Eines Tages las er in der Zeitung den Tod des Freiherrn von Reutern angekündigt.
Das war ein Trost für ihn. Ja man stirbt schließlich doch. Es kam ihm vor, als wenn er
an diese angenehme Lösung ganz vergessen hätte. Nun gab es nur einen mehr, der die
Geschichte jenes Abends kannte, den Grafen Spaun. Waldein haßte ihn. Einmal bestürzte
ihn der folgende Gedanke: Wie, wenn Graf Spaun, plötzlich verarmt, sich an ihn erinnerte
und zu ihm käme mit den Worten: Mein lieber Weldein, ich hab Dich reich gemacht, gib
mir einen Teil von Deinem Reichtum... Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Er
zitterte vor dem Grafen Spaun. Und wie, wenn dieser es einmal in einer lustigen Stunde
seinen Freunden erzählte! Und die kämen zu ihm — alle — lustig, höhnend! Heda, Herr
Anstreicher, nicht so karg! Man läßt sein Weib und seine Kinder nicht hungern, wenn man
Geld im Kasten hat! Und er, was könnte er sagen? Ich hab es nicht im Kosten — ich
hab's, — ich weiß nicht wo? Wer glaubt solchen Unsinn! Dann überlegte er wieder: das
Beste wäre, er suchte den Grafen auf und teilte ihm sein Misgeschick mit!.. Sein Mis¬
geschick! Mehr als das! Das tollste Unglück, das je einem Menschen widerfahren war.
Aber was kümmerte sich die Welt, die Zeit um ihn! Er stand auf seiner Leiter und
strich an. Die Haare an seinen Schläfen wurden grau; er wurde dick, begann an schwerem
Atem zu leiden und Hustete. Die Trinker werden früh alt.
Als sein Sohn zwölf Jahre alt war, starb die Mutter. Sie war nicht lang im
Bett hingesiecht; sie legte sich erst hin, als sie bald sterben mußte. Sie war mild und gut
die letzten Tage; sie küßte die Hand ihres Mannes, der neben ihrem Bette saß; fie
streichelte die Haare ihres Buben.
„Geh, Karl“, sagte sie noch an ihrem letzten Lebenstag.. „laß den Buben doch
werden, was ihm Freud' macht.. er wird schon mehr Glück haben, als Du und ich.".
Beide weinten still an ihrem Bette; der Junge kniete und der Mann saß auf einem
wackeligen Stuhl, der manchmal knackte. Und der Abend kam, ein Frühlingsabend, so mild,
so maienduftig, wie jener verhängnisvolle Abend vor sechs Jahren. Weldein dachte daran..
er sah sich wieder auf jener Brücke stehen und hörte die Wellen rauschen, den Regen herab¬
tropfen. Er hatte schon zwei Nächte gewacht,... nun schlief er ein... Ganz dunkel
war es, als er aufwachte; der Junge hatte ihn leise und ängstlich gerüttelt. „Was gibt's“,
fragte Weldein... Kein Atemzug mehr vom Kopfpolster her.. „Ein Licht zünd an“
rief er mit verhaltener Stimme, aufspringend und sich zu seinem Weib herniederbeugend. Er
rief: „Du.. Du, Du. Du.. hör doch?“ Der Knabe kam mit dem Licht. Er traute
sich nicht ganz heran. Der Vater nahm ihm das Licht aus der Hand und hielt es zum
Kopfende des Bettes hin. Eine Minute vielleicht starrte er auf das blasse Gesicht, das auf
dem weißen Polster lag. Hinter ihm der Bub weinte... Veldein stellte das Licht auf das
Nachtkästchen, wandte sich um zu ihm, und leise sagte er: „Hast recht, Franz, daß Du weinst;
die Mutter ist tot."
Der junge Weldein wollte Maler werden, und sein Vater war stolz darauf. Er
mag erreichen, was mir nicht geglückt ist, dachte er. Aber die erste Zeit war schlimm
genug! Die Künstlerschaft fing damit an, daß man den Jungen aus der Schule jagte.
Er taugte nichts; er zeichnete während der Schulstunden und kümmerte sich nicht um die
Dinge, die man von ihm verlangte. Und zu Hause! Da saß er zuweilen vor einem Blatt
Papier und übte sein talent; meist aber stand er müßig beim Fenster und starrte in die
Luft. Dann ging er auch hinunter in den Hof, tollte herum mit den Buben und Mädeln.
