Votre très avoir jusqu'à l'yge de l'année.
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allerhand Privaterlebnisse, die für den Kritiker selbstverständlich nicht
existieren, von der Ausführung seiner vaterländischen Absicht abhalten
lässt. Die "Komödie der Worte" hinwiederum hat das Sittlichkeitsgefühl
dieser Herren aufs Tiefste beleidigt. Dass unter Sittlichkeit nach wie
vor nicht etwa Wahrheit oder sonst etwas Vernünftiges oder Positives,
sondern ausschliesslich Unterdrückung des Geschlechtstriebs verstanden
wird, brauche ich Ihnen nicht erst zu erzählen. Und dass ich in dieser
grossen Zeit, wo sämmtliche Männer für das Vaterland fechten, (ausser
denen, die zuhause sitzen und Theaterreferate schreiben) und sämmtliche
Frauen trauern oder klagen, nicht nur an Opfermut, sondern auch an Treue
das Ungeheuerste leisten, (abgesehen von denen, die es nicht tun) "so
erbärmliche Wichte“ auf die Bühne zu stellen verge, das hat besonders
gesinnungstüchtige Leute (in der Kölnischen Zeitung, und viele andere
Zeitungen haben es gerne nachgedruckt) zu der kühnen Frage veranlasst:
„Ob es nicht gerade jene letzten Dokumente eines Wiener Literatentums
(Schönherrs "Weibsteufel" und Bahrs "Querulant" waren nämlich mit einbe-
zogen) Beweis dafür seien, dass unser trefflicher Bundesbruder in diesem
Weltkrieg auch einer inneren Reformation an Haupt und Gliedern bedarf,
um fortan in einer neuen deutschen Weltkultur bestehen zu können.“
Aber auch abgesehen von diesen kleinen und etwas lächerlichen
Erfahrungen kann man vielleicht finden, dass die Zeit nun eben gross ge-
nug geworden ist, und ein weiteres Wachstum von Uebel wäre. Ueber die
militärischen und politischen Verhältnisse sind Sie ja wohl in Dänemark
heute besser orientiert, als Sie es zu Anfang des Krieges gewesen sein
dürfteb. Zusammengefasst kann man freilich nur sagen, dass die gemeinsame
Sache der Zentralmächte so gut steht als möglich und dass ein Ende doch
noch nicht abzusehen ist. Ihrem Schwiegersohn geht es hoffentlich weiter-
hin gut. Auch von uns stehen Verwandte und Freunde im Feld oder sind
de la riviere avec ces
4 -
anderweitig durch die Kriegsverhältnisse in Mitleidenschaft gezogen;
auch den Tod manches lieben Bekannten haben wir zu beklagen. Im Ein-
zelnen über all dies weiter zu reden müsste ins Grenzenlose führen. Ist
es schon in ruhigeren Zeiten etwas verwegen, im Dezember vom nächsten
Sommer zu sprechen, so erscheint es jetzt beinahe verrückt. Trotzdem
möchte ich diesen Brief nicht gern schliessen, ohne der Hoffnung einer
baldigen Wiederbegegnung mit Ihnen Ausdruck zu geben, und jedenfalls
wäre es sehr liebenswürdig von Ihnen uns ab und zu durch eine Zeile
von Ihren Befinden, von Ihrem Wohlbefinde zu benachrichtigen. Wollen
Wie in meinem Namen auch Peter Nansen die besten Wünsche für seine bal-
dige Genesung bestellen; seine neue Novelle wird man wohl auch bald in
deutscher Sprache zu lesen bekommen. In den vielen Jahren, da er leider
schwieg, hat man ihn hier keineswegs vergessen und wird sich seiner
neu erwachten Produktionskraft aufrichtig freuen.
