B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 50

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Sie wissen; aber es würde zu weit führen, da in Einzelheiten einzugehen;-
an Conflicten seelischer Art mangelt es ja in diesen Grenzjahren (es ist
vielleicht kühn, mit 63 noch von Grenzjahren zu reden, aber gerade Sie
werden mich verstehen) nie.
Dabei fühl ich doch, dass ich im Grunde nicht klagen dürfte (ich
thu's auch selten),- besonders darum weil meine beiden Kinder sehr wohl
geraten sind (auch steh ich jetzt mit meiner früheren Gattin, die in
Baden-Baden lebt, in sehr freundschaftlichen, natürlich nicht
immer ungetrübten Beziehungen), und ferner weil ich mich in meiner Schaf-
fenslust eher noch wachsen als abnehmen fühle. Auch an äusseren Erfolgen
fehlt es nicht; und nach einer Periode, die sich ein wenig bedenklich an-
liess, glaub ich auch materiell - ach nicht durch das Vorhandensein von
Vermögen - wer besitzt denn jetzt etwas!,- aber durch das Ansteigen
meiner Einnahmen,- mit Ruhe in die Zukunft blicken zu dürfen. Und blasiert
bin ich ja nicht - mir macht eigentlich alles mehr Freude als es mir in
meiner Jugend gemacht hat,- jede Blume, jeder Spaziergang, jedes schöne
Buch und Herzlichkeit mancher Art, die mir entgegengebracht wird. “So wollen
wirs dennoch eine Weile weiter treiben" wie ein sehr Grosser gesagt haben
könnte und wahrscheinlich irgendwo gesagt hat- und Sie sollen wissen, lieb-
ster Freund, dass ich, wenn auch gelegentlich ein wenig verdüstert, mich gar
nicht übel befinde,- und hoffentlich mach ich auch Ihnen einen vergnügteren
Eindruck, wenn wir uns wiedersehen.
Wie gut begreife ich, dass Sie nicht nach „Leningrad“ gehen
wollen- auch ich, (selbst wenn ich dort nicht reden müsste) hätte nicht die
geringste Lust dazu. Kennen Sie das (kleine) Buch von Bucharin über den Bol-
schewismus? Wenn die deutsche Übersetzung nicht etwa zu dem Zwecke gefälscht
ist, um die Idee - (die Idee!!!) des Bolschewismus zu compromitieren, dann
hat es Bucharin selbst in unübertrefflicher Weise gethan. -
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Ihren Brief hab ich in Bozen erhalten, (Bolzano) von wo ich erst
vor ein paar Tagen nach Wien zurückgekehrt bin. Ich bleibe nur den Juli
über hier, und fahre im August wahrscheinlich wieder in die Dolomiten. Für
den Hærbst steht mir allerlei bevor: in Berlin die Aufführung der Komödie
der Verführung,- in Wien Reprisen von „Das weite Land“ und „der einsame
Weg", vielleicht auch ein neues Stück (in Versen). Ein paar Novellen sind
auch fertig. In Paris wird vielleicht "das weite Land" gespielt werden; und
nach Amerika bin ich zur Premiere des "einsamen Wegs" im Guild Theater u.
des "Ruf des Lebens" an Astor Theater eingeladen(Ich werde aber kaum hinrei-
sen.)-
Ich lese immer noch, aufs stärkste angeregt, Ihren wunderbaren
Julius Caesar. Und erwarte Ihr "Hellas".-
Bleiben Sie mir wijeter und lange noch der Freund, der Sie mir immer
waren; es ist schön zu wissen, dass Sie auf der Welt sind!
Ich grüsse Sie von Herzen!
Arthur Schnitzler