Spät abends erst kam der Vater; — nach der Arbeit das Wirtshaus, dann die Familie. — Und
manchen Abend, wenn das Geld für die Schänke nicht mehr reichte, dann nahm er wohl
den Jungen mit sich und spazierte durch die Straßen der Stadt. Und beinahe jeden Tag
denselben Weg... vor dem Klub vorbei, durch die lange Straße.. links.. links. und
zum Flusse hin. Und er dachte: „Was hätte aus ihm werden können, wenn ich das Geld
hätte! Und jetzt wird er sich plagen müssen, bis man überhaupt bemerkt, daß er da ist.
er wird verhungern, bevor er was Großes geworden.“ Und sie wanderten zusammen am Ufer
des Flusses hin und her, arm beide, der alternde Vater mit den halberloschenen Augen in
dem aufgedunsenen Gesicht und der Jüngling an seiner Seite mit dem sehnsüchtigen Blick
Und manchmal sah ihn der Vater an und dachte, wie er selbst einmal so Herrliches gewollt und
wie die Welt vor ihm schön und weit dagelegen. Und noch einmal, später, an jenem Abend, wo
er reich geworden, ja, noch einmal so schön und weit. Und von neuem ergriff ihn eine stille
Verzweiflung.. wollte es denn nicht enden? Und dabei zog es ihn immer denselben Weg zur
selben Brücke. Oh, es war besser, sich betrinken, als immer daran denken müssen!. Der
Franz zeichnete und malte weiter, Köpfe zumeist, in denen ein gewisser leidenschaftlicher Aus¬
druck steckte; der Vater glaubte Talent darin zu sehen; ja er sagte ihm einigemale...
„Geh hin, zeige sie in der Akademie, vielleicht nehmen sie Dich auf!...“ Aber der Junge
entschloß sich nicht dazu; die Blätter wurden verstreut, und er selbst that Wochen und Monate
lang ichts, gar nichts.. Dann kam es dazu, daß er dem Vater manchmal bei der Arbeit
aushalf. Und es geschah auch, daß er mitten in der erbärmlichen Anstreicherei seinen wahren
Genius erwachen fühlte, den groben Pinsel, die Farben, den ganzen Taglohn hinwarf, nach
Hanse eilte und sich ins Zimmer verschloß, um zu zeichnen oder zu malen. Da saß er
stundenlang und es war ihm, als müßte er etwas Großes, Herrliches vollenden. Und wenn
es zu Ende war's wieder mißlungen. Er warf das Zeug in eine Ecke, und es begann
wieder eine Zeit des Nichtstuns, in der er sein Geld in Gesellschaft leichtsinniger Kameraden
vertrank und verspielte.
So vergingen die Monate und Jahre, und der Hausstand von Wel dein Vater
und Sohn fristete ein armseliges Dasein von Tag zu Tag. Und einmal, Franz stand damals
im zwanzigsten Lebensjahre, kam er früh morgens nach Hause, als die Sonne schon in die
Stube hereinblickte. Der Vater lag nicht im Bette; er lag auf der Erde, atmete schwer,
das Gesicht war rot; die grauen Haare, verwirrt, hingen in die Stirne herein. Franz
schaute ihn lange an. Ihn schmerzte der Kopf; auch er war von einer durchschwärmten
Nacht heimgekehrt; hatte seine letzten paar Groschen verspielt, wie sie sein Vater vertrunken
hatte.. Ein leichter Schauer durchfuhr den jungen Mann. Velch ein Leben lag vor ihm!
Welch ein leeres, elendes Leben! Und nach einer Weile rückte er sich den Tisch zum Fenster
hin, und auf ein Blatt Papier begann er eine Skizze hinzuwerfen.. Anfangs ging die
Arbeit nicht recht von der Hand; als die Stunden weiter rückten, ward es besser. Er empfand
es, das mußte was Rechtes werden. Und immer weltvergessener arbeitete er fort, als wäre nichts
um ihn, was ihn kümmern könnte. — Das Blatt Papier war zu klein... er zerriß es,
nahm ein größeres und begann von neuem. Und die Begeisterung mit all ihren Wundern
kam über ihn... Die Arbeit ward ihm so leicht, es war gar keine Mühe mehr. Und die
Stunden verrannen, der späte Nachmittag war da.. Die Skizze war vollendet.. Ein
kleiner Wirtshaustisch, um ihn herum ein paar Trinker und Spieler, das war alles. Und
am besten, wie gewöhnlich, war ihm der Ausdruck der Leidenschaften in den Gesichtern ge¬
lungen. Er betrachtete sein Werk mit glühenden Augen. Das war wenigstens ein Stück
von dem, was er gewollt. Er wandte sich um, sein Vater stand hinter ihm. „Guten
Morgen... Franz," lallte er.
