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9.12.1915.
Lieber und verehrter Freund.
Ihr Brief vom 4.ds. ist heute schon eingetroffen, was in
dieser Zeit eine recht geschwinde Reise ist. Ich beeile mich Ihnen den
Empfang zu bestätigen und Ihnen herzlichst zu danken. Es betrübt mich,
dass Sie von Ihrem alten Leiden wieder heimgesucht sind, das aber doch
wie es scheint, immer milder auftritt, und immer weniger die Macht be-
sitzt Sie in Ihrer ausserordentlichen Fähigkeit zu behindern. Dass Sie
ein Goethe-Buch geschrieben haben, das geht hier längst durch alle
Blätter, und man wünschte nur, recht bald eine deutsche Ausgabe zu be-
sitzen. Wird man lange darauf zu warten haben?
uf Ihre Bemerkungen den „Bernhardi“ betreffend, müssen Sie
mir erlauben mit ein paar Worten zu erwidern, umsomehr als das Stück
Ihrem Herzen doch ziemlich nahe steht. Meiner Ansicht nach ist es kei-
neswegs geschaffen in dem Sinne entmutigend zu wirken, wie Sie es in
Ihrem Briefe ausdrücken. Was Sie sagen, kannsich überhaupt nur auf die
Schlusszene des Stücks beziehen und da weiss ich vor allem daraufhin,
dass der Autor in keiner Weise für die Aussprüche des Hofrats want-
wortlich hgemacht zu werden wünscht. Ich bin mit dem Hofrat nicht
identisch, ja, mit einem leichten Paradox könnte man behaupten, dass
der Hofrat es nicht einmal mit sich selber ist. Sie erinnern sich ja,
dass Bernhardi dem Hofrat auf seine, wenn Sie wollen skeptisch-ironischen
Vorhalte erwidert "Sie hätten an meiner Statt gerade so gehandelt wie
ich"; worauf der Hofrat zur Antwort gibt: „Da wär ich halt grad so ein
Viech gewesen wie Sie. “Aber er hätte so gehandelt! Bernhardi hatte in
einem zweiten solchen Falle auch wieder so gehandelt. Und beide hätten
sich nicht im geringsten darum gekümmert, dass Andere oder sie selber
sie für Viecher gehalten hätten. Und ich glaube, dass die Angelegenheiten
der Welt von den Bernhardis, ja sogar von den Hofräten in der Art dieses
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1)1
1:10:
Hofrat Winkler erheblicher gefördert werden, als von den Pflugfelders,
von den Gerechten mehr als von den Rechthaberischen, von den Zweiflern
mehr als von den Dogmatiker, aller Parteien; und je älter ich werde,
umso vernehmlicher pfeife ich auf diejenigen Leute, die a priori mit
sich selber einverstanden sind; und wenn mich nicht alles trügt, so bla-
sen auch Sie, mein verehrter Freund, nicht ungern die gleiche Melodie
mit mir.- Im übrigen ist ja der „Bernhardi“ kein Tendenzstück und
will es nicht sein, weder im Besonderen noch im Allgemeinen;- soll über-
haupt kategorisiert werden, so möchte ich ihn am liebsten als Charakter-
komödie angesehen wissen, und dass gerade dieses Stück auch in Ländern
seine Wirkung nicht verfuhkt versagt hat, wo von vornherein für spezi-
fisch österreichische Verhältnisse kein besonderes Interesse regsam sein
dürfte, scheint mir dafür zu sprechen, dass die Gestalten an sich das
Publikum zu interessieren vermochten.
Dass Ihnen die „Komödie der Worte“ einiges Vergnügen be-
reitet hat, freut mich sehr. Die Einakter werden viel gespielt und haben
einen ansehnlichen Bühnenerfolg gehabt. Dagegen werde ich von einem ge-
wissen Teil des Kritik in einer selbst nach meinen nicht unbedeutenden
Erfahrungen auf diesem Gebiet fast amphatisch zu nennenden Weise ange-
griffen. Man hat nämlich bei uns (in Deutschland und Oesterreich) ein
neues kritisches Mass für Kunstwerke entdeckt, den Weltkrieg. Und wie
es den Herren gerade passt, wird man dafür zur Rechenschaft gezogen,
dass das betreffende Werk irgendwie an den Krieg erinnert oderdass es
das nicht tut. Anlässlich des „Medardus“, der im vorigen Herbst in
Berlin aufgeführt wurde, würde es mir sehr verübelt, dass meinen Held
sich nicht sofort seinem ursprünglichen Entschluss gemäss, aufmacht, um
den Napeleon umzubringen, und sich statt dessen fünf Akte lang durch
9.12.1915.
