dahin nicht noch Zeit genug
Adolf (blickt scheinbar gerührt auf Franziska).
väre. Ja, meine Lieben, wir werden auf uns selbst ange-
Betty. Er ist so müd'.
wiesen sein, (Faßt Ferdinand's Hand.) und müssen uns um so fester
Franziska. Was habt Ihr denn mit ihm gemacht:
anemander schließen. Es ist ja ganz natürlich, daß gerade
Betty. Papa wollte ihn durchaus dem Biber vorstellen
etzt, nach so unsäglich trauriger Zeit die Sehnsucht nach
da mußt' ich ihn Nachmittags aus dem Schlaf aufwecken.
besseren Tagen uns alle um so heißer überkommt. Es liegt
Franziska. Das allein kann's doch nicht sein.
vielleicht auch von unserer Seite, Betty, mehr Pietät darin,
Schau' ihn doch nur an Mama.
an das Glück der Kinder zu denken, die uns Gott noch ge¬
Betty. Es ist gewiß nichts — rege Dich doch nicht
lassen hat — als sich einer unfruchtbaren Trauer hinzugeben,
auf, Franzi.
die uns ja doch die Todten nicht wiederbringt.
Adolf. Das Mädel ist in einer Weise übertrieben.
Franziska. Herr Doctor! — (Ferdinand steht fern und hört
Betty. Adolf!
Franziska. Papa!
nicht auf sie. — Sie wendet sich wieder zu dem Kind.) Da wird sich
Adolf. Ihr versteht mich ja. Ich fände es dem Ernst
— ja? wenn die
der Franzl aber gleich wieder hinlegen
unserer gegenwärtigen Lage durchaus nicht widersprechend,
Als Manuscript gedruckt.