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endrauen
im Mor
D1
34. S1 4 H den
Der neue Schnitzler.
Zum 65. Geburtstag des Dichters.
Von
Machdruck verboten.]
Sans Wuneken.
Im S.=Fischer=Verlag, Berlin ist soeben eine #ue Novelle vo
Arthur Schnitzler erschienen: „Spiel im Morgengra#
(Einbandentwurf von Hans Meid., Wenn's nicht der Literaturkat
verriete — dieses jüngste Werk erinnert in nichts daran, daß sein
fasser vor kurzem (am 15. Mai) das 65. Lebensjahr vollendet
Selten hat das Schaffen eines Dichters von Rang eine so gleichmä
Entwicklungslinie, richtiger gesagt: einen so auffälligen Mangel
Entwicklung aufzuweisen. In keinender Schnitzlerschen Werke spiegelt
sich so etwas wie eine Sturm= und Drangperiode, aus ihrem Stil lassen ##
sich die Entstehungsdaten nicht ablesen, man könnte sie zeitlich fast be¬
liebig miteinander vertauschen. Ein ausgesprochener Hang zum Spin¬
tisieren und Philosophieren gibt selbst den jugendlichen Schöpfungen i
einen Anstrich von überlegener Reife und gefestigter Lebensanschauung. sh
Darin liegt nun freilich gerode ihr Reiz. Schnitzler ist seiner allge¬ m
meinen Welteinstellung nach liberal und in sozial=ethischen Fragen re¬ ax
formerisch gesinnt. Aber er ist keine explosive Kampfnatur, kein Revo¬ ne
lutionär. Wohl übte er mitunter an traditionsgeheiligten Zuständen und
Einrichtungen scharfe Kritik (s. seine Schauspiele „Das Märchen“, „Frei¬
wild", „Das Vermächtnis“, „Professor Bernhardi“), doch niemals stieß sar
er einen gellenden Kampfruf aus. Er begnügt sich damit, seine novellisti¬ an
schen oder dramatischen Schilderungen von Welt und Menschen mit
leisen, sarkastischen Untertönen zu begleiten und statt einer Faust, die
am Bestehenden rüttelt, sieht man nur eine aristokratisch gepflegte
Hand mit etwas müder Geste an problematische Dinge rühren. Diese
weltschmerzliche Ironie, die mitunter ein wenig an Heine erinnert, dies
melancholische Lächeln, diese Luft am Grübeln und Zergliedern ist das
typisch Schnitzlerische.
Zwei Probleme sind es, um die immer wieder Schnitzlers Denken
kreist: die Liebe und der Tod. Sie bilden das A und O seines
künstkerischen Schaffens, und meist bringt er sie in ursächlichen Zu¬
sammenklang miteinander. Selbst der vielumstrittene „Reigen“ ist im
Grunde ein Totentanz der Liebe, eine Variationenreihe über das tra¬
gische Thema des Genusses, der schon im Keime erstirbt. Auch in
Schnitzlers jüngster Novelle „Spiel im Morgengrauen“ triumphiert
zuletzt der Tod. Mit dem Spiel ist Glücksspiel gemeint, „Jeu“. Der
Leutnant Willi Kasda riskiert, um einem ehemaligen Kameraden aus
der Klemme zu helfen, sein Geld im Baccarat, verliert nach anfänglichem
Gewinn ein paar tausend Gulden und schießt sich, da er die Ehrenschuld
nicht begleichen kann, eine Kugel vor den Kopf. Das ist in Kürze der
ganze Inhalt der Geschichte — einer im Grunde alltäglichen Ge¬
schichte. Aber bei Schnitzler kommt's ja weniger auf das Was als auf
das Wie an. Und das verrät auch hier in jedem Wort den Meister
plastischer Milieumalerei und tiefschürfender Psychologie. Ganz ähnlich
wie in „Leutnant Gustl“, Schnitzlers berühmtester Novekle, werden die
1 Seelenregungen des bedrängten jungen Offiziers auf's subtilste analysiert,
endrauen
im Mor
D1
34. S1 4 H den
Der neue Schnitzler.
