A115: Konvolut Zeitungsausschnitte, Seite 19

Haus der Abgeordneten. — 502. Sitzung der XI. Session am 27. Mai 1896.
25412
Das sagen Leute, die nicht einen Finger gerührt §. 2 des citirten Gesetzes geforderten Weise gekenn¬
haben, den socialen Frieden zu fördern, und welche zeichnet ist."
Das ist ein reiner Hohn für die Leute, die eine
es auf verschiedenen Wegen dahin zu bringen gewuss
haben, dass in Nordböhmen, was meines Wissens solche Versammlung einberufen, und so habe ich hier
sonst nirgends in ganz Österreich geschehen ist, die eine ganze Reihe von Originalien, die Sie bei mir
Arbeiter, welche den 1. Mai feierten, wegen Contract= einsehen können. Aber in ganz Böhmen ist dies der
bruches verurtheilt wurden, obwohl jeder Mensch Fall. Hier haben Sie zum Beispiel einen Beleg dafür,
sagen muss, dass das ein civilrechtliches Verhältnis auf welcher Seite die Behörden in Böhmen stehen.
Hier haben Sie ein solches Versammlungsverbot
ist und die Fabrikanten sich auf dem Wege der Civil¬
klage schadlos halten sollen. (Beifall.) Sie haben es von Falkenau, da heißt es (liest):
„Die Anzeige von der beabsichtigten Abhaltung
durchgesetzt, dass Hunderte und Hunderte von Ver¬
einer Wanderversammlung des Districtsverbandes der
urtheilungen stattgesunden haben.
Aber noch etwas anderes kommt vor und ist die Berg= und Hüttenarbeiter Böhmens in Falkenau bei
Regel. Hier ist nämlich das classische Land unter den Franz Tráwa in Nürschan am 17. d. M. wird nicht
westlichen Ländern — von Galizien spreche ich heute zur Kenntnis genommen, da durch das vorgelegte
nicht — jener merkwürdigen Versammlungsverbote, Druckexemplar der Statuten der rechtliche Bestand
die die Aufregung in der Bevölkerung fortwährend des Vereines nicht nachgewiesen und außerdem nicht
erhöhen und reizen. Und thut das die Bezireshaupt=dargethan erscheint, dass die auf der Anzeige unter¬
fertigten Personen zur Vertretung des Vereines nach
mannschaft, so geht natürlich die autonome Gemeinde
Reichenberg auch mit Verboten von Versammlungen außen berufen sind.
Das war die Bezirkshauptmannschaft Mies
vor. Aber nicht nur dort geschieht das; auch in
Gablonz — das ist seit Jahren eine bekannte That= (Abgeordneter Dr. Gessmann: Das ist eine
sache — werden unter den allernichtigsten Vorwänden Bäberei!) Sie gebrauchen den Ausdruck, ich nicht
mehr. Aber ich will den Ministerpräsidenten fragen
Versammlungen verboten
Erinnern Sie sich an die Vorfälle im Gablonzer wie will er die moralische Qualität eines solchen
Bezirke im Jahre 1889 in Wiesenthal, an die dortigen Menschen taxiren, der das Gesetz so mit Füßen tritt?
verzweifelten Ausbrüche der Arbeiterschaft? Damals Ist das vielleicht ein Rechtsirrthum, eine falsche Auf¬
ist es in der Gegend zu harten Auseinandersetzungen fassung des Gesetzes? Nein! Das ist die bewusste
gekommen und es ist Blut geflossen. Aber wenn man Übertretung des Gesetzes. (Zustimmung.) Ich habe
dann erfährt, dass die Leute l fl. 20 kr. bis 1 fl. am Ende der Taaffe'schen Ära einmal eine Inter¬
50 kr. wöchentlich verdienen (Nört! Hört!) so begreift pellation eingebracht über den Bezirkshauptmann
man etwas von dem Aufschrei der Verzweiflung, und daß Grimm in Trautenau, wo ich durch angeführte Daten
Stunden und Situationen kommen mögen, wo die und Decrete nachgewiesen habe, dass der Mann in
Leute in thörichter Verblendung sich sagen: Unser bewusster Weise das Gesetz übertritt. Der Mann ist
Leben ist nichts mehr wert, wenn wir so wie Hunde heute noch Bezirkshauptmann
Sie fordern aber, dass der letzte Arbeiter das
leben, suchen wir eine Gewaltthat zu begehen und
jene Behörden, welche in dem Sinne vorgehen, daß Gesetz halten soll und Ihre Organe halten das Gesetz
sie die politischen Rechte der Bevölkerung einschränken nicht, sondern treten es in frivolster Weise mit Füßen,
wollen, fördern diese Zunahme des zuchtlosen an¬
Der Bezirkshauptmann in Gablonz, Rupprich,
archistischen Sinnes in der Bevölkerung und sind mit
schuldig und mitverantwortlich zu machen, wenn wieder ist eine bekannte Persönlichkeit. Der sucht jede Bewe¬
Dinge in Nordböhmen geschehen sollten, wie sie in ging der Arbeiterschaft zu unterdrücken. Daher ist es
früheren Jahren hie und da vorgekommen sind. Ver= dort auch schlimm mit der Organisation bestellt und
sammlungsverbote, immer der Arbeiterversammlungen, wo dies der Fall ist, da sind am ehesten Ausbrüche
sind in Nordböhmen etwas so häufiges, dass wir in roher Gewaltthaten zu befürchten. Ganz gleich geht
der Lage sind, 100 solcher Verbote zu präsentiren, der Bezirkshauptmann in starkenbach vor. Der sagt
die ähnlich lauten, wie zum Beispiel Folgendes. Das den Wirten: „Wenn Ihr §. 2=Versammlungen duldet,
wird Euch die Concession entzogen!“ (Hört! Hört!)
