A107: Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 90

Arthur Schnitzler
Dem Züngling aber sich zur Wahl zu stellen,
Wie's nahe läge, lehnen beide ab,
Denn ist er nicht, wie jetzt, ein Ahnungsloser,
Vielmehr als wissend in den Fall verwickelt,
So ward's ein andrer, völlig neuer Fall,
Und Laune spräche das Entscheidungswort,
Nicht, wie sie's wünschen und wie der Novelle
Verborgner Sinn erheischt, Gerechtigkeit.
So also steht die Frage: Welcher Schwester
Nach Herzensrecht gehört der Jüngling zu?
Und Sie, Baron, der als erfahrner Mann
Und, was noch wicht'ger, unverwirrten Sinns
Der Frage gegenübersteht, erscheinen
Zur Lösung uns vor allem ausersehn.
Und daß es auch zu reiflicher Erwägung
An Zeit nicht fehle, sei zur Antwort Ihnen
Bis zum Beschluß des Gastmahls Frist gegönnt.
Anina: Kein Aufschub mehr. Es überlegt sich schlecht
Beim Schwatz der Gäste und Geklirr der Gläser.
Flaminia: Die Antwort gleich, so lang er nüchtern ist.
Andrea: Wie's denn beliebt. Das Wort hat der Baron.
Santis: Doch der verzichtet gern für jetzt und später.
Denn werd' ich nachher kaum betrunkner sein
Als jetzt, so weiß ich doch, dass ich vor Tische
Nicht klüger bin als nach gehaltner Mahlzeit.
Und was Erfahrung anbetrifft, so findet
Zu so verzwickter Rätsel Lösung sich
Wohl mancher, der in Liebeslanden weiter
Als ich gereist und mehr sich umgetan.
Und einen weiß ich, der uns ohne Zögern
Der fein, doch allzu kraus erdachten Fabel
Gewünschten Abschlüß als ein Meister fände. (Pause.)
Sprech' ich den Namen aus, der auf den Lippen
Uns allen steht —?
Andrea:
Sie meinen...
Anina
Flaminia (Zugleich in verschiedenem Ton): Casanova?
Santis: Wer sonst.
Ja, wenn wir ihn zur Stelle hätten.
Andrea:
Doch leider ist er abgereist heut früh.
Santis: So seine Absicht. Doch er blieb.
Er blieb —?
Andrea:
Santis: And kommt zu Tisch.
Die Schwestern
Anina:
Er kommt?
Flaminia:
Vor einer Stunde
Santis:
Gelang's mir, ihn persönlich einzuladen.
Gleich wird er da sein.
Irrtum sicherlich.
Andrea:
Da er doch Abschied nahm für längre Fahrt.
Santis: Sie währte kurz — vom Stadttor hundert Schritt
War sie zu Ende.
Und er kehrt zurück?
Andrea:
Santis: Im gleichen Wagen, der ihn mit Gudar
Entführen sollte — seiner Liebsten nach.
Anina: Teresa?
Flaminia:
Ja, der holden Angetreuen.
Santis:
Ea war ihr auf der Spur und fuhr ihr nach.
Was ging's mich an? War doch der Wagen mein.
Für unsre Lustfahrt hatt' ich ihn gemietet.
So war's mein gutes Recht, ihn aufzuhalten.
Ich tat's, noch eh' ich wußte, wer drin saß.
Und mit Gefahr des Lebens. Seht mich an.
(Er weist auf sein Handgelenk.)
Flaminia: Verwundet?
Blut?
Anina:
Von Casanovas Degen.
Santis:
Andrea: Welch Abenteuer! Wie begab sich's nur?
Santis: Nach meinem Morgenimbiß mit dem Lord
Kein andrer tränk' ihn untern Tisch als ich —
Wünscht' ich in frischer Luft mich zu ergehn
Und nahm den Weg der freien Landschaft zu,
Als hinter mir staubwirbelnd hufewild
Ein - rasendes Gefährte näher stürmt.
Ich warte, schau', erkenne Wagen, Kutscher -
Heda, wohin mit meinem Angeld, Schuft?
Und mitten auf die Straße hin gewurzelt
Wink' ich ihm Halt. Er aber schwingt die Peitsche,
Haut auf die Pferde, daß sie vorwärtsschnauben,
Bis ich, in Zaum und Zügel ihnen fallend,
Sie zwinge stillzustehn. Jedoch dem Wagen
Im gleichen Augenblick entspringt ein Kerl
Verdächt'gen Ansehns: In die Stirn das Haar,
Mit span'schem Bärtchen, manteleingehüllt,
Den Degen in der Hand, bedrohlich rollend