A145: Reichtum. Erzählung, Seite 4

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Er stand da, minutenlang, totenblaß, den Schweiß auf der Stirn. Es war, um toll zu
werden! Er nahm seinen Hut, der auf dem Tische lag und setzte ihn auf. Er stürzte die Thür
hinaus, die Treppe hinunter und fort, fort — dorthin!
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Da lag sie vor ihm, die lange, lange Straße im hellen Sonnenschein des Morgens,
und er eilte den Häusern entlang weiter. Da kam die Kreuzung, endlich — und da... da war
er links gegangen, wieder durch eine schöne, aber viel weitere Straße! Er kannte sie natürlich, aber
er erinnerte sich nicht, nachts hier gewesen zu sein. Nun freilich, es war ja ganz dunkel geweßen.
Und nun entsann er sich eines wichtigen Moments... er hatte sich gebückt. Er wußte es ganz
deutlich... aber wann hatte er sich gebückt? Wie weit war er gegangen? Minutenlang? Eine
Stunde lang?... Ruhe, Nuhe, sagte er sich wieder, indem er stehen blieb. Er stand da
und ließ das Leben der Stadt um sich fluten... Sommerlich angethan spazierten sie daher,
jung und alt, alle freuten sich des neuen schönen Tages. Niemand kümmerte sich um ihn.. Er
versuchte zu pfeifen, irgend ein Ding, das ihm just über die Lippen kam. Er konnte nicht, die
Kehle war ihm zugeschnürt. „Warum bist du so aufgeregt" — sagte er sich dann... du
bist links gegangen — eine gute Weile... und hast dich dann gebückt. Also unten, irgendwo
unten muß es liegen... das ist ja schon sehr viel... so viel zu wissen... denn gestern
um die Zeit warst du noch ein armer Schlucker Aber... wozu bückt man sich..
Um etwas zu vergraben.. Ich habe es also vergraben.. oh.. ich weiß ja noch mehr..
es rauschte durch die Bäume.. In einem Garten also hab ich's vergraben.. Nein. es
war kein Garten.. es hallte wieder... es war ein Brunnen.. ja ei Brunnen und darum
rauschte es.. und ich stieg hinunter und darum hallte es wieder.“ Er ging immer dieselbe
Straße auf und ab und sagte wohl hundertmal vor sich her.. „Es rauschte.. und es hallte
wieder..“ Nach einer Weile hielt er inne.. „Und wenn es ein Brunnen war.. wo.
wo? — Aber nein, es ist zum Lachen, es war kein Brunnen... gewiß nicht! Und wie gut,
daß es kein Brunnen war, denn ich könnte ihn doch nicht finden, das ist gut...“ Er lachte.
— Die Zähne klapperten ihm, er glaubte toll zu werden. Dann fing er wieder an: „Es
rauschte und hallte wieder...“ Er stand vor einer Branntweinschänke.. Er ging hinein und
ließ sich ein Gläschen füllen.. Durch die Fenster sah er wieder auf die Straße, wo die
Menschen teilnamslos und fröhlich vorüberzogen.. Er trank und trank... „Nun muß es
mir ja einfallen... denn im Rausch sieht der Mensch klarer.. Gewiß.. heute nachts fand
ich den Weg ja im dunklen.. nur weil ich betrunken war... ich werde ihn jetzt wieder
finden." Als er hinaustrat, schwankte er ein wenig, aber sein Herz war leichter.. „Nun bin
ich ja lustig," murmelte er... „Lala, tralala... lustig.... lust warum bin ich lustig?
Weil ich fühle, wie mir die Erinnerung zurückkommt.. links... ja links! Da bin ich
.. und ich ging.. irgendwohin, wo es rauschte und wiederhallte.. Nur lustig.. Du wirft
schon finden, Weldein!"
Er war an das Ende der Straße gelangt und befand sich am Eingang eines großen
Parkes; ein leichter Wind zog durch die Blätter
„Siehst du, Weldein... es rauscht schon.. “ Er taumelte vorwärts... über einen
breiten Kiesweg, zu dessen Seiten hohe Bäume im Blätterschmuck prangten. Auf den grünen
Bänken saßen Kindsmägde und junge Mütter; alte Herren, Studenten schritten vorbei; Kinder
spielten mit Reifen und Steinen. Weldein nahm einen Seitenweg; er kam bald auf einen
freien Wiesenplan, auf den die Sonne glühte... Der Rasen war nicht eingezäunt; im
Abendschatten pflegten hier die Kinder zu spielen: jetzt lagen da einige junge Burschen, die schliefen.
Ueber diese Wiese schwankte Weldein weiter. Das Gezweig bewegte sich leicht; ganz leise
säuselte es in den Blättern... „Es ranscht, es rauscht...." lallte Weldein. Dann fank
er hin auf den heißen Rasen, und ein dumpfer Schlummer befiel ihn. Nach kurzer Zeit schon
setzte er sich auf und starrte vor sich hin... Sein Kopf war freier, und er begann von
neuem nachzusinnen. „Es ist wohl Mittag vorbei und gestern war ich ein armer Schlucker..
