A145: Mein Freund Ypsilon, Seite 4

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Von dieser fixen Idee ließ er nun nicht mehr, und auf all mein Zureden hatte
er nur mehr eine ablehnende Kopfbewegung. Ich fühlte, daß diesem Wahne gegenüber
meine Weisheit zu Ende sei.
Wir saßen geraume Zeit da, dann gingen wir auch im Walde umher. Es war
ein entsetzlicher Tag. Wie verging er mir? Kaum weiß ich's selbst; so schwer, so bange
lasteten die Stunden auf mir.
Die Sonne stand weit im Westen, als wir uns wieder in den Wagen setzten. Die
wohlausgeruhten Pferde trabten mit vergnüglicher Schnelle über den Waldweg
So waren wir eine Strecke weit gefahren, als ich bemerkte, daß mein Freund
unruhig wurde.
Die Sonne begann zu sinken und die Dämmerung breitete sich langsam über die
Auen... „Schneller!" sagte er leise
Wir fuhren genugsam rasch, und da man schon die ersten Häuser der Stadt am
Ende der Landstraße gewahrte, schien es, als ob wir noch vor Dunkelheit zu Hause an¬
kommen sollten; doch die Abendschatten täuschten.
„Schnell, schnell!" rief Ypsillon, so daß es der Kutscher hörte und seine Pferde
antrieb..
„Was ist dir denn?" fragte ich
„Nach Hause!" murmelte er. „Ich muß zu Ende kommen."
Sein Atem ging rascher; in seinen Mienen zuckte es, zeitweise saß er still da
dann wieder entstieg ihm ein jammervoller Seufzer. In den Kastanien zu Seiten des
Weges raschelte es und ein kühler Luftzug erhob sich... Mich schauerte es ein wenig..
„Nach Hause, nachHause!" rief Ypsilan laut, doch wie stöhnend
„Laß doch“, beschwichtigte ich ihn, „wir kommen früh genug heim. Was willst
du auch daheim?... Du darfst nicht mehr arbeiten.
Er sah mich an, ganz erstaunt. „Ich muß doch“, sagte er
Jetzt fuhren wir zwischen den ersten Laternen der Vorstadt. Immer ruheloser
wurde Ypsillon. Er fuhr mit den Händen hin und her und seine Augen irrten; auch
atmete er wie ein Fieberkranker
Er atmete so heftig, daß sich der Kutscher umwandte und ihn mit Verwunderung
betrachtete. Dann hieb er auf die Pferde ein und mit großer Geschwindigkeit rollten wir
auf dem lärmenden Pflaster dem Wohnhause meines Freundes zu. Ein- oder das anderemal
rief ich ihn noch an: „Ypsilon!“ Er aber hörte gar nicht auf mich; in unendlich
hastiger Arbeit schien sein Geist befangen, und meiner bemächtigte sich eine immer trüb
seligere Stimmung.
Ein Bild tauchte vor mir auf, als wir durch die schlecht erleuchteten Gassen
fuhren, das ich nimmer loswerden konnte... Ich sah die Prinzessin Türkisa im Sarge
liegen, der ganz von Glas war und davor stand mein unseliger Dichter mit tränenlosen,
schmerzlichen Augen.
Da hielten wir vor dem Hause; Ypsilon sprang aus dem Wagen und stürmte
über die Treppen. Als ich hinauskam, saß er schon vor seinem Schreibtisch mit den vier
roten Kerzen und hörte mich nicht, als ich eintrat
Eben begann er zu schreiben. Alles um ihn war versunken. Die sterbende Türkisa
bannte ihn in ihren Kreis.
Ich legte mich auf den Divan und gedachte hier zu bleiben, da ich ernstlich un¬
ruhig war.
Seine Feder hastete übers Papier, das Fenster war offen, die Kerzenlichter
flackerten. Die losen Blätter seiner Geschichte flogen auf dem Tisch durcheinander. Der
Ausdruck seines Gesichts ward immer bewegter; dabei war er aber totenblaß
In irgend einem Augenblick hatte ich das deutliche Gefühl, daß Türkisa starb.