programm heißt
Das ist ein ungesetzlicher Druck, den er ausübt.
1. Unsere wirtschaftlichen Aufgaben.
Was den Bezirkshauptmann Steinfeld anbe¬
2. Freie Anträge.
Diese Versammlung wird nicht zur Kenntnis langt, so wissen die Herren aus Böhmen, die inter¬
pellirt haben, wie der wirtschaftet. Und mir hat man
genommen (liest):
„Es wird vielmehr im Grunde des §. 2 und 13 in den letzten Tagen in einem Bezirke, und zwar von
des Versammlungsgesetzes vom 15. November 1867, Seite solcher Leute, die Vertrauensmänner der
R. G. Bl. Nr. 135, die Abhaltung dieser Versamm=| Arbeiterbewegung sind, gesagt, dass durch dieses Vor¬
lung untersagt, nachdem durch die angegebene Tages- gehen der Behörden in Nordböhmen leider wieder sich
ordnung der Zweck der Versammlung nicht in der im der anarchistische Geist hie und da bemerkbar macht,
25413
Haus der Abgeordneten. — 502. Sitzung der XI. Session am 27. Mai 1896.
jene anarchistischen Bewegungen, welche seit acht mann die Versammlungen verboten hat, das für
Jahren in der österreichischen Arbeiterschaft vollständig unseren Ministerpräsidenten der Gipfel der präventiven
zurüekgedrängt worden sind, und die zurückzudrängen Weisheit. Die Art und Weise, wie man solche Dinge
im wesentlichen Interesse der Socialdemokratie liegt, verhindert, diese ungesetzliche Verordnung ganz außer¬
die aber begünstigt werden, wenn von der k. k. Regie¬ acht gelassen, das ist die Art und Weise, wie man eine
rung und ihren Organen so vorgegangen wird. Graf vorhandene Erbitterung schürt und hetzt, aber nicht
Badeni hat früher gesagt, er werde uns jetzt etwas durch Hetzer und Agitatoren sondern durch Verfügun¬
mittheilen, jetzt sollen wir aufhorchen, er werde uns gen der Regierung. Allerdings die Aufregung der
amtliche und objective Ausführungen mittheilen. Ich Leute ist gewachsen, weil sie sich nicht mehr ver¬
habe amtliche Schriftstücke; ich bitte doch den Herrn sammeln konnten. Es waren aber 700 Leute im
Ministerpräsidenten auf das hin, was ich heute in der Stocke und diese mussten sich verständigen. Sehen Sie,
Rede gesagt habe, bezüglich dieser Bezirkshauptleute ich kann daran erinnern, dass im Jahre 1894 in
etwas vorzukehren, Untersuchungen einzuleiten und Falkenau der Bezirkshauptmann Schmidt, auch einer
diese Leute, wie es ihnen gebürt, vor Disciplinar¬ von diesen Herren — der Stocke dauerte damals
gerichte zu stellen und diese Leute so zu behandeln, drei, vier Wochen — jede Versammlung verboten hat.
wie sie es verdienen.