Und nun leben Sie wohl, und seien Sie, auch im Namen
meiner Frau, aufs Allerherzlichste gegrüsst, Ihr treu ergebener
Arthur Schnitzler
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allerhand Privaterlebnisse, die für den Kritiker selbstverständlich nicht
existieren, von der Ausführung seiner vaterländischen Absicht abhalten
lässt. Die "Komödie der Worte" hinwiederum hat das Sittlichkeitsgefühl
dieser Herren aufs Tiefste beleidigt. Dass unter Sittlichkeit nach wie
vor nicht etwa Wahrheit oder sonst etwas Vernünftiges oder Positives,
sondern ausschliesslich Unterdrückung des Geschlechtstriebs verstanden
wird, brauche ich Ihnen nicht erst zu erzählen. Und dass ich in dieser
grossen Zeit, wo sämmtliche Männer für das Vaterland fechten, (ausser
denen, die zuhause sitzen und Theaterreferate schreiben) und sämmtliche
Frauen trauern oder klagen, nicht nur an Opfermut, sondern auch an Treue
das Ungeheuerste leisten, (abgesehen von denen, die es nicht tun) "so
erbärmliche Wichte“ auf die Bühne zu stellen verge, das hat besonders
gesinnungstüchtige Leute (in der Kölnischen Zeitung, und viele andere
Zeitungen haben es gerne nachgedruckt) zu der kühnen Frage veranlasst:
„Ob es nicht gerade jene letzten Dokumente eines Wiener Literatentums
(Schönherrs "Weibsteufel" und Bahrs "Querulant" waren nämlich mit einbe-
zogen) Beweis dafür seien, dass unser trefflicher Bundesbruder in diesem
Weltkrieg auch einer inneren Reformation an Haupt und Gliedern bedarf,
um fortan in einer neuen deutschen Weltkultur bestehen zu können.“
Aber auch abgesehen von diesen kleinen und etwas lächerlichen
Erfahrungen kann man vielleicht finden, dass die Zeit nun eben gross ge-
nug geworden ist, und ein weiteres Wachstum von Uebel wäre. Ueber die
militärischen und politischen Verhältnisse sind Sie ja wohl in Dänemark
heute besser orientiert, als Sie es zu Anfang des Krieges gewesen sein
dürfteb. Zusammengefasst kann man freilich nur sagen, dass die gemeinsame
Sache der Zentralmächte so gut steht als möglich und dass ein Ende doch
noch nicht abzusehen ist. Ihrem Schwiegersohn geht es hoffentlich weiter-
hin gut. Auch von uns stehen Verwandte und Freunde im Feld oder sind
de la riviere avec ces
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anderweitig durch die Kriegsverhältnisse in Mitleidenschaft gezogen;
auch den Tod manches lieben Bekannten haben wir zu beklagen. Im Ein-
zelnen über all dies weiter zu reden müsste ins Grenzenlose führen. Ist
es schon in ruhigeren Zeiten etwas verwegen, im Dezember vom nächsten
Sommer zu sprechen, so erscheint es jetzt beinahe verrückt. Trotzdem
möchte ich diesen Brief nicht gern schliessen, ohne der Hoffnung einer
baldigen Wiederbegegnung mit Ihnen Ausdruck zu geben, und jedenfalls
wäre es sehr liebenswürdig von Ihnen uns ab und zu durch eine Zeile
von Ihren Befinden, von Ihrem Wohlbefinde zu benachrichtigen. Wollen
Wie in meinem Namen auch Peter Nansen die besten Wünsche für seine bal-
dige Genesung bestellen; seine neue Novelle wird man wohl auch bald in
deutscher Sprache zu lesen bekommen. In den vielen Jahren, da er leider
schwieg, hat man ihn hier keineswegs vergessen und wird sich seiner
neu erwachten Produktionskraft aufrichtig freuen.
Und nun leben Sie wohl, und seien Sie, auch im Namen
meiner Frau, aufs Allerherzlichste gegrüsst, Ihr treu ergebener
Arthur Schnitzler