Es kommt darauf an, nun ja, natürlich, daraus komnt es an, daß ich ruhig genug werde,
um mich an alles zu erinnern. Unsinn! Erinnern muß ich mich am Ende... Jetzt ist's zu
heiß... man kann nicht nachdenken, wenn einem die Mittagssonne auf dem Schädel brennt
... Also Ruhe... und warten, bis es kühler wird." Er stand auf und spazierte mit
genächlichem Gange durch die Alleen des Parkes. Manchmal war es ihm, als ob er sich
auf die Erde werfen, mit den Nägeln im Sande wühlen müßte. Er knirschte mit den Zähnen;
er biß sich in die Lippen. Einigemals setzte er sich auch auf eine Bank; doch hielt es ihn
nicht lange. Es war ihm, als müßte er schreien und fluchen. Plötzlich stürzte er davon
weg aus diesem Park, wo die Bäume unaufhörlich rauschten. Er begriff nicht, was er so
lange darin gemacht hatte... Er wonderte durch die Gäßchen und Gaffen; bald langsam,
bald schnell; er dachte nicht daran, daß er noch keinen Bissen gegessen hatte... Die halbe Stadt
durcheilte er kreuz und quer, Thränen der Wut im Auge, und als der Abend kam, stand er
wieder in jener langen Straße vor dem Branntweinladen, todmüde. Und wieder ging er
hinein, setzte sich zu einem kleinen Tischchen und ließ sich ein Glas vom allerstärksten geben.
Und wie er es vor sich stehen hatte und an die Lippen führen wollte, da konnte er nicht
trinken; die Thränen sloßen ihm über die Wangen, und das Gesicht in den Händen, schluchzte
und weinte er wie ein Mann, der sein Liebstes verlor! Anfangs schaute man ihn wohl an;
das hübsche Mädchen, das beim Schanktische stand, und auch die Leute, die sich in dem Laden
neue Kräfte oder einen neuen Rausch holten; aber ernstlich kümmerte es ja keinen, und sie
ließen den guten Mann da ruhig weinen, wie es ihm beliebte. Nach einer geraumen Weile
wischte sich Waldein die Thränen aus dem Gesicht und trank seinen Branntwein aus... Er
ließ sich einen frischen geben, und dann wieder einen; er trank wohl eine Stunde lang. Auf
der Straße brannten die Laternen; die Nacht brach herein. Ein dünner, warmer Regen fiel
nieder. Das Wagengerassel wurde schwächer, der Menschenstrom spärlicher. Und Waldein
trat wieder hinaus, er nahm den Hut vom Kopfe, ließ den Regen über seine Haare rieseln.
Die Abendluft kühlte ihm die Stirne... Langsam schritt er weiter... so ruhig hatte er
sich seit dem Morgen nicht gefühlt... „Nun an die Arbeit," sagte er sich....Nun wirst
du's finden." Und zum hundertstenmal wiederholte er sich... links — und es rauschte und
hallte wieder...“ Er schüttelte den Kopf.. „Das ist nicht alles.. das isi zu wenig.
Er schaute vor sich hin... und plötzlich glitt ein Schein von Hoffnung über sein Gesicht..
„Vom Gebäude des Klubs aus bin ich hingegangen... warten wir noch eine Weile und
dann machen wir's eben so wie gestern. Ja, ja, so muß es gehen, und nun ruhig...
ruhig." Und wieder spazierte er hin und her; nahm seine kurze Pfeife aus dem Sack, stopfte
sie und zündete sie an... Die Zeit wird schon vergehen.. - Und Waldein durchkreuzte
wieder die Stadt. „Sollte wohl einen Augenblick nach Hause schauen.. Ach, lassen wir's
lieber.. Hrn.. aber essen.. Im Gasthaus, wo mich gestern die Herren trafen? Nein,
nein, später, wenn der Hunger kommt...
Die Minuten und Viertelstunden schlichen hin.. endlos dehnte sich die Zeit. Ab und
zu hatte Weldein auf einer Bank für eine kurze Weile geruht; dann war er wieder aufgestanden;
die Mitternacht wollte nicht kommen. In den Straßen wurde es menschenleer.. Der Regen
fiel heftiger als früher.. Dann wurde es wieder lebhaft in der Stadt; die Wagen fuhren
zahlreicher, man begegnete auch mehr Fußgängern; die Theater waren aus. Also zehn Uhr
vorbei.. Noch zwei Stunden bis dahin.. Und was thun bis zwölf Uhr.. Es zog ihn
wieder unwiderstehlich in jene lange Straße. Essen? Nein, er konnte nicht. Aber trinken!
ja.. Das beruhigt doch wieder ein wenig. Also weder in die Schänke! Doch nein, nicht