Ich bin hingekommen, bin zu ihm gegangen und
Es muss einem das Schamgefühl ins Antlitz habe ihm gesagt: aber Herr, so lange sie die Versamm¬
steigen, und man muss wirklich ganz mit Erbitterung jungen verbieten, wird der Strike nicht zu Ende
erfüllt werden, wenn man sieht, dass drei unschuldig
gehen. Auf mein Zureden ließ er endlich eine §. 2¬
Leute niedergeschossen werden, während Leute als Versammlung stattfinden, und eine Stunde nach dieser
Bezirkshauptleute amtiren, welche Gesetzesverächter Versammlung war der Strike beendigt. Das hätte der
und Gesetzesverletzer sind. Woher weiß der Minister¬ Herr Bezirkshauptmann früher haben können, wenn
präsident, dass seine amtlichen Ausführungen objective er nicht ebenfalls von jenem bureaukratischen Geiste
sind? Das sind Ausführungen von Organen, die erfüllt gewesen wäre, den, wie mir scheint, auch der
naturgemäß bei den Dingen persönlich und subjectiv Herr Ministerpräsident so hoch zu stellen geneigt ist.
stark betheiligt sind, und die werden uns keine Wahr
Ich habe schon erwähnt, dass nicht sechs Personen,
heit, wenigstens nicht jenes Maß von Wahrheit
sondern, wenn diese Nachricht, die mir in letzter
liefern, welches uns nothwendig wäre.
Ich hätte heute wieder die Einsetzung einer Stunde zugekommen ist, richtig ist; sieben Personen
parlamentarischen Untersuchungscommission beantragt, verletzt sind, es sind nämlich drei Todte und vier Ver¬
aber das ist in diesem Hause ganz aussichtslos. Wir wundete, es ist also auch, wenn es richtig ist, was mir
dürfen die Thätigkeit eines Ministers einer Controle mitgetheilt wurde, ein Kind von vier Jahren in den
unterziehen, aber wir dürfen uns nicht über die Fuß geschossen worden. (Hört!)
Nun haben wir die militärische und strafgericht¬
Thätigkeit eines Bezirkshauptmannes durch unsere
abgesandten Vertreter unterrichten lassen. (Abgeord-liche Untersuchung. Der Gendarmerieoberstlieutenant
neter Dr. Kronawetter: Wir dürfen es nach der ist dort und wird alles erheben und natürlich mit dem
Geschäftsordnung!) Nicht aber nach der Ansicht objectivsten Gefühle die Untersuchung leiten (Ge¬
weiser, erleuchteter und führender Herren in diesem lüchter), denn er ist ein Mensch, der mit der Gendar¬
hohen Hause, welche nicht bereitwillig genug sein merie gar keinen Zusammenhang und natürlich das
können, jedes Recht dieses Hauses noch zu verkürzen höchste Interesse daran hat, die Gendarmerie in
gewissen einzelnen Punkten in Misseredit zu bringen.
und preiszugeben.
Dann kommen die strafgerichtlichen Unter¬
Der Ministerpräsident sprach von zuvor, von
dem 21. Mai stattgefundenen Zusammenrottungen; suchungen, von denen ich schon gesprochen habe; sie
diese haben in nichts anderem bestanden, als dass werden damit enden, dass eine Reihe von Leuten
jeden Abend diese Straße stark besetzt war. Dies ist sehr schwer verurtheilt werden wird, und zwar zum
Theil wegen Contractbruch, zum Theil wegen Auflauf
aber jeden Tag der Fall.
Allerdings mögen vielleicht noch mehr Leute als und es wird wieder ein — wie man in Wien sagt —
gewöhnlich zusammen gekommen sein. Aber, welche „Träuberl“ Menschen zusamenkommen, wie wir es
Gefahr sollte da entstehen? War eine Gefaht für die hier in Wien erlebt haben, wo infolge der Prater¬
Fabrik vorhanden? Diese Straße ist eine breite excesse die Leute mit einer großen Zahl von Jahren
Ararialstraße, welche von Reichenberg ins Land geht, schweren Kerkers bestraft wurden.
Aber wir werden auch hier wieder nur einseitige
und die Fabrik liegt ein paar Hundert Schritte link¬
unten, und man musste, um zu ihr zu kommen, kleine Bestrafungen bei den Arbeitern finden, dagegen wird
Gässchen passiren. Es wäre vollständig genügend ge- wohl nicht der Versuch gemacht werden, auch auf
wesen, diese Gässchen mit einem, zwei Gendarmen Seite der Unternehmer etwa ein Exempel zu statuiren,
zu besetzen und den Leuten wäre es gar nicht ein¬ obwohl ich schon in Reichenberg dieses Factum ange¬
gefallen hinunterzuziehen. Dass der Bezirkshaupt¬
1919