A145: Reichtum. Erzählung, Seite 3

... Weldein erhob sich vom Bettrande und begann im Zimmer hin und her zu gehen.
Seine Augen glühten, wie er nun sein Erlebnis in Gedanken ein zweitesmal durchlebte...
Er sah sich mit den beiden Fremden die dumpfe Wirtsstube verlassen, er hatte dort nichts
mehr zu suchen; die anderen Spieler, denen er all ihr Geld abgewonnen, waren verdrossen
aufgestanden.
Und wie er nun in der engen Vorstadtgasse stand und die beiden Fremden näher
betrachtete, die ihm erschienen waren, wie die guten Geister im Märchen!... Er mußte ihnen
erzählen, wenn sie eigentlich geholfen hatten. Ach ja, wem! Einem armen Anstreicher, der
einmal Maler hatte werden wollen und dem alles fehlgeschlagen war, was er begonnen...
aber wahrhaftig auch alles! Nun hatte er für Weib und Kind zu sorgen, brachte sich auch
mühselig und redlich durch die Welt. Nur zuweilen kam es wie ein böses Verhängnis über
ihn; das war in jenen Wochen, in denen er spielen uyd trinken mußte, ja, mußten! ob er wollte
oder nicht. Und auch im Spiel immer das alte Unglück! Heute wieder, wie jedesmal!
Wer aber waren die Fremden? Er hatte sie einfach darum gefragt und sie nannten sich
vor ihm: der eine Graf Spaun, der andere Freiherr von Reutern, was ihm weiter nicht
sonderbar vorkam; denn daß es junge Leute von Adel waren, das hatte er ihnen auf den
ersten Blick angesehen.
... Und jetzt, während sie durch die abendlich stillen Gassen der Vorstadt schritten, ent¬
schied sich Weldeins Los! — Denn die beiden Männer an seiner Seite waren erfindungsreich,
lustig und kühn. Wäre ihnen sonst ein so seltsamer Plan durch den Kopf geflogen? Hätten sie
sonst den Streich ausgedacht, den sie mit ihm vollführten?
Und nun zogen, der Reihe nach, die seltsamen Bilder der heutigen Nacht vor ihm vor¬
über. Er erblickte sich im Laden des Friseurs, wo sein wirres Haupt- und Barthaar sorglich
hergerichtet wurde; er sah sich in dem Ankleidezimmer des Grafen, wo man ihn mit dem ele-
ganten Gesellschaftsanzuge versah, den er jetzt noch am Leibe trug. Und dann — dann sah er
sich mitten unter all jenen reichen und vornehmen Herren am grünen Tische sitzen, in dem
großen, prächtigen Spielsaal des Klubs mit den vielen glänzenden Spiegeln, und er erinnerte
sich, wie er, der Verabredung getreu, einen schweigsamen Amerikaner vorstellen mußte, den der
Zufall der Reisen einmal auch hieher gebracht, die alten Freunde aufzusuchen, die er kennen
gelernt... wo nur?.. in Moskau.. oder Paris. Die zwei Herren, die ihn heraufgebracht,
hatten wohl nicht gedacht, wie ihr Karnevalsscherz enden würde... Mit brennender Deutlich¬
keit sah Weldein alles wieder vor sich; ihm war, als fühlte er die glatten Karten in seiner
Hand: er erblickte die Goldstücke, die Banknoten, die sich vor ihm häuften; er erinnerte sich,
wie auf dem Stuhl neben ihm ein eisgefüllter Kübel mit einer Flasche Champagner stand, und
wie er Glas auf Glas von dem berauschenden Getränke hinunterstürzte. Auch des eigentüm¬
lichen Ausdruckes in den Gesichtern der anderen Spieler entsann er sich völlig genau: wie sie
zuerst erstaunt waren über sein nie versagendes Glück, und wie dann das Erstaunen in
Bestürzung überging, als er mit jeder Karte gewann.. und endlich aufstand, leuchtenden
Auges, aber wortlos starr ob seines Abenteuers — ein reicher Mann!
Und nun hatte der Graf ihn über die breite mit Teppichen bedeckte Treppe hinabgeleitet,
ohne ein Wort mit ihm zu sprechen. Sie standen unten beim offenen Thore. Die Straße vor
ihnen war menschenleer. Die Laternen brannten hell, eine wunderbar milde Luft wehte durch die
Nacht. „Gehen Sie... Herr Weldein... gehen Sie nach Hause...." sagte der Graf. Und
Weldein stand auf der Straße, allein — mit einem Vermögen in der Tasche. Er wandte sich
um, sein hochgeborener Freund verschwand eben im Stiegenhause, ohne sich noch einmal umzu¬
sehen... Die Flammen in den Straßenlaternen tanzten, und Weldein schwankte davon...