„Guten Abend“.. erwiderte Franz. —
„Ah — schon Abend.. das war ein gesunder Schlaf.“ Er lachte. „Es war lustig
gestern.. ja.. Und Du hast wieder einmal was gemacht? Laß schauen.. So...“ Er
Das war ein Trost für ihn. Ja man stirbt schließlich doch. Es kam ihm vor, als wenn er
an diese angenehme Lösung ganz vergessen hätte. Nun gab es nur einen mehr, der die
Geschichte jenes Abends kannte, den Grafen Spaun. Waldein haßte ihn. Einmal bestürzte
ihn der folgende Gedanke: Wie, wenn Graf Spaun, plötzlich verarmt, sich an ihn erinnerte
und zu ihm käme mit den Worten: Mein lieber Weldein, ich hab Dich reich gemacht, gib
mir einen Teil von Deinem Reichtum... Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Er
zitterte vor dem Grafen Spaun. Und wie, wenn dieser es einmal in einer lustigen Stunde
seinen Freunden erzählte! Und die kämen zu ihm — alle — lustig, höhnend! Heda, Herr
Anstreicher, nicht so karg! Man läßt sein Weib und seine Kinder nicht hungern, wenn man
Geld im Kasten hat! Und er, was könnte er sagen? Ich hab es nicht im Kosten — ich
hab's, — ich weiß nicht wo? Wer glaubt solchen Unsinn! Dann überlegte er wieder: das
Beste wäre, er suchte den Grafen auf und teilte ihm sein Misgeschick mit!.. Sein Mis¬
geschick! Mehr als das! Das tollste Unglück, das je einem Menschen widerfahren war.
Aber was kümmerte sich die Welt, die Zeit um ihn! Er stand auf seiner Leiter und
strich an. Die Haare an seinen Schläfen wurden grau; er wurde dick, begann an schwerem
Atem zu leiden und Hustete. Die Trinker werden früh alt.
Als sein Sohn zwölf Jahre alt war, starb die Mutter. Sie war nicht lang im
Bett hingesiecht; sie legte sich erst hin, als sie bald sterben mußte. Sie war mild und gut
die letzten Tage; sie küßte die Hand ihres Mannes, der neben ihrem Bette saß; fie
streichelte die Haare ihres Buben.
„Geh, Karl“, sagte sie noch an ihrem letzten Lebenstag.. „laß den Buben doch
werden, was ihm Freud' macht.. er wird schon mehr Glück haben, als Du und ich.".
Beide weinten still an ihrem Bette; der Junge kniete und der Mann saß auf einem
wackeligen Stuhl, der manchmal knackte. Und der Abend kam, ein Frühlingsabend, so mild,
so maienduftig, wie jener verhängnisvolle Abend vor sechs Jahren. Weldein dachte daran..
er sah sich wieder auf jener Brücke stehen und hörte die Wellen rauschen, den Regen herab¬
tropfen. Er hatte schon zwei Nächte gewacht,... nun schlief er ein... Ganz dunkel
war es, als er aufwachte; der Junge hatte ihn leise und ängstlich gerüttelt. „Was gibt's“,
fragte Weldein... Kein Atemzug mehr vom Kopfpolster her.. „Ein Licht zünd an“
rief er mit verhaltener Stimme, aufspringend und sich zu seinem Weib herniederbeugend. Er
rief: „Du.. Du, Du. Du.. hör doch?“ Der Knabe kam mit dem Licht. Er traute
sich nicht ganz heran. Der Vater nahm ihm das Licht aus der Hand und hielt es zum
Kopfende des Bettes hin. Eine Minute vielleicht starrte er auf das blasse Gesicht, das auf
dem weißen Polster lag. Hinter ihm der Bub weinte... Veldein stellte das Licht auf das
Nachtkästchen, wandte sich um zu ihm, und leise sagte er: „Hast recht, Franz, daß Du weinst;
die Mutter ist tot."
Der junge Weldein wollte Maler werden, und sein Vater war stolz darauf. Er
mag erreichen, was mir nicht geglückt ist, dachte er. Aber die erste Zeit war schlimm
genug! Die Künstlerschaft fing damit an, daß man den Jungen aus der Schule jagte.
Er taugte nichts; er zeichnete während der Schulstunden und kümmerte sich nicht um die
Dinge, die man von ihm verlangte. Und zu Hause! Da saß er zuweilen vor einem Blatt
Papier und übte sein talent; meist aber stand er müßig beim Fenster und starrte in die
Luft. Dann ging er auch hinunter in den Hof, tollte herum mit den Buben und Mädeln.
