A145: Mein Freund Ypsilon, Seite 3

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„Da ist dann noch ein afrikanischer Prinz“, setzte er seine Geschichte fort, und
berichtete ein Näheres von diesem Prinzen, der eine unselige Leidenschaft für Türkisa
gefaßt hatte.
„Du bist wohl eifersüchtig?" fragte ich
„Was hilft's," sagte er mit gepreßter Stimme, „sie liebt ihn wieder.
„Aber du Narr!" schrie ich ihn an. „Wach' doch auf, bedenke doch, daß du den
afrikanischen Prinzen von einem Tiger kannst auffressen lassen, daß dann ein deutschen
Dichter namens Ypsillon mit einer Barke an den Ufern dieser Insel landen kann und..
„Das kann er nicht“, erwiderte Ypsillon im Tone der tiefsten Überzeugung
„Wie? — Warum nicht?“ rief ich aus. „Das liegt doch in deiner Hand! Du
leitest die Fäden, deinem Schädel ist doch dieser Wahnwitz entsprungen, diese Türkisa
existiert doch nur in deiner Phantasie!
„Gleichviel!" antwortete er ruhig, „es muß gehen, wie es geht, die Dinge spielen
sich ab, ich kann es nicht ändern".
Ich sprang auf. „Du bist vollkommen wahnsinnig
Er verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln und sagte nur ganz ruhig: „Nein“
Ich ging im Zimmer hin und her und fühlte, wie eine heftige Erregung meiner
Meister wurde.
„Ich bitte dich, gehe! Du störst mich!" sagte er
Ich blieb vor ihm stehen, sah ihn mit einem erbitterten Blicke an und entgegnete:
„Mittags komme ich wieder, um dich zu fragen, ob du essen willst
Während ich die Tür hinter mir zuschloß, sah ich, wie Ypsillon seine roten Kerzen
wieder anzündete. Ich aber trat hinaus ins volle Licht, unter die Leute, die mit wuch¬
tigen Alltagsschritten durch die Straßen wandelten. Im ersten Augenblicke war ich nahe
daran, über diese allgemeine Lebensfrische zu erstaunen. Man begreift die Gesundheit
nicht mehr, wenn man aus dem Hause der Verrückten tritt...
Als ich zu Mittag bei meinem Freunde Ypsillon anklopfte, ward mir nicht auf¬
„Komm' abends," sagte er durch die Tür, „ich arbeite, du störst mich"
getan.
Abends widerfuhr mir dasselbe. Ich rief höhnisch hinein: „Ist Türkisa noch nicht
tot?“ Da hörte ich ein tiefes Seuszen. Offenbar war die Arme ihrem Ende nahe. Ich
empfand etwas wie Freude, denn ich hoffte, daß damit der Bann wieder gelöst sei.
Auch am nächsten Morgen klopfte ich zeitig an seine Tür. Ich hörte kein „Herein,
doch gab die Klinke nach, und ich sah meinen Freund Ypfilon, der blaß und abgehärmt
vor seinem Schreibtisch saß.
„Ypsilon!" rief ich aus.
Er sah mich mit todesmatten Augen an.
„Was ist dir?" fragte ich,
„Sie stirbt", flüsterte er.
„Gott sei Dank!" entgegnete ich.
Sein Blick überschattete sich, er begriff diese Freude nicht mehr
„Komm, Ypsilon," sagte ich, und ich fühlte, daß ein beengender Schauder mir
durchs Herz zog, „komm!
„Ich kann nicht“, erwiderte er und wies auf das beschriebene Papier, dann auf
seinen Kopf
„Du bist lächerlich, Ypsilan, du bist ja krank.
„Rasch, rasch. es geht zu Ende“, sagte er, wie vor sich hin, die Hand auf den
Kopf pressend.
„Aber das ist ja nicht nötig“, sagte ich und nahm ihm die Hände von der Stirne,
sie in die meinen legend
Er schaute mir wieder wehmütig lächelnd ins Gesicht
„Es ist nicht nötig, sagst du?... Du kannst das nicht versteh'n!“
„Wahrlich, Ypsilon! ganz wohl versteh' ich dich, du bist überangestrengt; deine
Nerven sind krank von dem überheftigen Reize, dem deine wilde nihtantasie dich lüber-
liefert... Ein gesunder, frischer Hauch aus dieser lebenswahren Welt und alles ist weg¬
geblasen
Ich ging zum Fenster und riß es auf. „Fühlst du es? Merkst du, wie übermütig
der Morgenwind da auf deinem Schreibtisch in den Blättern wühlt, wie keck die Sonnen¬
strahlen über dein müdes Haupt und übr den bestaubten Boden hinwegglänzen? Merkst
du, wie diese tausendfarbige Welt sich in das gebenedeite Blau des Himmels taucht?