Und wie er nun überdenken wollte, was in dieser Nacht weiter mit ihm geschehen, stauten
sich seine Gedanken. Er besann sich kaum, wie er nach Hause gekommen. Aber alles hatte er
erlebt, wahrhaftig erlebtn, und er war reich, daran gab es keinen Zweifel mehr... Und
während er im Zimmer auf und ab ging, murmelte er vor sich hin:
„Was nun? — Die heutige Nacht bleibt mein Geheimnis... denn diese Nacht ist nur
der Anfang eines neuen Lebens... In einigen Tagen verschwind ich aus der Stadt, ja wohl,
ich verschwinde aus der Stadt.. Meine Frau mag ohne Sorge sein, ich werde ihr schreiben,
wohin sie mir nachzukommen habe. Nach dem Süden — — nach Monte Carlo... wo ich
nicht der Anstreicher Weldein bin, wo mich niemand kennt!...“ Er versank in Sinnen.
„Gut, sehr gut...“ Er warf den Frack ab, that ihn sammt dem übrigen Zubehör
seiner eleganten Person von gestern in ein Bündel. Bald stand er im Arbeitsgewande vor dem
Spiegel. Er lachte wieder... „Guten Morgen, Herr Weldein," rief er laut, jubelnd beinahe. Er
trat zum Fenster, schaute auf die Straße. Ein sonniger Frühlingstag! Er öffnete beide Flügel. Lind
wehte der Morgen um seine Stirn. Er that einen tiefen Atemzug, mit einem stolzen erobernden
Blicke schaute er in die Höhe... Drilben im Nachbarhause war alles wie sonst; bei einigen
Fenstern noch die Vorhänge herabgelassen ; bei anderen sah man Frauen im Morgenkleid putzen und
abstauben, dann wieder ganz im Hintergrunde der Zimmer verschwinden. Unten bei der geöffneten
Ladenthür hämmerte der Schuster... Alle waren fleißig, waren bei der Arbeit.
Karl Weldein trat vom Fenster zurück, zündete sich eineans-Cigarre- an und legte sich der
Länge nach aufs Bett. Er war reich, er war glücklich. Er ruhte vielleicht eine Stunde lang,
die Zigarre lag neben dem Bette ausgebrannt auf dem Boden, als er erwachte. Mit einem
dumpfen Gefühl im Kopfe erhob sich... Es war ihm etwas Wichtiges eingefallen. Wo
war sein Geld? — Er hatte irgend etwas damit gethan. Aber was? Ach ja, freilich.. wie
er von jenem Thore aus durch die Straßen taumelte, da war es ihm ja plötzlich durch den
Sinn gefahren, daß er das Geld nicht mit sich nach Hause nehmen konnte.. es war zu
viel!... Da war ihm nun der tolle Gedanke gekommen, seinen Reichtum zu verstecken..
In der Nacht war es ihm so ganz natürlich erschienen — in jenen Augenblicken,
da ihm der Kopf von dem glühenden Weine wirbelte und heiß war — daß er das Geld
vor der Frau,vor den Nachbarn, vor allen Menschen überhaupt verstecken müßte!... Er
hatte eine seltsame Empfindung von Angst, beinahe von Schuld gehabt, als er in der
Nacht durch die Straßen schwankte, das ihm jetzt fast sonderbarer vorkam, als sein ganzes
Abenteuer...
.. Aber was that es weiter? — Am Ende hätte auch wahrhaftig seine Frau das
Geld vorzeitig gefunden.. und da... hätte es dann im Kasten liegen und einrosten können..
Nun, es war jetzt geschehen.. er hatte seinen Reichtum versteckt — und er halte einfach nichts
anderes zu thun, als ihn wieder zu holen. Freilich nicht jetzt... erst in der Nacht. In der Nachtt
mußte er hingehen.. hingehen... hingehen... Er griff sich an die Stirn... Wohin gehn?
... Nun ja.. von dem Gebäude des Klubs aus durch jene lange Straße... und dann
... ja, wohin dann.. ja, links... und dann... Ja, wolin? Wohin war er gegangen?..
Links links links... links... Und Weldein suchte in seinem Gedächtnisse. Er fuhr sich mit
beiden Händen durchs Haar. Er Stampfte auf den Boden. Er murmelte... Wohin.. r
schrie... Wohin? Er ging mit gesenktem Haupte im Zimmer hin und her, im Kreise. Er
fing an, in singendem Tone vor sich hinzusagen: Wohin.. wohin... woh in?
Nun stand er wieder beim offenen Fenster. Wagen rasselten vorbei. Er schlug die
Flügel wieder zu. — Wagenrasseln. Das hatte er auch heute nachts gehört, kurz vorher..
„Nun, nur Ruhe.“ sagte er sich. „Also... die Wagen rasselten in der Straße... gut
und dann ging ich links." Er stand still da; die Stirn am Fensterkreuz und grübelte. Er
erinnerte sich genau an die dunkle lange Straße.. „ dann kam eine Kreuzung — er war zur
linken Hand weitergegangen — und von da an... wohin..?