Lieber und verehrter Freund.
Ihr Brief vom 4.ds. ist heute schon eingetroffen, was in
dieser Zeit eine recht geschwinde Reise ist. Ich beeile mich Ihnen den
Empfang zu bestätigen und Ihnen herzlichst zu danken. Es betrübt mich,
dass Sie von Ihrem alten Leiden wieder heimgesucht sind, das aber doch
wie es scheint, immer milder auftritt, und immer weniger die Macht be-
sitzt Sie in Ihrer ausserordentlichen Fähigkeit zu behindern. Dass Sie
ein Goethe-Buch geschrieben haben, das geht hier längst durch alle
Blätter, und man wünschte nur, recht bald eine deutsche Ausgabe zu be-
sitzen. Wird man lange darauf zu warten haben?
uf Ihre Bemerkungen den „Bernhardi“ betreffend, müssen Sie
mir erlauben mit ein paar Worten zu erwidern, umsomehr als das Stück
Ihrem Herzen doch ziemlich nahe steht. Meiner Ansicht nach ist es kei-
neswegs geschaffen in dem Sinne entmutigend zu wirken, wie Sie es in
Ihrem Briefe ausdrücken. Was Sie sagen, kannsich überhaupt nur auf die
Schlusszene des Stücks beziehen und da weiss ich vor allem daraufhin,
dass der Autor in keiner Weise für die Aussprüche des Hofrats want-
wortlich hgemacht zu werden wünscht. Ich bin mit dem Hofrat nicht
identisch, ja, mit einem leichten Paradox könnte man behaupten, dass
der Hofrat es nicht einmal mit sich selber ist. Sie erinnern sich ja,
dass Bernhardi dem Hofrat auf seine, wenn Sie wollen skeptisch-ironischen
Vorhalte erwidert "Sie hätten an meiner Statt gerade so gehandelt wie
ich"; worauf der Hofrat zur Antwort gibt: „Da wär ich halt grad so ein
Viech gewesen wie Sie. “Aber er hätte so gehandelt! Bernhardi hatte in
einem zweiten solchen Falle auch wieder so gehandelt. Und beide hätten
sich nicht im geringsten darum gekümmert, dass Andere oder sie selber
sie für Viecher gehalten hätten. Und ich glaube, dass die Angelegenheiten
der Welt von den Bernhardis, ja sogar von den Hofräten in der Art dieses
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1:10:
Hofrat Winkler erheblicher gefördert werden, als von den Pflugfelders,
von den Gerechten mehr als von den Rechthaberischen, von den Zweiflern
mehr als von den Dogmatiker, aller Parteien; und je älter ich werde,
umso vernehmlicher pfeife ich auf diejenigen Leute, die a priori mit
sich selber einverstanden sind; und wenn mich nicht alles trügt, so bla-
sen auch Sie, mein verehrter Freund, nicht ungern die gleiche Melodie
mit mir.- Im übrigen ist ja der „Bernhardi“ kein Tendenzstück und
will es nicht sein, weder im Besonderen noch im Allgemeinen;- soll über-
haupt kategorisiert werden, so möchte ich ihn am liebsten als Charakter-
komödie angesehen wissen, und dass gerade dieses Stück auch in Ländern
seine Wirkung nicht verfuhkt versagt hat, wo von vornherein für spezi-
fisch österreichische Verhältnisse kein besonderes Interesse regsam sein
dürfte, scheint mir dafür zu sprechen, dass die Gestalten an sich das
Publikum zu interessieren vermochten.
Dass Ihnen die „Komödie der Worte“ einiges Vergnügen be-
reitet hat, freut mich sehr. Die Einakter werden viel gespielt und haben
einen ansehnlichen Bühnenerfolg gehabt. Dagegen werde ich von einem ge-
wissen Teil des Kritik in einer selbst nach meinen nicht unbedeutenden
Erfahrungen auf diesem Gebiet fast amphatisch zu nennenden Weise ange-
griffen. Man hat nämlich bei uns (in Deutschland und Oesterreich) ein
neues kritisches Mass für Kunstwerke entdeckt, den Weltkrieg. Und wie
es den Herren gerade passt, wird man dafür zur Rechenschaft gezogen,
dass das betreffende Werk irgendwie an den Krieg erinnert oderdass es
das nicht tut. Anlässlich des „Medardus“, der im vorigen Herbst in
Berlin aufgeführt wurde, würde es mir sehr verübelt, dass meinen Held
sich nicht sofort seinem ursprünglichen Entschluss gemäss, aufmacht, um
den Napeleon umzubringen, und sich statt dessen fünf Akte lang durch