Zum 65. Geburtstag des Dichters.
Von
Machdruck verboten.]
Sans Wuneken.
Im S.=Fischer=Verlag, Berlin ist soeben eine #ue Novelle vo
Arthur Schnitzler erschienen: „Spiel im Morgengra#
(Einbandentwurf von Hans Meid., Wenn's nicht der Literaturkat
verriete — dieses jüngste Werk erinnert in nichts daran, daß sein
fasser vor kurzem (am 15. Mai) das 65. Lebensjahr vollendet
Selten hat das Schaffen eines Dichters von Rang eine so gleichmä
Entwicklungslinie, richtiger gesagt: einen so auffälligen Mangel
Entwicklung aufzuweisen. In keinender Schnitzlerschen Werke spiegelt
sich so etwas wie eine Sturm= und Drangperiode, aus ihrem Stil lassen ##
sich die Entstehungsdaten nicht ablesen, man könnte sie zeitlich fast be¬
liebig miteinander vertauschen. Ein ausgesprochener Hang zum Spin¬
tisieren und Philosophieren gibt selbst den jugendlichen Schöpfungen i
einen Anstrich von überlegener Reife und gefestigter Lebensanschauung. sh
Darin liegt nun freilich gerode ihr Reiz. Schnitzler ist seiner allge¬ m
meinen Welteinstellung nach liberal und in sozial=ethischen Fragen re¬ ax
formerisch gesinnt. Aber er ist keine explosive Kampfnatur, kein Revo¬ ne
lutionär. Wohl übte er mitunter an traditionsgeheiligten Zuständen und
Einrichtungen scharfe Kritik (s. seine Schauspiele „Das Märchen“, „Frei¬
wild", „Das Vermächtnis“, „Professor Bernhardi“), doch niemals stieß sar
er einen gellenden Kampfruf aus. Er begnügt sich damit, seine novellisti¬ an
schen oder dramatischen Schilderungen von Welt und Menschen mit
leisen, sarkastischen Untertönen zu begleiten und statt einer Faust, die
am Bestehenden rüttelt, sieht man nur eine aristokratisch gepflegte
Hand mit etwas müder Geste an problematische Dinge rühren. Diese
weltschmerzliche Ironie, die mitunter ein wenig an Heine erinnert, dies
melancholische Lächeln, diese Luft am Grübeln und Zergliedern ist das
typisch Schnitzlerische.
Zwei Probleme sind es, um die immer wieder Schnitzlers Denken
kreist: die Liebe und der Tod. Sie bilden das A und O seines
künstkerischen Schaffens, und meist bringt er sie in ursächlichen Zu¬
sammenklang miteinander. Selbst der vielumstrittene „Reigen“ ist im
Grunde ein Totentanz der Liebe, eine Variationenreihe über das tra¬
gische Thema des Genusses, der schon im Keime erstirbt. Auch in
Schnitzlers jüngster Novelle „Spiel im Morgengrauen“ triumphiert
zuletzt der Tod. Mit dem Spiel ist Glücksspiel gemeint, „Jeu“. Der
Leutnant Willi Kasda riskiert, um einem ehemaligen Kameraden aus
der Klemme zu helfen, sein Geld im Baccarat, verliert nach anfänglichem
Gewinn ein paar tausend Gulden und schießt sich, da er die Ehrenschuld
nicht begleichen kann, eine Kugel vor den Kopf. Das ist in Kürze der
ganze Inhalt der Geschichte — einer im Grunde alltäglichen Ge¬
schichte. Aber bei Schnitzler kommt's ja weniger auf das Was als auf
das Wie an. Und das verrät auch hier in jedem Wort den Meister
plastischer Milieumalerei und tiefschürfender Psychologie. Ganz ähnlich
wie in „Leutnant Gustl“, Schnitzlers berühmtester Novekle, werden die
1 Seelenregungen des bedrängten jungen Offiziers auf's subtilste analysiert,