A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 129

86
Adolf. Kinder, was Ihr noch für eine Art habt, mit
einander zu reden. Hat man das je erlebt, daß Brautleute
einander „Sie" sagen?
Ferdinand (mit ungeschickter Zärtlichkeit). Es wird schon
später anders werden.
Franziska. Ja. — Mama, mir ist im Nachhause-
gehen etwas eingefallen — in Hinsicht auf die Eintheilung
der Villa.
Betty. Was, mein Kind?
Franziska. Ich meine nämlich — wegen des Zimmers
für Toni. (Vlick der andern.) Es wäre vielleicht doch das Beste, wir
würden das eine Fremdenzimmer mit der Aussicht auf den
Garten für sie bestimmen, das ja ohnehin heuer sonst keinen
Zweck hätte.... (Da nicht geantwortet wird.) Das andere ist zu
klein und auch zu düster. Bei trübem Wetter ist es fast
dunkel.
Betty. Mein liebes Kind.
Franziska. Was ist denn, Mama?
Betty. Toni — kommt nicht mit.
Franziska (nicht allzu erregt). Nicht mit uns? — Will
sie nicht?
Betty. Es ist anders bestimmt worden.
Adolf. Ja, mein Kind, — und unser Entschluß wird
Dir nicht gar zu überraschend kommen.
Wir hoffen sogar, er wird Ihnen nicht
Ferdinand.
ganz unwillkommen sein, Franziska.
Nun?
Franziska.
Sie geht fort.
Ferdinaud.
Sie geht fort? Ja was will sie denn
Franziska.
thun?
Adolf. Mein Kind, es ist ausreichend für sie gesorgt.
Franziska. Für immer geht sie fort? — Das ist
doch nicht möglich.... Habt Ihr vergessen, was Hugo ge-
wollt hat?
Ferdinand. Liebe Franziska, wenn unser armer Hugo
alles hätte voraussehen können, hatte er keine andere Ver¬
fügung getroffen, als die, welche jetzt Ihre Eltern für richtig
finden.
Franziska. Wie können wir das wissen?
87
Ferdinand. Wir wissen es — auch Sie, Franziska.
Was hält Sie heute noch an diese Person. Sie versuchen
nur, sie zu lieben — es gelingt Ihnen nicht mehr.
Franziska. Ich hab' sie lieb — ich hab’ sielieb.
Ferdinand. Nicht mehr wie früher — und Sie fühlen
selbst, daß alle Fäden allmählich zerrissen sind, seit das arme
Kind todt ist. Schämen Sie sich dessen nicht, Franziska.
Etwas in Ihnen hat schon längst begonnen, sich gegen diese
aufgezwungene Schwesterschaft zu wehren. Ihre — (erfaßt
ihre Hand) Ihre Reinheit
Adolf. Ich möchte sagen: das sittliche Bewußtsein.
Franziska (schwächer). Aber es ist vollkommen un-
Er
möglich, sie wegzuschicken. Hugo hat sie doch geliebt.
würde sie auch heute noch
Adolf. Mein gutes Kind, Du kennst die Welt nicht.
Als junger Mensch wird man in sonderbare Abenteuer hin¬
eingezogen. Sprechen wir es endlich aus. Wäre unser Hugo
am Leben geblieben, er hätte dieses Verhältnis sicher selbst
gelöst. Er hätte eine Frau genommen aus unserem Kreise
aus der anständigen Gesellschaft, zu der wir gehören, wie
es schließlich fast alle jungen Männer thun, die ihre Eltern
lieb haben und in der Welt und mit der Wett leben wollen
Franziska. Und sie — was hätte sie dann gethan?
Ferdinand. Was diese Geschöpfe gewöhnlich thun,
wenn ein Verhältnis aus ist.
Franziska (versteht nicht gleich, zuckt zusammen).
Adolf. Du bist ein kluges Kind, Franziska, Du wirst
sie bald vergessen haben.
Warum denn vergessen? Wir werden
Franziska.
einander doch noch sehen? Sie wird doch zu uns kommen
oder ich zu ihr?
Ferdinand. Franziska — Sie beide werden nicht lange
Sehnsucht darnach haben.
Oas wird sich zeigen. Ist sie schon fort?
Franziska.
Betty. Nein.
So will ich sie noch einmal sehen
Franziska.
Fräulein Franziska!
Ferdinand.
Franziska (geht ab nach rechts hinten).
Adolf. Sie hat sich brav gehalten.
Als Manuscript gedruckt.