Er schrieb plötzlich etwas langsamer, während er schwer atmete und mit stierem Blicke
auf die vor ihm liegenden Zeilen starrte. Dann ließ er die Feder aus der Hand fallen,
sein Kopf sank herab und er weinte bitterlich, herzbrechend. Mir wurde wohler, freier
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Ich dachte, jetzt wär' es vorbei, der Bann gelöst, die schreckliche réhantasie, in der er tage¬
lang gelebt, sei zerstoben, verweht. Ja, mir war, als ginge in der ganzen Atmosphäre
rings um uns her eine Veränderung vor. Böse Geister rauschten durchs Fenster davon
und die roten Lichter im Zimmer brannten ruhiger und heller. Auch die Blätter auf dem
Tisch regten sich nicht mehr; der Friede war wiedergekehrt. Und mein armer Freund
weinte, weinte still und stiller.
Ich schlummerte auf dem Divan langsam ein..
Es muß ziemlich lange gewesen sein, denn als ich wieder aufwachte, waren die
Kerzen tief herabgebrannt. Ypsillon aber saß noch immer da mit gefenktem Haupte.
sch trat zu ihm. Er sah mich voll, mit einem ganz beruhigten Blicke an.
„Geh' doch schlafen", sagte ich zu ihm
Er erwiderte und seine Stimme klang fest und gemäßigt: „Geh' du doch und
„Nun, Ypsillon“, rief ich freudig bewegt aus, „es ist doch alles vorüber!"
sorge dich um nichts weiter.
„Alles vorüber“, sagte er und küßte mich auf die Stirne.
„Nun, so erlaube mir doch“, sagte ich, „den Rest meiner Nachtruhe hier auf dem
Sofa in deinem Zimmer zu halten, Ypsilon.
„Bleib' immerhin", erwiderte er mit freundlichem Blicke.
Er behielt mich im Auge, während ich mich auf das Lager streckte. Und als
ihm zurief: „Also ins Bett!“ nickte er mir lächelnd zu. Ich fühlte sein Auge weiter auf
mir ruhen, als ich zu schlummern begann
Eine warme Luft strömte jetzt von draußen ins Zimmer, einer von den Kerzen
verlöschte, die andern flackerten weiter, mit unruhigem Schein, ich sah das alles im Halb¬
traum, dann schlief ich vollends ein..
Es dämmerte, als ich aufwachte. Ypsilon war nicht mehr im Zimmer
Noch dachte ich an nichts und erhob mich, um zu dem Tische zu gehen, wo ich
im Dämmerlichte einen zusammengefalteten Zettel liegen sah
Bevor ich ihn öffnete, trat ich zu dem Bette meines Freundes. Es war nicht
Ich schauderte und sah vor allem, wie schon so die Verwirrung in solchen Augen¬
berührt worden.
blicken mit uns ihr Spiel treibt, nach den Kerzen. Sie standen nicht mehr auf dem Tisch
sie lagen samt den Leuchtern in der Ecke neben dem Ofen. Ich sah nach den Blättern,
sie lagen zerstreut da, wie früher
Jetzt erst öffnete ich den Zettel. Darauf stand:
„Türkisa ist tot! Alles ist vorüber!"
Meine Zähne schlugen zusammen. Wo war er, wo war er denn nur?
Ich eilte ins Vorzimmer — leer! Riß die Tür auf, trat ins Stiegenhaus — es
war dunkel. Ich ging zurück, entzündete eine von den in der Ecke liegenden Kerzen und
trat in den Flur. Dort lag etwas Schwarzes ganz unten! Ich hielt das Licht über das
Geländer, um besser zu sehen. Ein roter Wachstropfen fiel hinunter, ich rannte mit dem
Lichte die Treppe hinab — da lag sein Leichnam vor mir —
Dann kamen, wohl durch meinen hastigen Lauf über die Stiegen aufgeweckt, noch
andere Leute dazu und erblickten den Körper
„Was ist's?“ fragte man. Einige schrieen auch laut auf
Ich hielt mich zu einer Erklärung verpflichtet: „Er war wahnsinnig“, sagte ich.
Einer nahm mir das Licht aus der Hand; es mußte gezittert haben.
Ich habe die letzte Erzählung meines Freundes Ypfilon gelesen; sie ist ganz mi߬
lungen, und es steckt kaum etwas Talent darin.
Sicher ist das ein trübseliger Abschluß meiner Geschichte; er gehört jedoch zur
Vollständigkeit meines Berichtes. Die Muse hat zuweilen Launen... Das Werkzeug einer