A220: Der Sekundant, Seite 8

blick ;
Konzert unter Kleiber. Erich
„Wo ist der Ertrunkene?“ fragte eine Stimme aus dem
See. Rase
###ung an
Plötzlich spürte ent¬
ilharmon
Staatsoper nur d'y
aber wurde
das Fernglas und sah, wie ein Mensch mit dem Wasser Boot.
der. Philha
ing stehen
eingelasten
„Das geht Sie nichts an. Wo ist Ihr Passierschein?“
weitere Konzerte mit klassischen Programmen mit dem Philharmonischen
kämpfte.
„Mann, sind Sie wahnsinnig, wo einer am Ertrinken ist.
Eben wollte er das Boot besteigen, als er aus der Seemitte
Orchester zu dirigieren.
lautes Rufen hörte, drohende Laute vernahm, einmal glaubte
Platz da, wir fahren!"
er: Schande zu hören. Was, dachte Mertens, der erbost war
„Nicht ein Schritt!“ schrie Mertens, so wie er das als Un=
Beteilig.
§ fand am
Bridge=Turin,
daß dieser nette Tag so eine dumme Unterbrechung haben
internation
Kfolg, ein
teroffizier gelernt hatte.
mußte, wer beschwert sich da. Umständlich machte er den Kahne
durchschlagen
„Was, los, los“, sagte Mertens, „ich sehe ja gar nichts.
zum Treffpunkt der hier
in Bridge-Roo
los, und fuhr ärgerlich zur Mitte des Sees.
Und nun stellte er sein Boot quer vor den Kanaleingang,
gespieler entwick
„Was ist hier los“, fragte er absichtlich ruhig in die Baden¬
so daß das Motorboot nicht weiter konnte.
den hinein.
Du kannst dem andern nie wieder gehören, du gehörst mir Sekunden noch blieben mir. Es war nicht möglich, ihr in
diesen wenigen Sekunden zu berichten, was geschehen war
und überdies noch mich zu rechtfertigen, daß ich bisher ge¬
allein.“
Der Sekundant
schwiegen. Vor einigen Minuten noch hätte sie verstanden,
Noch immer hielt sie meinen Arm berührt, ja nun ergriff
hätte sie vielleicht verziehen. Ja, viel leicht hätter ich einen
sie ihn, hielt ihn fest. Ja, sie bewegte ihn leise hin und her,
Novelle von
wahrhaften, einen unvergänglichen Sieg über den Toten
als hoffte sie mich damit aus einer unbegreiflichen Verstörung
davongetragen. Jetzt aber war ich der Gefallene, der Er¬
ARTHUR SCHNITZLES
aus einem Wahn zu erwecken. Meine Augen aber blieben
schlagene, ja, in dieser Sekunde empfand ich mich selbst gleich¬
Copyright 1931 by Heinrich Schnitzler starr, ich wußte, daß kaum Liebe in ihnen war, nur Wille,
sam wie ein Gespenst, und die Schritte draußen im Garten
„Wann seh' ich dich wieder?“ fragte ich. Ich sagte nicht: Drohung beinahe. Und ich merkte, daß ihre Angst wuchs, und
— so sehr ich wußte, daß jeder andere im nächsten Augenblich
3. Forts. u. Schluß
so versuchte sie's nun mit einem scherzhaften Ton: „Kind“
hier hereintreten könne, als grade er — kündigten für mich in
sagte sie, „hab ich nicht recht gehabt? Ich habe schon immer
Eduard ist tot. Ich sagte nicht: Verzeih’ mir. Ich sagte nichts
unbegreiflicher Weise das Nahen Loibergers an; wie er es in
gewußt, warum ich dich Kind nenne. Soll ich nun vernünftig
Ich war zu feig, um es dir gleich zu sagen. Nein, ich fragte
meinem Traume getan, schritt er durch den Garten und über
ein für uns beide? Leicht ist es ja nicht. Nicht einmal für
„Wann seh' ich dich wieder?“, als gäbe es keine andere Frage
die Stufen zur Terrasse herauf. Aber wer immer es sein
die jetzt zu beantworten wäre, als gäbe es kein anderes Wort mich allein. Aber wir müssen, wir rissen verständig sein.