Spät abends erst kam der Vater; — nach der Arbeit das Wirtshaus, dann die Familie. — Und
manchen Abend, wenn das Geld für die Schänke nicht mehr reichte, dann nahm er wohl
den Jungen mit sich und spazierte durch die Straßen der Stadt. Und beinahe jeden Tag
denselben Weg... vor dem Klub vorbei, durch die lange Straße.. links.. links. und
zum Flusse hin. Und er dachte: „Was hätte aus ihm werden können, wenn ich das Geld
hätte! Und jetzt wird er sich plagen müssen, bis man überhaupt bemerkt, daß er da ist.
er wird verhungern, bevor er was Großes geworden.“ Und sie wanderten zusammen am Ufer
des Flusses hin und her, arm beide, der alternde Vater mit den halberloschenen Augen in
dem aufgedunsenen Gesicht und der Jüngling an seiner Seite mit dem sehnsüchtigen Blick
Und manchmal sah ihn der Vater an und dachte, wie er selbst einmal so Herrliches gewollt und
wie die Welt vor ihm schön und weit dagelegen. Und noch einmal, später, an jenem Abend, wo
er reich geworden, ja, noch einmal so schön und weit. Und von neuem ergriff ihn eine stille
Verzweiflung.. wollte es denn nicht enden? Und dabei zog es ihn immer denselben Weg zur
selben Brücke. Oh, es war besser, sich betrinken, als immer daran denken müssen!. Der
Franz zeichnete und malte weiter, Köpfe zumeist, in denen ein gewisser leidenschaftlicher Aus¬
druck steckte; der Vater glaubte Talent darin zu sehen; ja er sagte ihm einigemale...
„Geh hin, zeige sie in der Akademie, vielleicht nehmen sie Dich auf!...“ Aber der Junge
entschloß sich nicht dazu; die Blätter wurden verstreut, und er selbst that Wochen und Monate
lang ichts, gar nichts.. Dann kam es dazu, daß er dem Vater manchmal bei der Arbeit
aushalf. Und es geschah auch, daß er mitten in der erbärmlichen Anstreicherei seinen wahren
Genius erwachen fühlte, den groben Pinsel, die Farben, den ganzen Taglohn hinwarf, nach
Hanse eilte und sich ins Zimmer verschloß, um zu zeichnen oder zu malen. Da saß er
stundenlang und es war ihm, als müßte er etwas Großes, Herrliches vollenden. Und wenn
es zu Ende war's wieder mißlungen. Er warf das Zeug in eine Ecke, und es begann
wieder eine Zeit des Nichtstuns, in der er sein Geld in Gesellschaft leichtsinniger Kameraden
vertrank und verspielte.
So vergingen die Monate und Jahre, und der Hausstand von Wel dein Vater
und Sohn fristete ein armseliges Dasein von Tag zu Tag. Und einmal, Franz stand damals
im zwanzigsten Lebensjahre, kam er früh morgens nach Hause, als die Sonne schon in die
Stube hereinblickte. Der Vater lag nicht im Bette; er lag auf der Erde, atmete schwer,
das Gesicht war rot; die grauen Haare, verwirrt, hingen in die Stirne herein. Franz
schaute ihn lange an. Ihn schmerzte der Kopf; auch er war von einer durchschwärmten
Nacht heimgekehrt; hatte seine letzten paar Groschen verspielt, wie sie sein Vater vertrunken
hatte.. Ein leichter Schauer durchfuhr den jungen Mann. Velch ein Leben lag vor ihm!
Welch ein leeres, elendes Leben! Und nach einer Weile rückte er sich den Tisch zum Fenster
hin, und auf ein Blatt Papier begann er eine Skizze hinzuwerfen.. Anfangs ging die
Arbeit nicht recht von der Hand; als die Stunden weiter rückten, ward es besser. Er empfand
es, das mußte was Rechtes werden. Und immer weltvergessener arbeitete er fort, als wäre nichts
um ihn, was ihn kümmern könnte. — Das Blatt Papier war zu klein... er zerriß es,
nahm ein größeres und begann von neuem. Und die Begeisterung mit all ihren Wundern
kam über ihn... Die Arbeit ward ihm so leicht, es war gar keine Mühe mehr. Und die
Stunden verrannen, der späte Nachmittag war da.. Die Skizze war vollendet.. Ein
kleiner Wirtshaustisch, um ihn herum ein paar Trinker und Spieler, das war alles. Und
am besten, wie gewöhnlich, war ihm der Ausdruck der Leidenschaften in den Gesichtern ge¬
lungen. Er betrachtete sein Werk mit glühenden Augen. Das war wenigstens ein Stück
von dem, was er gewollt. Er wandte sich um, sein Vater stand hinter ihm. „Guten
Morgen... Franz," lallte er.
„Guten Abend“.. erwiderte Franz. —
„Ah — schon Abend.. das war ein gesunder Schlaf.“ Er lachte. „Es war lustig
gestern.. ja.. Und Du hast wieder einmal was gemacht? Laß schauen.. So...“ Er