Er sah meinen Blicken nach, zum Fenster hinaus. Er mußte blinzeln, das Licht
tat ihm wehe. Ich wandte mich nach ihm um und zog ihn vom Stuhle auf, was er sich
schier willenlos gefallen ließ.
Um ihn aus diesem unbewußten Geschehenlassen nicht mehr aufzustören, schwieg
ich und geleitete ihn so bis zum Stiegenhause. Da fuhr er zusammen, aber nur einer
Augenblick, dann folgte er mit schleppendem Gange über die Stiege und ließ sich au
der Straße ohne Widerspruch von mir den Arm reichen. Jetzt erst getraute ich mich,
wieder zu reden.
„Was ist's nun, Ypsilon?" fragte ich, „tut dir diese Luft nicht wohl?
Er aber erwiderte nichts, und wenn ich hie und da ein Gespräch einzuleiten ver
suchte, gab er keine Antwort.
Unser Spaziergang führte uns an den Gärten der vorstädtischen Villen vorüber,
und herrlich dufteten die morgendlichen Blumen. Von den jungen Blüten der Bäume
strömte es würzig in unseren Atem. Die Brust hob sich stärker, der Schritt wurde frischen
und fester. Ypsillon aber wandelte weiter wie durch eine tote Landschaft. An einem Früh¬
stücksplatz ließen wir uns nieder, und gleich mir schlürfte auch Ypsilon seinen Kaffee
und mich wollte es bedünken, als wenn er zu einem wirklichen Leben erwachte. Nach
einem Schluck schüttelte er wohl auch den Kopf und strich sich über die Augen
„Wollen wir nicht über Land fahren?" fragte ich, „das Wetter ist günstig.
ja!" sagte er, und ich war ganz erfreut über dies erste Wort
zir setzten uns in einen Wagen und fuhren dem Wienerwald entgegen. Anfangs
saß Ypsillon regungslos an meiner Seite; erst als wir ins Freie kamen und die Bäume
der Landstraße uns überschatteten, sah er fich wie erstaunt um, als wollte er sich besinnen
Endlich lächelte er
„Ist's nicht schön da?" fragte ich.
Er sah mich wieder lächelnd an, als wollte er sagen: „Du Narr, meinst du
wirklich, daß mir dies endlich helfen soll°¬
Ich sprach weiter, so gut es mir vom Herzen ging, das sich sehr gepreßt fühlte
und redete von der großartigen, versöhnenden Einsamkeit des Waldes, in dem wir jetzt
Er schloß die Augen und seine Stirne runzelte sich. Dann schüttelte er den Kopf
fuhren
Ich hatte die Empfindung, als wenn er sagen wollte: „Du wirst es doch nicht besser
machen!"
So führte ich in der Einbildung immer ein Gespräch mit ihm, ohne daß er
eigentlich den Mund auftat
In einem stillen Wirtshause ließen wir uns ein Mittagmahl auftragen. Um uns
flüsterte der Wald mit geheimnisvollen Stimmen und der Wind strich über die Wipfel
Ich sprach meinem Freunde zu, von den vorgesetzten Speisen zu nehmen, was er
endlich befolgte. Nach ein paar Bissen aber legte er Gabel und Messer weg, sah mir
voll ins Gesicht und sagte: „Du bist ein guter Mensch, aber du wirst es doch nicht
besser machen
Ach! Dasselbe hatte er mir ja schon gesagt, mit seiner kummertrüben Miene
„Nein, ich werde es vielleicht nicht besser machen," entgegnete ich, „aber es wird
gut werden, wenn du vernünftig bist. Ich begreife dich ja," fuhr ich fort, „mir fehlt
das Verständnis nicht für dein reizbares krankes Poetengemüt, du wärst eigentlich gar
kein Dichter, wenn du in deine Türkisa nicht verliebt wärest.
„Und da sie stirbt, muß ich elend sein“, unterbrach er mich und sah mich bebend an