„Warum müssen wir?" fragte ich hartnäckig und haßte mich mochte, unmöglich war es, das, was auf dem Wege war
herankommen zu lassen, ohne sie im allergeringsten vor-
zu sagen
„Du wirst mich nie wieder sehen", sagte sie. „Wenn du
„Wir müssen“, sagte sie, und in immer steigender Angst war zubereiten. Doch nur das eine Wort drängte sich
zugleich.
mich lieb hast, wirst du dieser Stunde dankbar sein wie ich
sie gleich mit den stärksten, den unwidersprechlichsten Argu= auf meine Lippen: „Erschrick nicht.“ Und während ich
Wenn du nicht willst, daß diese Stunde aus einem wunder¬
das Wort aussprach, war mir wahrhaftig nicht anders
baren, unvergeßlichen Traum eine trübe Wirklichkeit, eine
zumute, als müßte im nächsten Augenblick ihr toter
Lüge, hundert Lügen, eine Kette von Betrug und Hößlichkeit menten zur Stelle: „Wir müssen vernünftig sein und dürfen
werde, dann geh, geh gleich, reise ab und versuche niemals uns nicht verraten, weil du verloren wärst, wenn er
Gatte eintreten. Zuerst sah sie mich mit einem unsicheren
Lächeln an, als wollte sie mir zu verstehen geben, daß ich
ahnte...
mich nicht zu sorgen brauche, und daß ihr niemand auch nur
mich wiederzusehen.“
Ich lächelte. Ich konnte nicht anders. Aber ihre Ent¬
In mir raunte es: Eduard ist tot — dein Mann ist tot
im geringsten anmerken werde, was in der letzten Stunde
gegnung, ihre Warnung, der Versuch, mir Angst vor dem
alles, was du sprichst, ist Unsinn, und du ahnst es nicht. Es
vorgefallen war. Aber gleich las sie offenbar in dem ver¬
Toten einzuflößen, wirkte auf mich nicht nur grauenhaft
gibt keine Lüge, keinen Betrug, keine Häßlichkeit mehr, du
zweifelten Ernst meines Blickes, daß meine Mahnung doch
sondern wie mit einer unergründlichen Komik. Es lag
bist frei. — Aber all das sagte ich nicht, alles wurde plötzlich
etwas anderes bedeutet haben müßte als die kleinliche Be¬
mir in diesem Augenblick gar nicht fern, irgend etwas
so klar in mir, wie ich es noch vor einer Minute nicht für
sorgnis, sie könne sich etwa verraten. Sie hatte eben noch
möglich gehalten hätte. Und ich sagte: „Es ist kein Betrug. Teuflisches zu erwidern, der ganzen Unerträglichkeit, der
Zeit zu fragen: „Was ist geschehen?“ Ich aber nicht mehr
Furchtbarkeit dieses Gesprächs durch ein vernichtendes und
es ist keine Lüge. Betrug und lüge wäre es nur, wenn du
zugleich erlösendes Wort ein Ende zu machen. Aber ich
tat es nicht. Ich fühlte meine Ohnmacht grade in diesem die Möglichkeit, zu antworten.
nach dieser Stunde noch länger in diesem Hause bliebst und
Die Schritte hallten schon im benachbarten Raum. Agathe,
wieder einem andern gehörtest.“ Es war mir, als bekäme
ohne sich nur nach mir umzuwenden, trat in den Salon, und
Augenblick, ich fühlte, daß der Tote stärker war als ich, und
jener Reisetraum von früher Gewalt über mich, oder als be
ich folgte ihr. Aline stand da in der Türe zwischen Salon
wie in verzweifelter Gegenwehr vermochte ich keine andere
und Terrasse, streifte mich nur mit einem ratlos-verwunderten
Erwiderung zu formen, als das törichte Wort: „Und wenn
käme ich Macht über ihn.
Agathe erblaßte. Sie sah mich an, und ich fühlte, daß
Blick, faßte die Hände der erblassenden Freundin und, in
das Schicksal am Ende für mich entschiede?“
mein Antlitz ganz starr geworden war. Sie berührte meinen
Tränen ausbrechend, schloß sie sie in die Arme. Agathens
Sie faßte mich an der Schulter. Angst war in ihren
Arm, als wollte sie mich beruhigen. „Wir wollen doch ver¬
Augen aber starrten vorbei an Aline mit so unerbittlicher
nünftig fein“, sagte sie. „Oder wir wollen es wenigstens Augen: „Was sagst du da? Wo verirrft du dich hin? Wo
Frage in die meinen, als wollte sie die Antwort aus meiner
wieder werden. Ich liebe dich, ja, aber ich gehöre nicht dir,
verirren wir uns hin?“
Stirn saugen; ich legte den Finger an meinen Mund und
so wenig wie du mir. Wir wissen es ja beide. Es war nur
Und in diesem Augenblick fühlte ich, daß sie für ihn hangte
spürte selbst, daß diese armselige Gebärde die Bitte an Agathe
ein Traum ein Wunder, ein Glück, unvergeßlich, ja, aber
für ihn und nicht im geringsten für mich — daß er alles
bedeutete, eher mich als sich zu verraten. In ihrem Blick
und daß ich nichts für sie war... Und in diesem Augen
blick hörten wir Schritte über den Gartenkies. Nur wenige aber war mehr, als ich je in einem Menschenblick gesehen:
vorbei.“
Ich schüttelte heftig den Kopf. „Alles, was vor dieser
Stunde war, ist vorbei, diese Stunde aber hat alles geändert