II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 47

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17.3. Zum Krossen Würstel
Courasche, obwohl sie der heiligen Jungfrau gelobt hat,
von nun an eine brave, ehr- und gehorsame Ehefrau zu
sein, nicht dulden. Sie sticht ihren Gatten, der ihr die Wette
selbst anvertraut und auf deren Austragung besteht, nieder.
Mit dem letzten der drei Schnitzlerschen Marionetten¬
spiele — sie sind vor einigen Tagen bei S. Fischer in
Berlin erschienen; „Der Puppenspieler“ ist schon voriges
Jahr hier von Jarno, der „Tapfere Cassian“ in Berlin ge¬
spielt worden — der Burleske „Zum großen Wurstel“
schloß der Einakterabend. Dieses in dämmeriges Zwielicht
getauchte Stücklein ist ein Niederschlag aus vielen litera¬
rischen Ereignissen und Stimmungen der letzten Jahre. Es
spielt am Abend im Wurstelprater, in dem sich gerade eine
neue Bude aufgetan hat: „Zum großen Wurstel“. In dieser
Bude wird ein seltsames Marionettenspiel gespielt. Unten
vor dem Wursteltheater schalten der Wohlwollende, der Bis¬
sige, der Naive, der erste Skandalmacher, der zweite Skan¬
dalmacher, ein Bürgersmann mit seinen Töchtern, der Di¬
rektor des Theaters und der Dichter des aufgeführten Stückes
mit ihren Zwischenrufen. Zuletzt entsteht ein regelrechter
Theaterikandal bei dem Publikum auf der Bühne. In diesen
Skandat hat sich nun ein Herr aus dem wirklichen Parkett
zu mischen, so daß die Verwirrung noch größer wird. Dann
erscheint der Unbekannte. Mit dem langen, bloßen Schwert
in der Hand. Er trennt mit einem Hieb alle Drähte der
Marionetten, die zusammenstürzen.
„Dies Schwert aber macht es offenbar,
Wer eine Puppe, wer ein Mensch nur war,
Auch unsichtbaren Draht trennt diese Schneide
Zu manchen stolzen Puppenspielers Leide!“
Der Unbekannte fährt mit dim Schwert über die Bühne,
und alle Menschen außer ihm selbst, sogar Direktor und
Dichter, sinken zusammen. Hierauf wendet er sich an uns,
ans Parkett, und ruft hinunter:
„Mir graut vor meiner Macht!
Ist's Wahrheit, die ich bringe, oder Nacht?
Folg' ich der Himmlischen ... der Hölle Ruf?
Ist es Gesetz — ist's Willkür, die mich schuf?
Bin ich ein Gott? ... ein Narr?.. Vin euresgleichen?
Vin ich ich selber — oder nur ein Zeichen?
Ja, wenn mein Schwert in loserm Arme hinge,
Weiß ich, wie's manchen, die in Leid und Lüsten
Höchst fragevoller Wirklichkeit sich brüsten,
Wie's zum Exempel euch da unten ginge?“
Mit einem stolzen Blick geht er ab. Er ist wohl Schnitz¬
ker, ist wohl der nachdenkliche Dichter selber. Der Dichter,
der verdammt und beseligt ist, alle die Drähte zu sehen,
an denen die viel zu vielen Menschen hängen; der Dichter,
der sehen muß, daß zahllose Menschen immer nur Rollen
spilen, die sie sich entweder antosugg-rieren oder von andern
aufdisputieren lassen; der Dichter, der weiß, wie wenige
ein eigenes Leben leben, der Dichter: poeta vates
Die Darstellung der Burleske mit ihren 30 Personen
im Lustspieltheater (ganz besonders des begabten Episoden¬
spielers Straßni als „düsterer Kanzlist“) war einfach glän¬
zend. Aber der leise Humor Schnitzlers, der hier zug eich
feiner und vornehmer anstritt als in der „Literatur“ war
zu verborgen und sinnvoll, als daß er das große Publikum
ganz gepackt hätte. Kurz, ein Pyrrhussieg.
Im Raimundtheater hat Mademoiselle Margnerite
Moreno von der Comédie Française an zwei Abenden
gastiert. Ihr Name hat in Paris einen guten Klang; zu
uns wird sie wohl kein zweites Mal kommen. Sie ist ein
schwacher Abklatsch des Typus Sarah Bernhardt: eine
ältere Dame, sehr schlank, fast mager, mit spitzer, großer
Naie und tadelloser, einem spröden Organ abgerungener
Sprache. Ihr Percinet (Hosenrolle) in Rostands „Les Ro¬
manesques“ — der Theaterzettel behauptete, sie hätte die
Rolle in der Comédie Française kreiert, mein Vuch dagegen
nennt den auch in Wien bestens bekannten und beliebten
15 Schönfer des Preinet